Lebendiges Industriedenkmal: die Forstsamendarre von Jatznick

Denkmal des Monats August 2009

Jatznick, Samen darre, Gesamtansicht von NordenDetails anzeigen
Jatznick, Samen darre, Gesamtansicht von Norden

Abb. 1: Jatznick, Samen darre, Gesamtansicht von Norden

Abb. 1: Jatznick, Samen darre, Gesamtansicht von Norden

Samendarren oder Samenklenganstalten dienen der Gewinnung von pflanzlichen Samen aus Samenträgern durch Wärmezufuhr und dem Befreien der Samen von Schuppen und Flügeln.

Die gezielte Gewinnung von Nadelholzsaatgut soll bereits im späten Mittelalter erfolgt sein. In den nachfolgenden Jahrhunderten bildeten sich viele kleine Darr- und Klenganstalten, in denen mittels unterschiedlicher Techniken Samen aus den Zapfen und anderen Samenträgern gewonnen wurden. Die Qualität des Saatguts ließ allerdings vielfach wegen zu hoher Darrtemperaturen oder falscher Lagerung zu wünschen übrig, da diese sich negativ auf die Keimfähigkeit der Samen auswirkten.

Die Errichtung zentraler Großdarren stand im Zusammenhang mit der Einführung der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden, klassischen, deutschen Forstwirtschaft und hatte zum Ziel, genetisch hervorragendes und einwandfreies Forstsaatgut aus den einheimischen Wäldern in ausreichender Menge zu erzeugen. Ausgelöst wurde diese Entwicklung gegen Ende des 19. Jahrhunderts wegen der jahrzehntelangen Übernutzung des Waldes in Folge des stark gestiegenen Holzbedarfs im 18. und 19. Jahrhundert, der eine umfängliche und gezielte Wiederaufforstung der Waldflächen erforderte.

1923 ließ der preußische Geheimrat Cuno von Pentz die Samendarre im verkehrstechnisch gut erschlossenen Jatznick als Sicherheitsdarre errichten. Die Samenproduktion erfolgte in zwei Gebäudeteilen, dem hölzernen, dreigeschossigen Zapfenspeicher und dem sich im Südwesten direkt anschließenden, massiv in Ziegeln gemauerten Darrgebäude, das drei Vollgeschosse und ein Halbgeschoss besaß. Die Darre zählte in jener Zeit zu den drei großen Samendarren im damaligen Preußen.

Die Besonderheit der Sicherheitsdarre bestand darin, dass durch das Arbeiten mit dem Gegenstromprinzip, in der die warme Luft im Darrschacht aufsteigt und sich nach oben hin abkühlt, die optimale Darrtemperatur von 60–70°C nicht überschritten wurde. Ein Überhitzen und damit eine Reduzierung der Keimfähigkeit der Samen konnte so weitestgehend ausgeschlossen werden.

Wie aber funktioniert die Darre? Die erste Phase der Trocknung der Samenträger erfolgt ohne Wärmezufuhr durch Lufttrocknung im Zapfenspeicher, einem holzverschalten Fachwerkbau. Durch ein ausgeklügeltes Lüftungssystem in Form von Lamellen, die in die Außenhaut integriert sind, werden eine weitgehend konstante Innenluftfeuchte erreicht und extreme Temperaturschwankungen vermieden. Erst in der aus brandschutztechnischen Gründen massiv gebauten Darre erfolgt die zweite Phase der Trocknung durch Wärmezufuhr, dem sogenannten Darren (Abb. 1).

Waldfeucht angelieferte und vorgereinigte Zapfen werden mit dem Elevator, der neben dem südlichen Treppenhaus angeordnet ist, in das Dachgeschoss des Zapfenspeichers, den Speicherboden, gebracht. Die Zapfen werden in Transportloren gefüllt und anschließend in die Trocknungsboxen der höchsten Ebene eingebracht. Über bewegliche Bodenklappen aus Holz, die mit Hebeln bedient werden, wandern die Zapfen etwa im 24-Stunden-Takt von Ebene zu Ebene. Während des freien Falls drehen sich die Zapfen, so dass ein ausreichendes Durchmischen und Wenden gewährleistet ist und eine ausgeglichene Vortrocknung und Senkung des Feuchtegrads erfolgen kann (Abb. 2–3).

Nachdem der Lufttrocknungsprozess beendet ist, in dem sich der Feuchtegehalt der Zapfen auf etwa 30 % reduziert hat, werden die Zapfen mittels Loren über den Verbinder, der sich zwischen Darrgebäude und Zapfenspeicher befindet, in das Darrgebäude überführt. Hier werden die Nadelholzsamen durch Wärmeeinwirkung in mehreren Stufen von den Zapfen getrennt. Die Wärme wird durch den im Erdgeschoss angeordneten Darrofen erzeugt und erhöht sich kontinuierlich nach unten von Ebene zu Ebene (Abb. 5). In der Vordarre, die sich im dritten Obergeschoss befindet, darren die Zapfen bei einer Temperatur von 10–20°C vor. Wie im Zapfenspeicher besitzen die Böden bewegliche, manuell zu bedienende Bodenklappen, die im zweiten Obergeschoss als beweglicher Metallrost ausgebildet sind. Nach Abschluss des Vordarrens fallen die Zapfen durch die geöffneten Bodenklappen in die darunter liegende Ebene, die Mitteldarre, in der die Hordendarren liegen. Die Darrung wird nun bei erhöhter Temperatur fortgeführt. In der Hauptdarrebene im ersten Obergeschoss, die mit Trommeldarren ausgerüstet ist, erfolgt bei bis zu 70°C das Fertigdarren (Abb. 6). Die Zapfen öffnen sich nun so weit, dass die Samen herausfallen können. Unterstützt wird der Vorgang durch periodisch erfolgende Drehbewegungen der Darrtrommeln. Das ausgeklengte Rohsaatgut fällt durch die perforierte Oberfläche der Darrtrommeln in Trichter und wird durch hier angebrachte Säcke aufgefangen. Der gewonnene Rohsamen wird abschließend durch ein Rüttelsieb gereinigt und die Flügel in einem Nockenentflügler vom Saatgut getrennt. Der gewonnene hochwertige Samen wird anschließend in luftdicht verschließbare Glasflaschen gefüllt und im Samenkeller des Zapfenspeichers gelagert. Unter optimalen Lagerbedingungen bleiben die Samen bis zu 25 Jahre keimfähig.

Bereits nach zwölf Betriebsjahren zerstörte ein Feuer, das nach Aussagen von Zeitzeugen auf einen Schornsteinbrand zurückzuführen war, den vollständig in Holz errichteten Zapfenspeicher und einen Teil des Darrgebäudes. 1936 erfolgte rasch der Wiederaufbau. Der Zapfenspeicher erhielt abweichend vom dreigeschossigen Vorgängerbau fünf Ebenen. Um eine bessere Feuersicherheit zu erreichen, wies Cuno von Pentz die am Bau Beteiligten an, die Schornsteine der Darre mit verbesserten Feuerschutzklappen zu versehen. Zugleich wurden neueste Entwicklungen in den Neubau integriert, unter anderem ein Fahrstuhl für den innerbetrieblichen Material- und Personentransport. Zur Verbesserung der Effektivität erhielten die Trocknungsboxen im Erdgeschoss Klappen, durch die die Transportloren direkt befüllt werden konnten (Abb. 4). Zwei Treppenhäuser – je eines an Nord- und Südseite – wurden aus brandschutztechnischen Gründen gebaut. 1937 war der Wiederaufbau abgeschlossen und die Samendarre in Jatznick nahm die Samengewinnung – wie auch vor dem Brand – unter der Leitung von zwei Darrmeistern wieder auf.

Während des Zweiten Weltkriegs verringerte sich die Anzahl der Mitarbeiter und in diesem Zusammenhang die Produktionsleistung der Großdarre spürbar. Bei einem sowjetischen Bombenangriff auf den direkt benachbarten Jatznicker Bahnhof im April 1945 wurde das Wohn- und Geschäftsgebäude der Samendarre zerstört. Die übrigen Gebäude wurden beschädigt. Die Produktion kam nun vollständig zum Erliegen.

Unter schwierigen Bedingungen erfolgten nach 1945 Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten an den verbliebenen Gebäuden und technischen Anlagen. Erst 1953 konnte die Produktion in der Samendarre wieder aufgenommen werden, die dem staatlichen Forstbetrieb Torgelow zugeordnet wurde. Nach der politischen Wende musste die Saatgutproduktion, die in dieser Zeit unter anderem wegen gravierender Umstrukturierungen in der Forstverwaltung unter erschwerten Umständen fortgeführt wurde, den neuen marktwirtschaftlichen Verhältnissen angepasst werden. Die Produktpalette wurde nun um Saatgut von Früchten, Laubbäumen und Sträuchern erweitert.

Um 1999 erkannten die Betreiber der Samendarre die Notwendigkeit, eine Teilmodernisierung und eine wesentliche Verbreiterung der Angebotspalette durchführen zu müssen, um den Produktionsstandort in Jatznick auch auf lange Sicht abzusichern. Schon ein Jahr zuvor gründete sich der Förderverein "Samendarre Jatznick e. V." mit dem Ziel, den kulturhistorischen Wert der Samendarre zu erhalten.

In enger Zusammenarbeit mit dem Land und der Kommune wurde ein Konzept erarbeitet, das den Erhalt als Produktionsstätte und Schaumanufaktur vorsah. Zugleich sollte die Darre als Kommunikations-, Lehr- und Begegnungszentrum dienen. Dies machte Erweiterungsbauten für den Verwaltungs-, Kommunikations-, Tagungs- und Ausstellungsbereich notwendig. Die Instandsetzungs-, Umnutzungs- und Neubaumaßnahmen, die in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege durchgeführt wurden, konnten 2006 weitestgehend abgeschlossen werden.

In hervorragender Weise wurde der Zeugniswert der Samendarre erhalten. Sämtliche technischen Einbauten oder Geräte wie die bauzeitlichen Trocknungsboxen im Speicher, der Darrofen, die Horden- und Trommeldarren, die Entstaubungsanlage, Nockenentflügler und Loren sowie das zugehörige Schienensystem wurden erhalten und werden weiterhin für die Produktion genutzt. Die Erschließung des Gebäudes für die Besucher erfolgt durch einen westlich vor die Fassade gestellten Treppenturm mit Fahrstuhl. Über eine Rampe kann der Boden des Zapfenspeichers auch barrierefrei erreicht werden. Umnutzungstechnisch bedingte Eingriffe in die Bausubstanz des Denkmals sind auf das Herausbrechen der Fensterbrüstungen einer Fensterachse reduziert, so dass vom Treppen- und Fahrstuhlturm die einzelnen Etagen der Darre begangen werden können. Sämtliche technische Anlagen erhielten eine Umhüllung mit einem engmaschigen Gitternetz, um Verletzungen für die Besucher auszuschließen. Diese haben so die Möglichkeit, sich ohne Führung im Gebäude zu bewegen. Die Fassade und die Innenkonstruktion wurden unter der Prämisse des größtmöglichen Substanzerhalts repariert. Die baufeste Ausstattung wie die Lamellenkonstruktion in der Außenhaut, Fenster, Türen und Treppen wurde erhalten und aufgearbeitet. Die Neubauten, die sich in zeitgemäßen Formen vom historischen Bestand absetzen, ergänzen den Gebäudekomplex maßvoll. Kühlzellen für die fachgerechte Lagerung des gewonnenen Samens und moderne Produktionsvorrichtungen zur Samengewinnung wurden in das massive Erdgeschoss des Zapfenspeichers eingebaut.

Die beispielhafte denkmalgerechte Instandsetzung und Umnutzung als Schaumanufaktur sichert den Produktionsstandort in Jatznick und den Erhalt eines in Mecklenburg-Vorpommern einzigartigen lebendigen Industriedenkmals. Zugleich gibt die Samendarre einen wichtigen Impuls für die wirtschaftliche und touristische Entwicklung der Region.

Annette Krug

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