111 im Kreis – Eine Grabanlage der vorrömischen Eisenzeit aus Sellin

Fund des Monats Juli 2014

Sellin, Lkr. Vorpommern-Rügen, Hauptplanum von NordDetails anzeigen
Sellin, Lkr. Vorpommern-Rügen, Hauptplanum von Nord

Abb. 1: Sellin, Lkr. Vorpommern-Rügen, Hauptplanum von Nord

Abb. 1: Sellin, Lkr. Vorpommern-Rügen, Hauptplanum von Nord

Im Mai und Juni 2013 gruben Mitarbeiter der Abteilung Landesarchäologie im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern und freiwillige Helfer in einer sechswöchigen Kampagne das bisher größte bekannte Gräberfeld der vorrömischen Eisenzeit auf der Insel Rügen aus. Die Arbeiten waren nötig geworden, weil in der Gemeinde Sellin östlich der Ostbahnstraße ein größeres Wohngebiet erschlossen werden sollte. Bereits in Voruntersuchungen im Spätherbst 2012 waren hier Urnenreste und Teile einer diese Brandbestattungen einfassenden Steinkonstruktion freigelegt worden. Die Hauptuntersuchung konzentrierte sich auf die vier Parzellen im Südosten der Bebauungsfläche, in denen diese Befunde freigelegt wurden.

Aufgedeckt wurde ein etwa 1250 m2 großer Bereich. Es fanden sich Reste einer aufwendigen Grabanlage aus unbearbeiteten Feldsteinen sowie diverse Brandbestattungen. Es handelte sich um 111 Urnengräber und elf Knochenlager beziehungsweise deren Reste. Denn die Untersuchung belegte, dass wohl im 19. Jahrhundert der Ostbereich und Teile des Südbereiches massiv gestört worden waren. Hier konnten nur noch Befundreste geborgen werden, während in den anderen Teilen des Grabungsareals die Gräber häufig vollständig erhalten geblieben sind (Abb. 1).

Auffälligster Befund war der Rest einer Konstruktion aus unbearbeiteten Findlingen. Erhalten hatte sich ein Halbkreis aus 46 unterschiedlich großen, in kurzen, unregelmäßigen Abständen gelegten Steinen mit einem Gewicht von etwa 15 kg bis über 100 kg. Der Durchmesser lag bei 17 m. Es ist anzunehmen, dass es sich ursprünglich um einen geschlossenen Kreis gehandelt hat, der südliche Teil der Anlage ist nicht überliefert.

Im Zentrum dieses äußeren Kreises wurden Reste eines zweiten Steinkranzes nachgewiesen. Hier bildeten elf etwa 25 kg schwere, auf Stoß gesetzte Findlinge ein Kreissegment von etwa 150 Grad. Im Bereich dieses inneren Kreises lagen auffallend viele etwa faustgroße, durch Wellen abgeschliffene Strandsteine. Solche Steine sind nur im Bereich des inneren Kreises überliefert und hier möglicherweise als allerdings völlig gestörtes Pflaster zu interpretieren.

Zentral in der gesamten Anlage lag unter einem durch seine Größe deutlich aus den üblichen Gräbern herausragende Deckstein eine beigabenlose Urnenbestattung. Die Lage, die besondere Größe des Decksteines und die Tatsache, dass es sich bei dem Grabgefäß – einem späten Doppelkonus mit Rand – um die älteste Urne des Friedhofes handelt belegen eindeutig, dass es sich bei diesem Befund (B 165) um die ursprüngliche Zentralbestattung des Platzes handelt.

In der nächsten Belegungsphase orientierten sich die Bestattungen am Rand des inneren Steinkreises. Hier wurde eine Gruppe von einem Dutzend ungestörten Urnengräbern freigelegt, deren Decksteine sich unmittelbar an den Steinkranz anlehnten. Bei den Urnen handelte es sich wohl durchweg um dreigliedrige Gefäße der Stufe I c nach Keiling.

Die strikte Orientierung an der alten Anlage wurde dann im Laufe der Belegung aufgegeben. Soweit bisher erkennbar erfolgten dann bis in das 1. Jahrhundert v. Chr. immer wieder weitere Bestattungen im Zentrum der Anlage, wobei im Einzelfall die Störung älterer Gräber und des inneren Steinkreises in Kauf genommen wurde. Die Belegung endet mit der Stufe IIb nach Keiling, eindeutige Formen der römischen Kaiserzeit treten mehr nicht auf.

Sowohl Urnengräber als auch Knochenlager waren ähnlich aufgebaut (Abb. 2–3). Die Bestattung lag in einer meist sehr dichten Packung aus Feldsteinen oder Feldsteintrümmern unter einem Deckstein, der wohl ursprünglich oberirdisch sichtbar war. Ankersteine sind eher selten, Sandsteinplatten wurden in der Steinpackung verbaut, kommen aber immer mit einfachen Geröllen vor.

Das Gefäßspektrum umfasst außer dem erwähnten Doppelkonus und dreigliedrigen Gefäßen auch Töpfe und Terrinen mit unterschiedlich ausgeprägtem Trichterhals, Terrinen mit kurzen, meist abgestrichenen Rändern und allgemein eher fließenden Umbrüchen sowie – als "Exoten" – flaschen- bis vasenförmige Gefäße und eine Terrine mit extrem ausgeprägtem Standfuß (Abb. 3).

56 % der Gräber enthielten Beigaben, überwiegend aus Eisen. Das sich noch in der Restaurierung befindliche Fundmaterial besteht aus Bruchstücken von Fibeln vom Mittel- und Spätlatèneschema sowie Resten von Nadeln und Gürtelhaken. Aus Bronze bestehen Teile einer Pommerschen Fibel und eine Zachower Fibel. Überliefert ist außerdem ein halber Halsring mit Kolbenende.

Außerhalb des Steinkreises wurde eine kleine Gruppe von Knochenlagern entdeckt. Diese Gräber separieren sich bewusst von den anderen. Es handelt sich zum Teil um relativ reich ausgestattete Bestattungen, so stammen aus dieser Gruppe die Pommersche Fibel und der Rest des Halsringes.

Die Anlage von Sellin ist bisher nur ansatzweise ausgewertet. Zusätzliche und detailliertere Ergebnisse erhoffen sich die Bearbeiter von der Restaurierung der Metallfunde und besonders von einer Untersuchung der Leichenbrände. Diese sind häufig in großer Menge und in sehr großen Stücken überliefert, so dass mit interessanten Ergebnissen zum Alter und Geschlecht der Toten zu rechen ist.

Norbert Kuhlmann M. A.

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