Gefangen im Denkmal. Die Sanierung des Sterngebäudes der JVA Bützow-Dreibergen.

Denkmal des Monats Juli 2017

Abb. 1. Bützow, Lkr. Rostock, Kühlungsborner Straße 29a, Justizvollzugsanstalt, Sterngebäude, Eingangsbau und westlicher Flügel (Haus A) von Süden, 2017. Details anzeigen
Abb. 1. Bützow, Lkr. Rostock, Kühlungsborner Straße 29a, Justizvollzugsanstalt, Sterngebäude, Eingangsbau und westlicher Flügel (Haus A) von Süden, 2017.

Abb. 1. Bützow, Lkr. Rostock, Kühlungsborner Straße 29a, Justizvollzugsanstalt, Sterngebäude, Eingangsbau und westlicher Flügel (Haus A) von Süden, 2017.

Abb. 1. Bützow, Lkr. Rostock, Kühlungsborner Straße 29a, Justizvollzugsanstalt, Sterngebäude, Eingangsbau und westlicher Flügel (Haus A) von Süden, 2017.

Fast neun Jahre nach dem Protest von zur DDR-Zeit aus politischen Gründen in den Bützower Gefängnissen inhaftierter Häftlinge gegen die Forderung des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern, die historischen Hafthäuser der Justizvollzugsanstalt Bützow zugunsten eines kostengünstigeren Neubaus abzureißen, konnte am 21. April 2017 nach mehr als zweieinhalbjähriger Bauzeit der zweite Realisierungsabschnitt der schrittweisen Sanierung des historischen Gefängnisses im Beisein der Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Katy Hoffmeister, feierlich übergeben werden.

1839 wurde mit der Eröffnung der Landesstrafanstalt Dreibergen nördlich von Bützow die Inhaftierung von Strafgefangenen in der Festung Dömitz aufgegeben. Damit gehört der Kernbau der JVA Bützow zu den frühesten Strafvollzugsanstalten in Deutschland, die dem gewandelten Verständnis von Verbrechen und Strafe folgend eine neue Gefängnisarchitektur vertreten. Ende des 18. Jahrhunderts gab man die Unterbringung der Gefangenen gemeinsam mit Geisteskranken und Häftlingen in überfüllten Räumen auf und entwickelte in Amerika die Einzelhaft, die entweder auf reine Buße und Einkehr zielte (Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania) oder mit schwerer Arbeit kombiniert wurde (Auburn im Bundesstaat New York). Für die typologische Entwicklung der Gefängnisarchitektur hatte dies zur Folge, dass die Gebäudeflügel mit einer Abfolge von Einzelzellen strahlenförmig um einen zentralen Baukörper gruppiert wurden, der einem Panoptikum gleich eine Überwachung aller Flügel und Geschosse ermöglichte. Als älteste Beispiele in Deutschland nach dem pennsylvanischen respektive auburnschen System gelten die Strafanstalten Berlin-Moabit (1844), Münster (1845) und Bruchsal (1848).

Deutlich früher und das amerikanische Vorbild in etwas reduzierter Form reflektierend entstand das Sterngebäude der Justizvollzugsanlage Bützow, dessen Ursprungsanlage aus fünf Gebäuden bestand. An den zentralen, von den beiden charakteristischen achteckigen Türmen bekrönten Baukörper (Abb. 1) schließen sich links und rechts dreigeschossige unterkellerte Zellentrakte an. An den Kopf des dritten mittigen Flügels, in dem sich ursprünglich keine Hafträume befanden, ist schließlich ein dritter Zellentrakt T-Förmig angegliedert (Haus C). In einem kurzen Abstand war südwestlich ein weiteres Hafthaus vorgelagert (Haus A), das schon 1860 ein Pendant erhielt (Haus B). Beide Trakte wurden zwischen 1904 und 1906 mit dem Kernbau verbunden, wodurch die charakteristische Einfassung des Hofes zwischen Torhaus und Hafthaus entstand. Im Laufe der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden eine Reihe von Wirtschaftsgebäuden und das Frauenhaus, die sich um das Sterngebäude gruppierten.

Die Hafthäuser links und rechts des Zentralbaus umfassen über einem Keller drei Hauptgeschosse. Die ursprünglich zwischen 2,5 x 2,5 m bis 3,5 x 3,5 m messenden Gefängniszellen werden über Galerien erschlossen. Zwischen den Galerien verlaufen die Treppen und ermöglichen den Lichteinfall von den Oberlichtern der Massivdächer bis zum Erdgeschoss (Abb. 2). Die Galerien stehen mit denen der zentralen Halle (Panoptikum) in Verbindung, die in gleicher Weise konstruiert ist (Abb. 3).

Vor allem nicht mehr zumutbare Haftbedingungen, Brandschutzforderungen und energetische Aspekte begründen die umfangreichen Bauarbeiten am Kernbau, die vor mehr als 10 Jahren mit dem nördlichen Flügel (Haus C) begonnen worden war. Während dort die historischen Erschließungskerne mit den Galerien und Treppenläufen partiell zugunsten geschlossener Decken aufgegeben wurden, blieb bei der Modernisierung des westlichen Flügels (Haus A) nicht nur die Grundanlage der Zellenstruktur erhalten, sondern auch die Galerieerschließung mit den offenen Treppenanlagen. Wie schon beim Umbau des Nordflügels (Haus C) erfolgte zur Schaffung angemessener Hafträume bereichsweise eine Zusammenlegung der Zellen. Ihnen sind Sanitärbereiche unmittelbar zugeordnet, indem man einzelne Zellen entsprechend umbaute. Die Türöffnungen wurden beibehalten, die historischen Türen jedoch gegen moderne ausgetauscht, die alle sicherheits-, brand- und schallschutztechnischen Anforderungen erfüllen (Abb. 4). Einzelne historische Zellentüren ließen sich nach ihrer Aufarbeitung als Blindtüren an Ort und Stelle erhalten (Abb. 5). Die nicht ausreichend tragfähigen Holzfußböden der Galerien mußten ersetzt werden. Die neuen Geländer der Galerien und Treppenläufe, die an die Stelle der späteren Stabgeländer treten, wurden in Analogie zu historischen Vergleichsbeispielen entwickelt. Die Beibehaltung der Stahlträger stellte eine Herausforderung dar, weil für das tragende Mauerwerk keine ausreichende Stabilität nachgewiesen werden konnte. Aus brandschutztechnischen Gründen erfolgte eine Unterteilung der Flügel in Brandabschnitte, was den Einbau von entsprechenden Türelementen notwendig machte. Im Sinne des historischen Panoptikums wurden transparente Türelemente gewählt, die auch den heutigen Sicherheitsüberlegungen entgegenkommen. Darüber hinaus machte der Brandschutz den Einbau eines notwendigen Treppenhauses mit direktem Ausgang ins Freie im südlichen Kopfbereich erforderlich. Abgesehen von der Auflösung der Zellenstruktur in diesem Bereich und den Deckendurchbrüchen war mit dem Einbau dieser Treppe lediglich die Änderung eines Fensters zur Tür verbunden.

Wesentlich schwerwiegender griff die Verlängerung der Zellenfenster in die historischen Fassaden ein, die bis dahin von den drei Geschossreihen querformatiger Segmentbogenfenster geprägt wurden. Eine Verlängerung der Zellenfenster, deren Scheitel unmittelbar unter der Decke liegt, war bereits 1996/97 bei Haus C vorgenommen worden. Die dreiflügelige Teilung der in dieser Weise verlängerten Fenster orientiert sich an den Fenstern im Haupttrakt, der nie Zellen besaß und insofern den Typ des hochformatigen Segmentbogenfensters seit der Bauzeit tradiert. Auf die dort überlieferte Sprossenteilung wurde allerdings wegen der Überschneidungen mit dem Raster des Gitters verzichtet (Abb. 6 und 7). In der Fassade wird die Verlängerung der Zellenfenster durch den Materialwechsel beim Fenstergewände deutlich, denn die verwendeten neuen Steine für die Gewändeverlängerung weichen in der Oberflächenstruktur und Farbigkeit etwas von den historischen Steinen ab (Abb. 8). Die aus den Fensterbrüstungen gewonnenen Backsteine wurden vor allem als Austauschmaterial für die Reparaturbereiche innerhalb der Fassaden verwendet. Insbesondere in den unteren Fassadenabschnitten treten die Reparatur- und Veränderungsmaßnahmen in Erscheinung, weil sich der helle Fassadenanstrich nicht restlos entfernen ließ, ohne Gefahr zu laufen, die Steinoberflächen zu zerstören. Versuche zur Egalisierung der Fassaden, indem gemäß historischem Vorbild eine Rötelung der Fassaden erfolgt, wurden nach mehreren Probeflächen verworfen. Von besonderer Bedeutung war bei der Fassadensanierung der Erhalt der großen bauzeitlichen Eisengusselemente in den Giebeln der Hafthausflügel, die wesentlich zur Belichtung der Erschließungsbereiche beitragen (Abb. 9). Sie wurden entglast, aufgearbeitet und neu gestrichen sowie mit einer raumseitig ergänzten Verglasungsebene ausgestattet.

Abgesehen von der Erneuerung der Fenster konzentrierten sich die energetischen Maßnahmen auf die Dämmung der Kellersohle und des Daches. In Zusammenhang mit den Arbeiten am Kellerfußboden erfolgte auch die Vertiefung des historischen Versorgungskanals unter der Kellersohle für den modernen Medienkanal. Bei den damit verbundenen umfangreichen Abschachtungen und Fundamentverstärkungen traten etwa 300 Findlinge mit Umfängen von 90-180 cm zutage, die aus dem Haus geschafft werden mussten. Da die unmittelbar an den Zentralbau anschließenden Flügel ein Massivdach besitzen, das zugleich den oberen Abschluss des Erschließungskerns bildet, konnte die Dämmung der Dachflächen nur auf der Oberseite montiert werden. Infolgedessen war eine Änderung des Traufgesimses angeraten, was wiederum den Verlust der ursprünglichen aufgesetzten Gussrinnen nach sich zog. Letztere hätten allerdings ohnehin nicht integriert werden können, weil die einzelnen Elemente vielfach gerissen und ihre Befestigungshaken abgängig waren. Das Dach des südlichen Flügels erhielt in Korrespondenz zu dem schon 2004 instandgesetzten Dach des gegenüber liegenden Flügels (Haus B) eine Eindeckung mit rechteckigen Flachziegeln, die näherungsweise dem Erscheinungsbild eines für die Entstehungszeit und den Bautyp charakteristischen Schieferdaches entsprechen. Anstelle der bei Haus B am Dachtragwerk nachweisbaren Konstruktion einer aufgesetzten Rinne erfolgte auch hier der Wechsel zu einer vorgehängten Rinne.

Im Ergebnis der aufwendigen und langwierigen Sanierung der schon 1979 in die Zentrale Denkmalliste der DDR aufgenommenen Justizvollzugsanstalt Bützow-Dreibergen gelang es, die baulichen Voraussetzungen für einen modernen rechtsstaatlichen Strafvollzug zu schaffen. Überlegungen bezüglich eines Abrisses oder auch einer Nachnutzung, wie sie viele der im 19. Jahrhundert nach dem pennsylvanischen bzw. auburnschen System gebauten Gefängnisse in Deutschland in jüngster Zeit betreffen, sind damit hoffentlich ausgeräumt.

Bettina Gnekow

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