Bei Ausgrabungen auf dem Marktplatz von Neubrandenburg wurden Teile der vermissten Städtischen Kunstsammlung freigelegt

Fund des Monats Oktober 2007

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"Die Glückseligkeit des Schlafs" - Erste zusammengesetzte Figur aus Meißener Bisquitporzellan

"Die Glückseligkeit des Schlafs" - Erste zusammengesetzte Figur aus Meißener Bisquitporzellan

"Die Glückseligkeit des Schlafs" - Erste zusammengesetzte Figur aus Meißener Bisquitporzellan

Gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vermachten zwei wohlhabende Bürger Neubrandenburgs ihren beachtlichen Kunstbesitz und ihr Barvermögen der Stadt Neubrandenburg und begründeten damit den Fundus der Städtischen Kunstsammlung. Sie war für breite Teile der Bevölkerung der Stolz der Stadt, fand 1920 einen würdigen Platz im ehemals herzoglichen Palais – und verschwand kurz vor der Brandschatzung Neubrandenburgs im April 1945 spurlos. Dieser mysteriöse Totalverlust gilt als einer der letzten großen ungeklärten Fälle kriegsbedingt vermisster Kulturgüter. Immerhin muss man von 10.000 bis 20.000 Kunstwerken ausgehen, darunter ein Gemälde von van Dyck, eines von Murillo, eine umfangreiche Kupferstichsammlung mit zwölf Rembrandt-Radierungen sowie eine wertvolle Porzellansammlung.

Die Städtische Kunstsammlung in Neubrandenburg entstand 1890, nachdem der Maler Henry Stoll (1822–1890) der Stadt Neubrandenburg seine umfangreiche Sammlung von Gemälden, Graphiken, Skulpturen und eine Bibliothek testamentarisch mit der Auflage, diese öffentlich zugänglich zu machen, hinterlassen hatte. 1911 wurde die Kunstsammlung durch eine zweite Erbschaft erweitert. August Schmidt (1825–1911), ein renommierter Kunsthändler aus Neubrandenburg, hinterließ der Stadt seine umfangreiche Privatsammlung, die Porzellanfiguren, Vasen, Terrakotten, antike Statuetten, Bronzen, Marmorgegenstände, Gemälde und Kupferstiche sowie eine Uhrensammlung umfasste.

1920 erhielt die Städtische Kunstsammlung eine repräsentative Unterkunft im Südflügel des herzoglichen Palais. Der damalige Leiter Josef Alterdinger (1874–1934) gliederte die Sammlung in den zur Verfügung gestellten acht Räumen in folgende Teilbereiche: antike Nachbildungen; Originale und Kopien italienischer Meister; Originale und Kopien deutscher und französischer Meister; Originale und Kopien niederländischer Meister, Möbel und Bücherei; Original-Gemälde von Meistern um die Wende des 19./20. Jahrhunderts und neuerer Künstler; das Schmidt’sche Vermächtnis mit Porzellanen und Kunstgewerbe; in ursprünglicher Erhaltung "Dörchläuchtings Arbeitszimmer" (Herzog Adolf Friedrich VI.) und den Audienzsaal mit Fürstenporträts mit der Kupferstichsammlung.

Seit den letzten Kriegstagen im April 1945 gilt die Städtische Kunstsammlung als verschollen. Am 28. April 1945 wurde die Bevölkerung Neubrandenburgs zum Verlassen der Stadt aufgefordert. Nach Beschuss durch sowjetische Artillerie fielen 80 % der Innenstadt den Flammen zum Opfer, darunter auch das herzogliche Palais. Die Evakuierung des Kunstbestandes erfolgte in Neubrandenburg erst beim Herannahen der Front im April 1945. Laut Augenzeugenberichten wurden die Kunstwerke der Sammlung in Kisten verpackt. Tagelang wartete man auf die Order des Abtransports. Auf einen LKW verladen, sollen die Kunstwerke Richtung Westen transportiert worden sein. Hier verlieren sich die Spuren.

Erst Mitte der 1980er Jahre begannen Neubrandenburger Stadthistoriker und Mitarbeiter der 1982 neu gegründeten Kunstsammlung Neubrandenburg mit der Recherche zum Verbleib der Sammlung. Die Suche gestaltete sich als äußerst schwierig, weil keine Inventarverzeichnisse aufgefunden werden konnten und Zeitzeugen verstorben waren. Erstmalig veröffentlichte 1985 das Regionalmuseum einen Beitrag zur bildenden Kunst in Neubrandenburg, in dem die Geschichte der Städtischen Kunstsammlung dargestellt wurde. Das öffentliche Interesse war damit geweckt und Spekulationen wurden laut. Alle Hinweise bestätigten sich nicht. 2001 erschien eine weitere Publikation zur Geschichte der verlorenen Sammlung sowie die Verlustliste eines Bruchteils der Kunstwerke, welche Grundlage für die Suche nach der Sammlung ist.

Seit dem 15. Mai 2006 wird der Neubrandenburger Marktplatz durch das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege archäologisch untersucht. Anlass für die Maßnahme ist der Bau einer Tiefgarage.

Auf einer Fläche von mehr als 3.000 m2 sind bisher die komplette mittelalterliche Marktplatzstruktur mit dem mittelalterlichen "Schohus" (das erste Rathaus der Stadt), mehreren steinernen Markthallen und einer hölzernen Markthalle, Budenreihen sowie das herzoglichen Palais ausgegraben worden. Beim Freilegen der Kellerräume des herzoglichen Palais wurden stark überfeuerte Bronzeskulpturen, verbrannte und völlig zerscherbte Porzellanfiguren, Terrakotten und Prunkvasen, Reste von Uhren und Repliken im antiken Stil entdeckt. Zu den Funden zählt der wohl gesamte Inhalt einer Vitrine aus dem "Blauen Zimmer", die auf einer historischen Aufnahme überliefert ist. Die Fundsituation (konzentriert an einer Stelle), die starke Zerscherbung sowie Anhaftungen von geschmolzenem (Vitrinen-)Glas an den Figuren legen die Interpretation nahe, dass dieser Teil der Sammlung keinesfalls in Kisten verpackt war, sondern beim Brand des Palais in den Keller stürzte.

Zurzeit werden die Scherben (vor allem klassisches Meißener Biskuitporzellan des 18. Jahrhunderts), Prunkvasen der königlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) und andere Porzellane mühevoll identifiziert und beim Landesamt für Kultur und Denkmalpflege reversibel zusammengefügt, um einen Eindruck von der Sammlung und dem Zerstörungsgrad zu geben sowie eine spätere Restaurierung zu ermöglichen.

Die wieder entdeckten Kunstwerke wurden am Tag des offenen Denkmals am 9. September 2007 an die Stadt Neubrandenburg übergeben und sind in der Ausstellung "Morpheus aus der Asche – Die Wiederentdeckung der Porzellane und Skulpturen der Städtischen Kunstsammlung" bis zum 9. Dezember 2007 in der Kunstsammlung Neubrandenburg zu sehen.

Dr. Detlef Jantzen und Elke Pretzel

Fund des Monats Oktober 2007

Bei Ausgrabungen auf dem Marktplatz von Neubrandenburg wurden Teile der vermissten Städtischen Kunstsammlung freigelegt