Echt Spitze - Unterwasserarchäologie mal ganz anders

Fund des Monats September 2012

Spitze einer GeweihharpuneDetails anzeigen
Spitze einer Geweihharpune

Abb.1: Spitze einer Geweihharpune

Abb.1: Spitze einer Geweihharpune

Kurios und spannend wird es in der Archäologie dann, wenn es zu tollen Funden auch besondere Geschichten gibt. So staunten die Archäologen des Landesamtes nicht schlecht, als sie im Sommer 2012 per E-Mail eine Fundmeldung der besonderen Art erhielten. Denn was der Gymnasiast Tobias Mainda aus Nauen in Brandenburg beim Reinigen des heimischen Aquariums entdeckte, ist kaum zu glauben.

Es handelt sich um das Spitzenfragment einer Harpune mit kräftiger, einseitiger Widerhakenreihe. Die sorgfältig geglättete Oberseite und die Rückseite mit der schwammartigen Struktur deuten auf ein Stück Geweih als Ausgangsmaterial hin. Ursprünglich dürfte die Harpune zwischen 15 und 20 cm lang gewesen sein. Mit knapp 3,8 cm ist sie zudem sehr breit und wirkt ausgesprochen wuchtig. Das für die Funktion typische Unterteil mit Durchlochung zur Befestigung der Fangleine fehlt leider. Ursprünglich war die Harpune an der Spitze eines Wurfspeeres oder einer Stoßlanze befestigt und durch die eingefädelte Fangleine mit dem Jäger verbunden.

Harpunen aus Geweih, Rehgehörn und Knochen gehörten quasi zur Standardausrüstung von Fischer- und Jägergruppen. Sie dienten dem Fang von Seesäugern (Schweinswale, Robben, Seehunde) und terrestrischem Großwild (Elch, Hirsch, Wildschwein). In der jüngeren Mittelsteinzeit lässt sich an küstengebundenen Jagdplätzen ein deutlicher Wechsel zu vermehrter Jagd auf Seesäuger feststellen, der mit einem großen, so vorher nicht bekannten Spektrum an Fangharpunentypen einhergeht.

An der ostdeutschen und polnischen Ostseeküste wird für diesen Zeitabschnitt von der Lietzow-Gruppe gesprochen (hier war der Fundplatz von Lietzow auf Rügen Namen geben). Diese ist Teil der damals im südskandinavisch-norddeutschen Raum verbreiteten Ertebølle-Ellerbek-Kultur (5450 und 4100 v. Chr.). Allerdings sind aus dieser Zeit an Land meistens aus Feuerstein (Flint) gefertigte Geräte in großer Zahl überliefert. Geräte aus organischen Materialien wie Knochen, Geweih oder gar Holz können nur unter Luftabschluss in einem Feuchtmilieu überdauern. Deshalb ist aufgrund der Erhaltung und der dunklen Farbe für die vorliegende Harpune eine Herkunft aus einem Unterwasserfundplatz anzunehmen. Doch wie erklärt sich ihr Fundort?

Die Familie des Finders verbrachte in den 1990er Jahren ihren Urlaub auf der Insel Usedom, wo das Stück bei Koserow zwischen Treibholz am Strand aufgesammelt wurde. Als Dekoration wanderte es dann in das heimische Aquarium und wurde vergessen, um jetzt "wiederentdeckt" zu werden. Sehr wahrscheinlich stammt die Harpune aus einer Strandaufspülung. Vielleicht gelingt es im Nachhinein noch, die Herkunft des Baggergutes zu rekonstruieren und damit nachträglich das eigentliche Herkunftsgebiet der Harpune vor der Küste Usedoms genauer einzugrenzen.

Der Ostseespiegel lag zur Zeit der Ertebølle-Ellerbek-Kultur zwischen 2,5 und 5 m tiefer als heute. In der Wismarer Bucht wurden in mehreren Metern Wassertiefe Reste von Lagern der Jägergruppen der späten Mittelsteinzeit taucharchäologisch im Rahmen des SINCOS-Projektes untersucht. Schon im Winter 2012 entdeckte übrigens eine ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Zingst auf dem Darss eine typologisch zwar ältere, aber ebenfalls mittelsteinzeitliche und sehr fein gestaltete Knochenharpune, die durch eine künstliche Sandaufspülung auf den Strand des Seebades gelangt war.

Dr. C. Michael Schirren