Man muss schon genau hinschauen! Ein Plädoyer für die Bauforschung am Beispiel des sogenannten Pförtnerhauses in Bergen auf Rügen, Billrothstraße 20

Denkmal des Monats Dezember 2010

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Bergen auf Rügen, Marienkirche Südwestseite, 2006

Abb. 1: Bergen auf Rügen, Marienkirche Südwestseite, 2006

Abb. 1: Bergen auf Rügen, Marienkirche Südwestseite, 2006

Der Weg führt von Süden auf die Marienkirche in Bergen zu. Man geht an barocken Gebäuden, aber auch an einem kleinen Haus vorbei auf den neu gestalteten Klosterhof, der – ebenso wie die die Kirche umgebenden Gebäude – nicht mehr von dem klösterlichen Leben zeugt, das in Bergen auf Rügen bereits seit 1193 eingezogen war. Nachdem Jaromar I. im Jahr 1168 nach der Eroberung Rügens durch die Dänen zum Christentum übergetreten war, hat er ab 1180 auf dem Rugard, einem ehemaligen Burgwall der Ranenfürsten, eine Kirche erbauen lassen. Benediktinerinnen beteten ab 1193 für das Seelenheil des Rügener Fürstenhauses.

Die Klosterkirche ist in wesentlichen Teilen noch erhalten (Abb. 1). Die übrigen Gebäude sind den Unbilden der Zeitläufe zum Opfer gefallen. Im Jahr 1445 hatte ein Brand für Zerstörungen des Klosters gesorgt, die 1447 wieder beseitigt waren. Das Refektorium im Südflügel brannte 1472 oder 1473 erneut aus. Die Säkularisierung 1539 hatte die Umwandlung des Klosters in ein adliges Damenstift zur Folge. Die schweren Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs führten zu Hungersnöten und wirtschaftlichem Niedergang. Die verfallenen Klostergebäude wurden ab 1660 abgerissen, die neuen Stiftsdamen mussten mit den umliegenden Häusern Vorlieb nehmen. Erst von 1732–1736 errichtete man neue Stiftsgebäude, die bis zur Auflösung des Damenstifts im Jahr 1945 als solche genutzt wurden. Sie wurden in den letzten Jahren saniert und dienen heute unterschiedlichen Zwecken. Hier ist unter anderem das Kreismuseum von Rügen angesiedelt.

Die bauliche Situation des ummauerten Klosterbereiches 1722–1732 zeigt ein Plan im Kreisarchiv Rügen (Abb. 2). Die Marienkirche ist nur mit der Südwand dargestellt. Drei Strebepfeiler sind zu erkennen. Der ehemalige Kreuzgang ist noch ablesbar. Er ist noch umgeben von Gebäuden, über deren Bauweise heute keine Aussage mehr gemacht werden kann. Im Kern dürften sie jedoch noch der ehemaligen Klausur des Klosters entstammen. An der Westseite sind Wandvorlagen eingezeichnet, die als Dienste interpretiert werden dürfen. Ein gewölbter Kreuzgang ist somit sehr wahrscheinlich. In der Legende des Planes werden die Funktionen beschrieben. Unter "P" findet sich die Angabe "Das Lankensche Haus, so vor diesem mit zum Refectorio gehöre." Es befindet sich an der Südostseite des Hofes direkt neben dem Zugang.

An dieser Stelle steht heute ein kleines Haus, dessen Werte erst spät erkannt wurden. Seine Bezeichnung "Pförtnerhaus" weist wohl auf die Zugangssituation zum Hof hin. Zu DDR-Zeit mit dem üblichen Zementputz versehen, stand es als unscheinbares Gebilde zum Verkauf (Abb. 3). Der Standort und erste Anzeichen im Innern ließen jedoch vermuten, dass sich in dem Gebäude mehr verbergen könnte. Der örtliche Sanierungsträger GSOM veranlasste auf Drängen des Landesamtes für Denkmalpflege eine bauhistorische Untersuchung, deren erste Phase durch das Architekturbüro Grieger, Sarfert, Kiel und Bergen, im September 2003 abgeschlossen wurde.* Sie führte zu einer Baualterskartierung der inneren Wände und Ausbauten. Die Befunderhebung wurde im September/Oktober 2006 durch eine weitere Befunduntersuchung des mittelalterlichen Mauerwerks von Bauforscher Jens Christian Holst, Hoisdorf, ergänzt. Diese Untersuchungen haben den außergewöhnlichen Stellenwert als Baudenkmal schnell deutlich gemacht. Es handelt sich um das auf dem Klosterplan von 1722–1732 dargestellte Gebäude und hat einen mittelalterlichen Kern, der es als Teil des Refektoriums ausweist. Die Nord-, Ost- und Südwand bestehen aus Klosterformatsteinen. Ihre Dicke lässt darauf schließen, dass das ursprüngliche Gebäude höher war. Am ältesten ist die Nordmauer, von der drei Mauerpfeiler bis zur Traufe erhalten sind. Ost- und Südmauer sind laut Gutachten nur unwesentlich jünger. Die Befunde weisen hier auch auf die Einwölbung des Kreuzganges hin. Doch auch im Innern kann durch den erhaltenen Ansatz einer Gewölberippe auf ein Gewölbe geschlossen werden, das einer zweiten Bauphase zuzuordnen ist, die mit dem Brand des Refektoriums zusammenhängen könnte, denn ein Gewölbe wurde auch aus Brandschutzgründen gebaut. In der Südostecke der westlichen Raumzone wird der Sitz der Vorleserin vermutet.

Die Umfassungsmauern wurden nach Abbruch der mittelalterlichen Mauerzüge umfassend bearbeitet und die heutige Gebäudekubatur hergestellt (Abb. 4). Die Westmauer wurde gebaut, und die Fensterachsen unter Abbruch der ursprünglichen Gewände angeglichen. In den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zu kleineren Veränderungen an den Innenwänden, den Eingangssituationen und den Fensterzuschnitten. Zu DDR-Zeiten waren für den Einbau neuer Fenster Normmaße ausschlaggebend. Die Laibung musste dafür verschmälert werden.

Das Gebäude ist das einzige aus der Zeit vor dem Neubau der Stiftsbauten erhaltene Individualwohnhaus einer evangelischen Konventualin. Auch wenn nur noch der Rohbau erhalten ist, lässt er doch die Details erahnen, die den frühbarockzeitlichen Charakter ausmachten. Wir müssen uns eine groben gekalkten Rauputz und außenbündige Fenster vorstellen. Im Innern dürften die tiefen Laibungsnischen wie die Innenwände wellig geputzt gewesen sein.

Ohne Bauforschung wäre die Geschichte dieses Hauses in der ganzen Breite nicht deutlich geworden. Es hat sich gezeigt, dass die eingehenden Untersuchungen und zeichnerischen Darstellungen der Gebäudestruktur verschiedenen Bauphasen zuzuordnen sind, die einen hohen denkmalkundlichen, geschichtlichen und architekturhistorischen Wert beinhalten. Das ehemalige Nonnenkloster ist an dieser Stelle noch mit aufstehendem Mauerwerk vertreten.

Mit einem nun erfolgten Besitzerwechsel sind neue Nutzungen des Gebäudes geplant, die die diese Befunde respektieren müssen. Gestaltungen und Veränderungen können nur gemäß einer denkmalpflegerischen Zielstellung im Einklang mit den Relikten der verschiedenen Nutzungsphasen entwickelt werden.

Dr. Klaus Winands


* Die Untersuchungsergebnisse vom Architekturbüro Grieger Sarfert und Jens Christian Holst befinden sich in der Objektakte in der Registratur des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege, Archäologie und Denkmalpflege.

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