Der Keulenkopf von Crivitz – ein seltener Zufallsfund an der Warnow

Fund des Monats August 2025

Die Gemarkung Crivitz im Landkreis Ludwigslust-Parchim umfasst nicht nur den engeren Stadtbereich, sondern reicht in nördlicher Richtung bis an den Lauf der Warnow, wo man bereits im 16. Jahrhundert die Rönkendorfer Mühle angelegt hat. Westlich davon sind mehrere Fundplätze bekannt, die zeigen, dass diese Gegend auch in früheren Zeiten offenbar sehr attraktiv gewesen ist. Einer davon ist der Fundplatz Crivitz 18, auf dem 1982 eisenzeitliche Keramikscherben entdeckt worden sind. Der Fundplatz liegt nur etwa 100 m südwestlich der Warnow, allerdings oberhalb des Flusstales auf dem angrenzenden Plateau.

Abb. 1. Crivitz, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Ansichten der Geröllkeule.Details anzeigen
Abb. 1. Crivitz, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Ansichten der Geröllkeule.

Abb. 1. Crivitz, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Ansichten der Geröllkeule.

Abb. 1. Crivitz, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Ansichten der Geröllkeule.

Dass dieser Fundplatz auch schon in der Mittelsteinzeit aufgesucht wurde, zeigt eine „Geröllkeule“, die Siegfried Schneider (1941-2022) und seine Frau Edeltraud vor längerer Zeit dort entdeckten. Die genaue Fundkoordinate und das Fundjahr ließen sich nicht mehr ermitteln, doch lag das Stück seither mit anderen Sammlerstücken, darunter einem „Sternberger Kuchen“, im Garten der Familie Schneider – bis es 2024 durch den Autor dort gesehen, in seiner wissenschaftlichen Bedeutung erkannt und dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege zur Erfassung als Bodendenkmal vorgestellt wurde (Abb. 1).

Es handelt sich nämlich um einen mittelsteinzeitlichen Keulenkopf, wie er für Mecklenburg-Vorpommern bislang erst selten belegt war (Biermann 2024, Karte 44; in der Verbreitungskarte fehlen vielleicht noch eine Reihe unveröffentlichter Keulenkopffunde, wie beispielsweise das von Michael Schirren im Beitrag zum „Fund des Monats Oktober 2023“ vorgestellte Exemplar von Bussin, Lkr. Vorpommern-Rügen).

Das Fundstück von der Warnow hat einen Durchmesser von 7,0 x 8,3 cm, ist 5,6 cm hoch und wiegt 436 g. Das Loch hat einen Durchmesser von 1,2 cm. Gefertigt ist der Keulenkopf aus „kambrischem quarzitischem Sandstein“, wie der Geologe Dirk Pittermann (Zittow) mitteilte, wobei die gleichmäßige Form und die glatte Oberfläche eine Nacharbeit vermuten lassen.

Ganz sicher ist das Schäftungsloch das Ergebnis intensiver Bearbeitung. Sein „Auspicken“ dürfte in jedem Fall ein mühevoller Prozess gewesen sein. Dabei wurde mit einem Schlagstein das Gesteinsmaterial zunächst auf der einen, dann auf der anderen Seite bis zur Mitte trichterförmig zulaufend Millimeter für Millimeter bis zum Durchbruch pulverisiert. Am Rand sind beidseitig noch Pickspuren zu sehen. Das so entstandene Loch wurde dann fein säuberlich ausgeschliffen (Vergleiche: Gaffray 2015, 38).

Abb. 2. Verbreitung der Geröllkeulen (rot) und Scheibenkeulen (grün) mit sanduhrförmiger Durchpickung.Details anzeigen
Abb. 2. Verbreitung der Geröllkeulen (rot) und Scheibenkeulen (grün) mit sanduhrförmiger Durchpickung.

Abb. 2. Verbreitung der Geröllkeulen (rot) und Scheibenkeulen (grün) mit sanduhrförmiger Durchpickung.

Abb. 2. Verbreitung der Geröllkeulen (rot) und Scheibenkeulen (grün) mit sanduhrförmiger Durchpickung.

Die wissenschaftliche Bedeutung des Keulenkopfes fasst Eric Biermann (Linz am Rhein) wie folgt zusammen: „Der Verbreitungsschwerpunkt der Form befindet sich in den Niederlanden, was aber auch an der Quellenlage nach den bisherigen Veröffentlichungen liegen könnte. Mecklenburg hinkt da ein wenig hinterher [...]. Also vielleicht allgemein eine ‚küstenorientierte Form‘. Die Stücke sind regelhaft mesolithisch einzuordnen“ (Pers. Mitt. 25.3.2025; zu Details siehe Biermann 2024; Abb. 2).

Abb. 3. Hohen Viecheln, Lkr. Nordwestmecklenburg. Geröllkeule aus der mesolithischen Jagdstation.Details anzeigen
Abb. 3. Hohen Viecheln, Lkr. Nordwestmecklenburg. Geröllkeule aus der mesolithischen Jagdstation.

Abb. 3. Hohen Viecheln, Lkr. Nordwestmecklenburg. Geröllkeule aus der mesolithischen Jagdstation.

Abb. 3. Hohen Viecheln, Lkr. Nordwestmecklenburg. Geröllkeule aus der mesolithischen Jagdstation.

Auf ein Alter von über 7000 Jahren deuten Funde gleichen Typs aus radiokarbondatierten Herdgruben in den Niederlanden (Drenth/Niekus 2009). Die Einordnung in die Mittelsteinzeit wird auch durch den Kontext zahlreicher Keulenköpfe mit mesolithischen Fundensembles nahegelegt. Exemplarisch sei hier auf den Fund von Hohen Viecheln, Lkr. Nordwestmecklenburg, verwiesen. Diese Keule hat mit 1,8 cm einen größeren Lochdurchmesser, ist aber insgesamt etwas kleiner als das Crivitzer Fundstück (Schuldt 1956, 25 Abb. 13; Schuldt 1962, Taf. 26. – Abb. 3). Dieser Keulenkopf wurde zusammen mit zahlreichen Geweih- und Steinartefakten, Tierknochen und anderen Hinterlassenschaften einer mesolithischen Jagdstation in den Feuchtbodenschichten am nördlichen Ausfluss des Schweriner Sees geborgen.

Das sanduhrförmige Schaftloch ist für die Schäftung nicht ideal. Allerdings gibt es ethnographische und archäologische Belege dafür, wie solche Keulenköpfe mit Holz- oder Knochenkeilen und Pech auf einen Holzstab sicher befestigt wurden (Pfeifer/Biermann 2014, Abb. 5 mit einer experimentellen Nachgestaltung). Zudem wurde 2011 bei Ausgrabungen in Oldenburg-Dannau, Kr. Ostholstein, ein solcher Keulenkopf mit erhaltenem Schaftteil aus Eschenholz geborgen und mittels der Radiokarbonmethode in die Einzelgrabkultur (2470–2341 calBC) datiert (Brozio 2012, 31; Brozio 2016, 71, 102 f. – Abb. 4).

Abb. 4. Dannau, Kr. Ostholstein. Keulenkopf mit Schaftteil von Oldenburg-Dannau LA 77.Details anzeigen
Abb. 4. Dannau, Kr. Ostholstein. Keulenkopf mit Schaftteil von Oldenburg-Dannau LA 77.

Abb. 4. Dannau, Kr. Ostholstein. Keulenkopf mit Schaftteil von Oldenburg-Dannau LA 77.

Abb. 4. Dannau, Kr. Ostholstein. Keulenkopf mit Schaftteil von Oldenburg-Dannau LA 77.

Abb. 5. Schematische Darstellung einer möglichen Schäftung mit einem massiven Griff mit passgerecht zugearbeitetem Schäftungsende. A – Keulenkopf, B – Holzschaft, C – Holzkeilchen.Details anzeigen
Abb. 5. Schematische Darstellung einer möglichen Schäftung mit einem massiven Griff mit passgerecht zugearbeitetem Schäftungsende. A – Keulenkopf, B – Holzschaft, C – Holzkeilchen.

Abb. 5. Schematische Darstellung einer möglichen Schäftung mit einem massiven Griff mit passgerecht zugearbeitetem Schäftungsende. A – Keulenkopf, B – Holzschaft, C – Holzkeilchen.

Abb. 5. Schematische Darstellung einer möglichen Schäftung mit einem massiven Griff mit passgerecht zugearbeitetem Schäftungsende. A – Keulenkopf, B – Holzschaft, C – Holzkeilchen.

Die Schwachstelle des Holzschaftes liegt bei unserem Exemplar im geringen mittigen Lochdurchmesser von 1,2 cm (am Bohransatz beiderseits 3,6 cm), die die Wucht der Schläge mit einem Geröllkopf von 436 g aushalten muss. Doch dürfte eine Schäftungsverstärkung durch Holzkeile, die zusätzlich mit Birkenpech verklebt waren (Abb. 5), eine durchaus haltbare Befestigung ergeben haben, so dass eine gebrauchsfähige Waffe entstand.

Die Warnow als Wasserweg, als Trinkwasser- und Fischreservoir hatte für die steinzeitlichen Jäger auch den Vorteil, dass das Großwild beim Trinken und Übersetzen leicht auszumachen und zu erjagen war. Die Fundlage des Keulenkopfes oberhalb des Warnowtales spricht dafür, dass Jäger an solch einem Wildwechsel den Tieren auflauerten und möglicherweise einem durch einen Pfeil verletzten Reh mit der Keule den Garaus machten.

Das interessante Fundstück wird als Leihgabe der Landesarchäologie in der im Aufbau befindlichen Ausstellung des Heimatmuseums Crivitz zu sehen sein und dort die lange Anwesenheit von Menschen im Crivitzer Raum belegen.

Dr. Andreas Reinecke

Literatur

Literatur

Biermann 2011
E. Biermann, Steinerne Keulenköpfe – Die Mesolithische Revolution und die Bandkeramik. In: H.-J. Beier/R. Einicke/E. Biermann (Hrsg.), Varia neolithica VII. Dechsel, Axt, Beil & Co -Werkzeug, Waffe, Kultgegenstand? Aktuelles aus der Neolithforschung. Beiträge der Tagung der Arbeitsgemeinschaft Werkzeuge und Waffen im Archäologischen Zentrum Hitzacker 2010. – Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 63. Langenweißbach 2011, 37–46.

Biermann 2024
E. Biermann, Steinerne Keulenköpfe des Mesolithikums, Alt- und Mittelneolithikums: Untersuchung zur Funktion, Technologie, Typologie, Chronologie sowie zu geographischen und sozialökonomischen Bezügen. – Alteuropäische Forschungen 11. Langenweißbach 2024.

Brozio 2012
J. P. Brozio, Neue Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu neolithischen Siedlungsstrukturen in Oldenburg-Dannau, Kreis Ostholstein. – Archäologische Nachrichten aus Schleswig-Holstein 2012, 30-34.

Brozio 2016
J. P. Brozio, Megalithanlagen und Siedlungsmuster im trichterbecherzeitlichen Ostholstein. – Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 9. Bonn 2016.

Drenth/Niekus 2009
E. Drenth/M. Niekus, 14C-datierte Geröllkeulen aus den Niederlanden. – Archäologische Informationen 32, 2009, 91-94.

Gaffray 2014
J. Gaffray, Geröllkeule mit Bohrer – ein ungewöhnliches Fundensemble aus Saerbeck. Kreis Steinfurt, Regierungsbezirk Münster.– Archäologie in Westfalen-Lippe 2014, 37-40.

Pfeifer/Biermann 2014
M. Pfeifer/E. Biermann, Eine geschäftete Geröllkeule im Versuch. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendung. In: H.-J. Beier/R. Einicke/E. Biermann (Hrsg.), Varia neolithica VIII. „Material – Werkzeug: Werkzeug – Material“ & „Klinge, Messer, Schwert & Co – Neues aus der Schneidenwelt“. Aktuelles aus der Neolithforschung Dechsel, Axt, Beil & Co – Werkzeug, Waffe, Kultgegenstand? Aktuelles aus der Neolithforschung. Beiträge der Tagungen der Arbeitsgemeinschaft Werkzeuge und Waffen. – Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 75. Langenweißbach 2014, 173–178.

Schuldt 1954
E. Schuldt, Ein mittelsteinzeitlicher Siedlungsplatz bei Hohen Viecheln, Kr. Wismar. Vorläufiger Bericht über die Ausgrabung 1954. – Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jahrbuch 1954, 9–36.

Schuldt 1962
E. Schuldt, Technik der Steinzeit. Sonderausstellung 1963. Schwerin 1962.

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