Bernstein für das Jenseits. Ein trichterbecherzeitliches Flachgrab bei Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald

Fund des Monats Mai 2019

Abb. 1: Pasewalk, Fpl. 323, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die beiden Flachgräber während der Ausgrabung.Details anzeigen
Abb. 1: Pasewalk, Fpl. 323, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die beiden Flachgräber während der Ausgrabung.

Abb. 1: Pasewalk, Fpl. 323, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die beiden Flachgräber während der Ausgrabung.

Abb. 1: Pasewalk, Fpl. 323, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die beiden Flachgräber während der Ausgrabung.

Großsteingräber gelten als typische Grabform der Trichterbecherkultur. Gleichzeitig gab es jedoch auch sehr viel einfachere Bestattungen: Flachgräber, die teils mit Steinpackungen versehen, teils mit Steinen eingefasst waren. Wie die Großsteingräber kommen sie sowohl einzeln als auch in kleinen Gruppen vor. Bislang sind aber nur wenige Flachgräber bekannt. Wie selten sie wirklich waren, ist eine offene Frage: Naturgemäß sind Flachgräber sehr viel schwerer zu entdecken als Großsteingräber.

Zwei trichterbecherzeitliche Flachgräber, die bei Voruntersuchungen auf der EUGAL-Gaspipelinetrasse zwischen Pasewalk und Rollwitz entdeckt wurden, bringen nun etwas mehr Licht ins Dunkel. (Abb. 1).

Eines der Gräber (Befund 5) war mit einer mehrlagigen Steinsetzung (Größe ca. 0,85 x 0,60 m) abgedeckt. Die nur noch schwach erkennbare Grabgrube barg keine Funde (Abb. 2). Das zweite, dicht daneben liegende Grab (Befund 4) bestand aus einer Süd-Nord orientierten, ovalen Steinsetzung mit einer Größe von ca. 1,80 x 1,0 m und einer Gesamttiefe von 0,9 m. Die Grabgrube selbst war ebenfalls mit Steinen ausgefüllt. Im Planum 3, etwa 50 cm unterhalb der heutigen Oberfläche, zeigten sich mittig im Befund zwei größere flache Steine, von denen einer zentral waagerecht im steinumfassten Befund lag, ein zweiter großer "Kopf"-Stein befand sich im Südteil des Befundes und lag halb senkrecht schräg aufgerichtet im Grab, mit der Oberkante nach Süden (Abb. 3). Bis zu der Tiefe dieser Steine konnten keinerlei Funde/Beigaben oder Reste eines Skeletts lokalisiert werden. Erst nach Abheben der beiden Steinplatten fand sich unterhalb der "Kopf"-Platte eine kleine rautenförmige Bernsteinperle mit zweifacher Durchbohrung (Abb. 4). Seitlich unterhalb der zentralen Steinplatte am Westrand des Grabes kam ein weiterer Bernsteingegenstand zu Tage, ein durchbohrter Anhänger (Abb. 5). Trotz Siebens der Grabverfüllung fanden sich keine weiteren Perlen oder andere Funde mehr.

Skelettreste waren in dem kalkarmen Sandboden nicht erhalten. Die Anordnung der Steine und die Lage der Bernsteinanhänger lassen aber darauf schließen, dass in dem Grab ein Mensch in hockender Stellung beigesetzt war, und zwar mit dem Kopf im Süden. Solche Süd-Nord-ausgerichteten "Hocker" treten in den Flachgräbern der Trichterbecherkultur in der frühen und älteren Phase auf. Erst danach finden sich vor allem in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zunehmend Hinweise auf Bestattungen in gestreckter Rückenlage (Kossian 2005, 51-57, 163-165).

Eine zeitliche wie kulturelle Zuordnung des Grabes kann vor allem durch seine beiden Beigaben erfolgen, den kleinen beutel- bzw. tropfenförmigen Bernsteinanhänger (4,0 x 2,5 cm) mit einer Öse im schmalen oberen Teil (Abb. 5) und die rautenfömige Bernsteinperle (4,3 x 2,1 cm) mit zwei Durchbohrungen auf den Breitseiten (Abb. 4).

Rautenförmige Bernsteinperlen treten vor allem in mecklenburgischen Megalithgräbern auf, wo sie mit Funden der Trichterbecherkultur und Kugelamphorenkultur vergesellschaftet sind. Ein Vergleichsexemplar, wenn auch deutlich größer, findet sich z. B. auch in der Walternienburger Steinplattenkammer von Schorte­witz-"Windmühlen­berg", Lkr. Anhalt-Bitterfeld (Woltermann/Schierhold 2011, 349 mit Abb. 5). Gleichermaßen führt K. Ebbesen diese häufig in Dänemark vorkommende Variante unter seiner Form C1 auf. Sie ist aus früh-, mittel- und jungneolithischer Zeit bekannt, verschwindet jedoch zu Beginn des Spätneolithikums (Ebbesen 1995, 34 Abb. 1, 45-46, 49-50).

Beutel- bzw. tropfenförmige Bernsteinanhänger lassen sich im Neolithikum Mecklenburg-Vorpommerns ebenfalls nachweisen. Jedoch sind die Anhänger in der Regel an ihrer breitesten Stelle durchbohrt. Diese Form datierte E. Schuldt in die Einzelgrabkultur (Schuldt 1973, 109-111 mit Abb. 12,12). Genaue Vergleichsfunde zum Pasewalker Exemplar finden sich erst in den neolithischen Hortfunden Dänemarks (Ebbesen Form Q5, Ebbesen 1995, 34 Abb. 1; 40, 46). Sie lassen sich allerdings innerhalb des Neolithikums nicht näher datieren. G. Woltermann führt Bernsteinanhänger vergleichbarer Form unter ihrem Typ 20 auf, der 22 mal aus Grabfunden der Trichterbecherkultur vertreten ist (Woltermann 2013, 173).

Flachgräber der norddeutschen Trichterbecherkultur mit Bernsteinbeigabe finden sich in mehreren norddeutschen Flachgräberfeldern wie Flensburg (Lkr. Schleswig-Flensburg), Himmelpforten, Ldkr. Stade, Leer-Westerhammrich, Ldkr. Leer, Coesfeld, Kr. Coesfeld, Heek-Ammerter Mark, Kr. Borken, und Ostorf, Stadt Schwerin. Vor allem in Flensburg war das fossile Harz sehr beliebt: Ein Fünftel der insgesamt 29 Steinpackungsgräber enthielten Bernsteinfunde, in Ostorf waren es immerhin noch drei von 33 Flachgräbern, in den übrigen Nekropolen dagegen jeweils nur ein Grab (Woltermann 2013, 172-173). Das bei Pasewalk neu entdeckte Flachgrab gehört also durchaus zu den Raritäten.

Dr. Andreas Selent


Literatur:

Ebbesen 1995: K. Ebbesen, Die nordischen Bernsteinhorte der Trichterbecherkultur. Praehistorische Zeitschrift, 70. Bd. 1995, Heft 1, 32-89.

Kossian 2005: R. Kossian, Nichtmegalithische Grabanlagen der Trichterbecherkultur in Deutschland und den Niederlanden. Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Bd. 58/I. Halle (Saale) 2005.

Schuldt 1973: E. Schuldt, Der Bernstein im Neolithikum Mecklenburgs. Bodendenkmalpflege in Mecklenburg Jahrbuch 1973 (1974), 99-120.

Woltermann 2013: G. Woltermann, Bernstein in der norddeutschen Trichterbecherkultur.
Amber in the North German Funnel Beaker Culture. Die Kunde N.F. 64, 2013, 171-195.

Woltermann/Schierhold 2011: G. Woltermann, K. Schierhold, Aktuelle Analysemethoden an Bernsteinperlen. Zwei Neufunde aus dem spätneolithischen Galeriegrab II von Erwitte-Schmerlecke (Kr. Soest). Archäologisches Korrespondenzblatt Jahrgang 41, 2011, 345-358.


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Bernstein für das Jenseits. Ein trichterbecherzeitliches Flachgrab bei Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald

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