Parlamentsstenografie und Parlamentsstenografen in Mecklenburg

Abb. 1 Stenografisches Schreiben an das Landtagsbüro in Neustrelitz, 1920 (Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 4.12-1, Nr. 56) Foto: © C. Stock Details anzeigen
Abb. 1 Stenografisches Schreiben an das Landtagsbüro in Neustrelitz, 1920 (Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 4.12-1, Nr. 56) Foto: © C. Stock
Abb. 1 Stenografisches Schreiben an das Landtagsbüro in Neustrelitz, 1920 (Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 4.12-1, Nr. 56) Foto: © C. Stock
Abb. 1 Stenografisches Schreiben an das Landtagsbüro in Neustrelitz, 1920 (Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 4.12-1, Nr. 56) Foto: © C. Stock
08.10.2018  | LA  | LAKD - Landesarchiv

Parlamentsstenografen und Archivare haben, gleichwohl sie am Beginn und am Ende eines bestimmten Prozesses stehen, für gewöhnlich keine unmittelbaren Berührungspunkte. Das sollte sich in Mecklenburg-Vorpommern am 21. September 2018 ändern, als die Teilnehmer des diesjährigen Verbandstages der deutschen Parlaments- und Verhandlungsstenografen e.V. zu einer thematischen Führung im Landeshauptarchiv Schwerin zusammenkamen.

Im Landeshauptarchiv Schwerin werden Unterlagen von – je nach Zählart – fünf, sechs oder gar sieben ganz unterschiedlich konstituierten Parlamenten verwahrt und für Interessierte zur Einsicht bereit gestellt. Vom Ausgang des 15. Jahrhunderts bis 1918 agierte, von sehr kurzen Unterbrechungen abgesehen, der Ständische Landtag, in dem die Mitgliedschaft an den Besitz eines ritterschaftlichen Landgutes oder die Inhaberschaft eines städtischen Spitzenamtes gebunden war. Die Ständischen Landtage unterbrach die 1848/49 amtierende und aus freien Wahlen hervorgegangene Abgeordnetenversammlung beider Mecklenburg, die mit Beginn des Jahres 1850 von der ebenfalls frei gewählten Mecklenburg-Schwerinschen Abgeordnetenkammer abgelöst wurde, die ihrerseits 1851 wiederum dem Ständischen Landtag weichen musste. In der Zeit der Weimarer Republik wirkten die frei gewählten Landtage von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, zwischen 1946 und 1952 die mehr oder weniger frei gewählten Landtage des Landes Mecklenburg(-Vorpommern). Schließlich befinden sich im Landeshauptarchiv auch schon Unterlagen der seit 1990 gewählten Landtage des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Und während Parlamentsstenografen Landtagsverhandlungen protokollieren und somit für Transparenz in der politischen Entscheidungsfindung sorgen, gilt Gleiches für Archive, die Landtagsprotokolle auf Dauer sichern und öffentlich zugänglich machen.

Aus gegebenem Anlass bildete die Entwicklung der Parlamentsstenografie in der mecklenburgischen Landtagsgeschichte den thematischen Rahmen für die erwähnte Führung. Jede der genannten parlamentarischen mecklenburgischen Versammlungen hinterließ mehr oder weniger umfangreiche Serien der protokollierten Landtagsverhandlungen. Und die Frage nach der Entstehung dieser Protokollserien, die final im Landeshauptarchiv überliefert sind, führt naheliegender Weise zur Parlamentsstenografie. Allerdings findet sich hier nicht in jedem Fall eine Antwort.

Die Protokollierung der ständischen Landtagsverhandlungen und die Vervielfältigung der Protokolle zählten zu den Obliegenheiten des sogenannten Landes-Sekretärs, es ist „zum Salair mit angeschlagen“, wie es hieß. Darüber hinaus wurde wahrscheinlich auf die Dienste freier Lohnschreiber oder von Schreibern anderer Behörden zurückgegriffen. Ohnehin würde, so ein zeitgenössischer Beobachter, „stenographische Aufzeichnung der Verhandlungen wegen des Mangels einer Geschäfts- und Redeordnung unausführbar sein.“

Aktennotorisch wird eine mecklenburgische Parlamentsstenografie im April 1848. Am Vorabend eines Außerordentlichen Ständelandtages informierte der Besitzer der Kürschnerschen Buchhandlung in Schwerin den Engeren Ausschuss der Ritter- und Landschaft, dass er die „Herausgabe einer Landtagszeitung unter dem Titel: Der Mecklenburgische Landtagsbote beabsichtige“ und in Berlin einen Stenographen angeheuert habe, um dessen Zulassung zu den Sitzungen er bitte. Eine Reaktion ist nicht überliefert, aber die erste Nummer des „Blätter für Reform“ untertitelten „Mecklenburgischen Landtagsboten“ erschien am 23. April mit dem Credo: „durch Herbeiziehung von Stenographen [soll] für genaue und vollständige Berichte über die Landtagsverhandlungen selbst Sorge getragen werden“.

Der erwähnte Buchhändler bot seine Dienste auch der Abgeordneten-Versammlung beider Mecklenburg an, die ab 31. Oktober 1848 in Schwerin zusammentrat. Sein Angebot wurde wahrscheinlich nicht aufgegriffen, da zunächst die „3 jüngsten Abgeordneten provisorisch zu Schriftführern“ bestimmt wurden und auch späterhin keine Stenografen auf der „Gehaltsliste“ des Parlaments standen. Und als zwei Berliner Stenografen im Dezember 1848 nach Auflösung der preußischen Nationalversammlung ihre Dienste in Schwerin anboten, erhielten sie den Bescheid: „daß die Kammer die Einführung stenographischer Berichte abgelehnt hat, und daß demzufolge das Anerbieten Ihrer Dienste nicht angenommen werden kann.“ Die im Frühjahr 1850 nachfolgende Mecklenburg-Schwerinsche Abgeordnetenkammer hielt es ganz ähnlich, auch hier oblag die Protokollführung den drei zu Schriftführern gewählten Abgeordneten.

Zwischen 1851 und 1918 kamen in Mecklenburg dann wieder ständische Landtage zusammen, Prozedere unverändert. Sie benötigten im Regelfall offenbar weiterhin keine Stenographen. Anders verhielt es sich womöglich bei außerordentlichen Landtagen sowie bei Sitzungen von Landtagsausschüssen zur Beratung und zur Berichterstattung über einzelne wichtigere und schwierigere Gegenstände. 1908 beispielsweise ist belegt, dass vier Stenografen eine derartige Kommittensitzung aufzeichneten.

1918/19 dann, nach Novemberrevolution und Sturz der Monarchien, gab es plötzlich die Verhandlungen von zwei mecklenburgischen Landtagen – frei gewählt für die Freistaaten Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin – zu protokollieren. Mit Theodor Richter, vormals Stenograf der preußischen Landesversammlung, übernahm ein Stenograf sogar die Leitung des Landtagsbüros. Herbert Scheidhauer und Walter Dobermann, die beiden zuvor bereits in Sachsen, Weimar und Braunschweig tätigen ständigen Parlamentsstenografen in Mecklenburg-Schwerin, wurden 1933 unter Bezug auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen – beide waren von 1923-1925 Mitglied der SPD. Ersterer schlug sich dann in Schwerin mit Privatunterricht durch, bevor er 1945 in den Schuldienst übernommen wurde. Letzterer stenografierte 1948 die in Potsdam die Sitzungen des brandenburgischen Landtages, wurde dann ständiger Stenograf beim Deutschen Volksrat in Berlin, später in der Volkskammer und der Länderkammer sowie 1950 schließlich beim Stenografischen Dienst des Landtages Nordrhein-Westfalen.

Die Landtage schließlich, die zwischen 1946 und 1952 zusammentraten, ließen ihre Sitzungen bis 1950 offenbar nur durch jeweils einen fest angestellten Stenografen aufzeichnen, dem Honorarkräfte assistierten. Das Dienstzeugnis für einen von ihnen, Friedrich Müller, spiegelt sein Tun wohl ziemlich prägnant wider. Er hatte „die Vollsitzungen des Mecklenburgischen Landtages stenografisch aufgenommen und dabei oft stundenlange Reden und Diskussionen wörtlich und zuverlässig festgehalten“.

Parlamentsstenografen protokollieren Landtagsverhandlungen und sorgen damit für Transparenz in der politischen Entscheidungsfindung – Gleiches gilt für Archive, die die Landtagsprotokoll auf Dauer sichern und öffentlich zugänglich machen.

 

Dr. Matthias Manke Schwerin, 5. Okt. 2018