Stein des Anstoßes?! Das "unbequeme" sowjetische Ehrenmal am Neuen Markt in der Hansestadt Stralsund

Denkmal des Monats Juni 2014

Hansestadt Stralsund, Neuer Markt, Marienkirchhof, Ehrenmal, Stele von NordenDetails anzeigen
Hansestadt Stralsund, Neuer Markt, Marienkirchhof, Ehrenmal, Stele von Norden

Abb. 1: Hansestadt Stralsund, Neuer Markt, Marienkirchhof, Ehrenmal, Stele von Norden

Abb. 1: Hansestadt Stralsund, Neuer Markt, Marienkirchhof, Ehrenmal, Stele von Norden

In Zeiten von Jahrestagen politischer Schreckensereignisse rücken Denkmale in den Blickpunkt, die aus verschiedenen Anlässen als Erinnerungsmale errichtet worden sind. Gerade die Denkmale aus der sowjetischen Besatzungszeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR verdienen in der heutigen Zeit besonderer Aufmerksamkeit.

In der Hansestadt Stralsund sorgt eines dieser politischen Memoriale für heftige Diskussionen. Auf dem Marienkirchhof, angrenzend an den Neuen Markt auf der Nordseite der Marienkirche, befindet sich ein Ehrenmal aus sowjetischer Zeit. Es wurde 1945 auf Befehl des sowjetischen Stadtkommandanten mit Gräbern für gefallene oder gestorbene Angehörige der Roten Armee in der Grünanlage nördlich der Marienkirche angelegt. Bis 1948 erfolgten Umbettungen von anderen Stralsunder Friedhöfen. Eine hohe Umfassungsmauer und ein dreiachsiges Portal mit einer russischen Inschrift grenzten den Bereich zum Neuen Markt ab. Diese wurden im Jahr 1967 entfernt und die Anlage erhielt aus Anlass des 50. Jahrestages der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" die heutige Form (Abb. 1).

Im Zentrum der Anlage befindet sich eine mit vier Stufen ansteigende, von flachen Ziegelmauern eingefasste Terrasse, an deren südlichem Ende sich eine Stele erhebt. Vor der Stele liegt ein symbolischer Sarkophag mit einer Platte, die ursprünglich eine russische Inschrift trug.

Die Stele besteht aus zwei nach oben sich verjüngenden konischen Elementen. Der auf den Außenseiten und der Rückseite sichtbare Teil ist aus 21 Lagen Kiewer Granit zusammengesetzt. In diesen Baukörper ist ein Keil von 16 Lagen des gleichen Materials eingearbeitet, der sowohl an der Vorderseite als auch an der Spitze vorkragt. Auf diesem Keil befindet sich in der oberen Hälfte das Emblem der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. So entstehen zwei ineinandergeschobene Kuben, die zum Platz hin im unteren Teil ein lebensgroßes Bronzerelief schmückt (Abb. 2). Dargestellt sind ein Rotarmist und ein Arbeiter, die sich die Hand reichen. Sie schließen damit ein Bündnis über den Gräbern der Kriegstoten. Der Bildhauer Johannes Friedrich Rogge (1898 – 1963) schuf dieses bis heute bedeutungsvolle Symbol für Frieden.

Über die genaue Zahl der Gräber auf der Rasenfläche neben dem Obelisken gibt es verschiedene Angaben. Sie reichen von 60  –130. Wesentlich ist ihre Existenz. Für die Gesamtgestaltung bedeutend ist auch die Reihung von Grabplatten mit russischen Namen und Inschriften parallel zur Kirche entlang an einem Plattenweg (Abb. 3). Die Stele steht in der Achse zum Nordportal der Marienkirche. Sie überragt den Portalvorbau und erhebt sich bis etwa in die Mitte des großen Seitenschiffnordfensters. Dies wurde zur Erbauungszeit als politische und monumentale Manifestation als Gegenpart zum Sakralbau verstanden und sollte bewusst als Sieg des Sozialismus gedeutet werden, der durch die leicht erhöhte Anlage des Ehrenmals einen neuen sakralen Ort schuf, an dem die besten Söhne der Völker der Sowjetunion geehrt werden sollten. Es sind dies die Gefallenen und Verstorbenen des von der sowjetischen Geschichtsschreibung als "Großer Vaterländischer Krieg" bezeichneten Teils des Zweiten Weltkriegs, der 1941 mit dem Überfall NS-Deutschland auf die UdSSR begann und mit dem Sieg 1945 über das NS-Regime endete. Der Ehrenhain und die Stele mit dem Emblem der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unterstreichen, dass an dieser Stelle allen Opfern des Kriegs, die sowjetischer Herkunft waren, gedacht werden sollte.

Welcher Stellenwert kann dem Denkmal heute zugemessen werden? Das Ehrenmal hat unbenommen geschichtliche Bedeutung, denn es macht politische Geschichte bewusst und gibt Auskunft über die Interpretation von Geschichte einer vergangenen Epoche. Außerdem hebt seine qualitätvolle künstlerische Gestaltung es über die Vielzahl sowjetischer Ehrenmale in Kleinstädten und Landgemeinden hinaus. Somit tritt neben die politisch-historische Bedeutung die künstlerische Dimension. Auch ist für diese Denkmalgattung die Wahl des Platzes sehr wichtig. Um das kollektive Gedächtnis zu wahren, legte man derartige Friedhöfe an verkehrsreichen Stellen oder an Marktplätzen an. Dadurch wird der Standort auch ein Dokument, das Zeugnis von der Geschichte ablegt.

In den letzten Jahren wurde in der Hansestadt Stralsund heftig über das Denkmal und insbesondere seinen Standort diskutiert. Es ist geplant, den Neuen Markt und den Marienkirchhof, der die gesamte Marienkirche umgibt, neu zu gestalten. Zu diesem Zweck hat es im Februar 2013 einen "Beteiligungsprozess Stadtraum Neuer Markt" mit einer Bürgerwerkstatt gegeben, bei der offen über die Probleme und Anregungen der Bürger diskutiert wurde. Ein breiter Konsens bestand in der besonderen Bedeutung des Friedhofs, der allerdings eine Neugestaltung erfahren kann. Es wurde "für Souveränität und Toleranz im Umgang mit dem historisch geprägtem Ort und den verschiedenen Zeugnissen der Stadtgeschichte" (1) plädiert. Der Öffnung und Zugänglichkeit des Nordportals der Marienkirche wurde eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Kirchengemeinde forderte dezidiert einen barrierefreien Zugang ohne Stele. Das Denkmal störe die Sichtachse auf den Neuen Markt (Abb. 4) und den Blick auf das gestaltete Nordportal (Abb. 1). Eine Umsetzung mit Veränderung des Podestes werde deshalb bevorzugt.

Im September 2013 fand im Rahmen des Beteiligungsprozesses ein Workshop Marienkirchhof/Ehrenfriedhof statt, bei dem die Denkmalbehörden die Möglichkeit hatten, die historische Entwicklung des Areals und die geschichtliche und städtebauliche Bedeutung des Denkmals genau an diesem Standort zu erläutern. (2) Die Veränderung des Ehrenfriedhofs mit möglicher Umsetzung der Stele blieb aber bei den beteiligten Bürgern und Vertretern der Kirchengemeinde nach wie vor ein wichtiges Thema, um das Nordportal freizustellen und die Wegeverbindung zur Innenstadt zu öffnen. Das Argument, dass hinter dem Denkmal genügend Platz für den Zugang zum Nordportal sei, wurde nicht akzeptiert.

Der Beteiligungsprozess der Bürger hat gezeigt, dass es ein breites Meinungsspektrum zur zukünftigen Gestaltung des Neuen Marktes und des Marienkirchhofes gibt. Die denkmalfachliche Position für den Ehrenfriedhof mit der Stele ist indes eindeutig. Die Denkmalfähigkeit ist durch die historische und künstlerische Bedeutung begründet. Die Denkmalwürdigkeit, also das öffentliche Erhaltungsinteresse, steht hier auf dem Prüfstand. Die Landesdenkmalpflege sieht dieses nur dann gegeben, wenn die Stele an ihrem jetzigen Ort stehen und der Ehrenfriedhof als solcher belassen bleibt. Das Bestreben der Bürger für eine Umsetzung zeigt hingegen eine andere Auffassung. Die Bürger interpretieren dies ebenfalls als öffentliches Interesse. Die Denkmalwürdigkeit ist jedoch gegeben, wenn die besondere Bedeutung eines Denkmals durch Fakten und Belege erwiesen ist. Außerdem muss es in das Bewusstsein der Bevölkerung eingegangen sein oder mindestens nach dem Wissens- und Erkenntnisstand sachverständiger Betrachter anerkannt werden. In der Hansestadt Stralsund sind die Fakten zum Ehrenmal präsent.

Beim Ehrenmal geht es nicht nur darum, die Substanz, das heißt die gestufte Terrasse, den Sarkophag, das Denkmal und den Friedhof zu bewahren, sondern die Substanz muss der historischen Bedeutung gerecht werden. Die hanseatischen Bürger bewerten das Denkmal aus ihrer Sicht nur als Relikt der sowjetischen Zeit, die in die heutige Zeit transponiert wurde. Eine spätere Sicht, einen Umgang mit dem Denkmal im konservatorischen Sinne oder eine geschichtskritische und dadurch auch ideologischen Aufarbeitung, hat es bis heute in der Tat nicht gegeben. Insgesamt sind bauliche und gestalterische Mängel entstanden, die einer Reparatur bedürfen und heute ein unbefriedigendes Bild abgeben und Teil der kritischen Haltung gegenüber dem Ehrenmal sind.

Es ist geplant, aus den Ergebnissen der verschiedenen Phasen der Bürgerbeteiligung einen Gestaltungswettbewerb für den Neuen Markt und den Marienkirchhof zu initiieren. Hier sind auch Ideen gefragt, die einerseits das Denkmal respektieren und andererseits den Anforderungen der Bürger genügen. Denkmalwürdigkeit und Denkmalfähigkeit hat das Ehrenmal nur durch seinen Standort an jetziger Stelle. Hier sind alle Bedeutungsebenen, die oben genannt wurden, vereint und erlebbar. Veränderungen, insbesondere durch Umsetzung der Stele und Umbettung der Gräber, sind aus denkmalfachlicher Sicht schwer vorstellbar und würden eine Neubewertung des Denkmalwertes zur Folge haben. Es ist zu wünschen, dass die Denkmalbehörden in den Planungsprozess zum Marienkirchhof frühzeitig einbezogen werden, um die Konflikte zu erörtern und nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen.

Für das sowjetische Ehrenmal mit der eindeutigen politischen Aussage ist abschließend festzustellen, dass es eine Bedeutung für die Erinnerungskultur zu einer abgeschlossenen Epoche mit einem bedeutenden gesellschaftlichen Ereignis hat. Der Zeugniswert, der in der überkommenen Authentizität des Denkmals liegt, sollte als Vermittler zwischen dem historischen Wissen der sowjetischen Besatzungszeit und der Vorstellungskraft des Lebens dieser Zeit für die Menschen liegen. Denn Geschichte ist im Kern "abwesend und unanschaulich" (3). Sie bedarf der Denkmale als Vermittler und als Anschauungsobjekte.

Dr. Klaus Winands


Anmerkungen

(1) Hansestadt Stralsund, Stadtraum Neuer Markt, Beteiligungsprozess, Bericht und Empfehlungen. Februar 2013 (Manuskript), S. 15.

(2) Hansestadt Stralsund, Stadtraum Neuer Markt, Rahmenaussagen. Workshop Marienkirchhof/ Ehrenfriedhof. 25.09.2013 (Manuskript).

(3) Vergleiche Stephanie Warnke-De Nobili, Die Materialität historischer Quellen und der historische Zeugniswert von Denkmalen. In: Hans-Rudolf Meier/Ingrid Scheurmann/Wolfgang Sonne (Hrsg.), Werte. Begründungen der Denkmalpflege in der Geschichte und Gegenwart, S. 102–111 (hier S. 108). Berlin 2013.

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