Grundrechte für das mecklenburgische Volk. Das Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin vom 10. Oktober 1849

Archivalie des Monats Oktober 2023

Abb. 1: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin, Deckblatt und geschlossene SiegelkapselDetails anzeigen
Abb. 1: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin, Deckblatt und geschlossene Siegelkapsel

Abb. 1: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin, Deckblatt und geschlossene Siegelkapsel

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Am 23. August und am 10. Oktober 1849 geschah in der mecklenburgischen Landesgeschichte etwas bis dato Unerhörtes. Unter ersterem Datum unterschrieb Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg im Neustädtischen Palais in Schwerin das über Monate mit der Abgeordnetenversammlung beider Mecklenburg zäh ausgehandelte Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin. Unter letzterem Datum wurde diese vereinbarte Repräsentativverfassung nach fünfstündiger Beratung verkündet und in Kraft gesetzt. Damit war der mecklenburgische Ständestaat beseitigt und die landständische Verfassung, die mindestens im zurückliegenden halben Jahrhundert für mehr und mehr Verdruss gesorgt hatte, war passé. Mecklenburg-Schwerin schickte sich an, als parlamentarisch eingerahmter Verwaltungsstaat in die Reihe der konstitutionellen Monarchien aufzurücken und den Anschluss an die verfassungspolitische Moderne herzustellen.

Das Staatsgrundgesetz umfasste, eingeteilt in zwölf Abschnitte, 190 Paragraphen. Es definierte das Staatsgebiet, bestimmte den Großherzog als Staatsoberhaupt, stattete ihn und das Parlament mit gleichen legislativen Initiativrechten aus. Die Gesetzgebung bedurfte eines Konsenses zwischen Staatsoberhaupt und Parlament, entsprechende Verhandlungen moderierte das sogenannte Gesamtministerium. Es bestand aus den vom Großherzog nach eigenem Gutdünken ernannten – und gegebenenfalls zu entlassenden – Fachministern. Erstmals in der mecklenburgischen Geschichte konnte ein Staatshaushalt aufgestellt werden, der die Ressourcen des Landes bündelte und das Schuldenwesen ebenso wie Hausgut, Krondotation und Apanagen – Grundeigentum und Einkommen des Großherzogs bzw. seiner Familie – regelte.

Abb. 2: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin mit Signierung des Großherzogs Friedrich Franz II. und geöffneter SiegelkapselDetails anzeigen
Abb. 2: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin mit Signierung des Großherzogs Friedrich Franz II. und geöffneter Siegelkapsel

Abb. 2: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin mit Signierung des Großherzogs Friedrich Franz II. und geöffneter Siegelkapsel

Abb. 2: Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin mit Signierung des Großherzogs Friedrich Franz II. und geöffneter Siegelkapsel

Das Staatsgrundgesetz beschäftigte sich zu etwa einem Sechstel, genau genommen in 34 Paragraphen, mit der aus 60 gewählten Mitgliedern bestehenden Abgeordnetenkammer und den Konditionen für ihre Arbeit. Die Legislaturperiode dauerte vier Jahre, alle zwei Jahre sollte die Hälfte der Mandatsträger ausscheiden und neu gewählt werden. Normiert wurden Rechte und Pflichten des Präsidiums, Beschlussfähigkeit oder die Öffentlichkeit der Verhandlungen, aber auch Verhaltensregeln für das Publikum. Wichtig war ohne Zweifel das großherzogliche Recht zur Vertagung und Auflösung der Kammer. Neben Exekutive und Legislative sollte nach einer Neuordnung der Gerichtsverfassungsorganisation schließlich eine staatliche Judikative treten und die private Patrimonialgerichtsbarkeit ablösen.

Auch wenn die ursprüngliche Forderung, der Wille des Volkes sei das höchste Gesetz im Staate, letztlich nicht in den Wortlaut einging, fand „das Volk“ breite Berücksichtigung im Staatsgrundgesetz. Es definierte außer einem mecklenburgischen Staatsbürgerrecht in sage und schreibe 54 Paragraphen, d.h. in mehr als einem Viertel der Gesamtheit, die Grundrechte des mecklenburgischen Volkes! Darauf legten die Abgeordneten – im Übrigen zu Recht – viel Wert, denn der Großherzog musste bei Leistung seiner Unterschrift explizit geloben, sich an den Wortlaut „sonderlich was die Auffassung von der Behandlung der Grundrechte betrifft“ zu halten.

Die Rechte des Individuums gegenüber dem Staat orientierten sich in Mecklenburg-Schwerin teilweise wörtlich an den Grundrechten des deutschen Volkes der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Der Grundrechtekatalog beinhaltete Presse-, Meinungs-, Versammlungs-, Vereins-, Glaubens-, Gewissens-, Wissenschafts- und Schulfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und in der Wehrpflicht, Unverletzlichkeit der Person, der Wohnung und des Eigentums, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, Abschaffung der körperlichen Züchtigung als Strafe, Aufhebung des Adels als Stand und Abschaffung aller Standesvorrechte sowie andere Rechte mehr.

Das Staatsgrundgesetz für Mecklenburg-Schwerin von 1849 hob sich mit seinen umfassenden Grundrechten deutlich vom Landesgrundgesetz für Mecklenburg-Strelitz von 1919 ab, um das in letzter Zeit ein gewisser Hype als sogenannte erste demokratische Verfassung in der deutschen Geschichte entfacht wurde. Korrekt ist, dass hier erstmals in der deutschen Geschichte das Prinzip der Volkssouveränität griff, da das Volk als oberster Souverän den Verfassunggebenden Landtag wählte und es keiner Verfassungsvereinbarung mit einem Fürsten bedurfte. Während das Landesgrundgesetz dennoch keine Grundrechte des Volkes kannte, war dem Staatsgrundgesetz inklusive seiner Grundrechte keine lange Lebensdauer beschieden – seine Feinde hatten sich bereits vor der Ratifizierung formiert und schlossen nun ihre Reihen.

Allen voran der Strelitzer Großherzog Georg und weitere Agnaten des Hauses Mecklenburg, darunter König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Gefolgt von der mecklenburgischen Ritterschaft und dem gleichermaßen machtbewussten wie mächtigen Engeren Ausschuss der Ritter- und Landschaft, dessen Mitglieder seine Auflösung nur aufgrund der – durch einen aufgezogenen Musketier symbolisierten – Androhung staatlicher Gewalt hingenommen hatten. Sekundiert schließlich von den Magistraten der sogenannten Seestädte Rostock und Wismar. Unter dem sukzessive gesteigerten, mit Säbelrasseln untersetzten und bis in die Privatsphäre reichenden politisch-dynastischen Druck knickte Friedrich Franz II. ein. Er akzeptierte den Freienwalder Schiedsspruch vom 11. September 1850 und hob drei Tage später das im Vorjahr von ihm ratifizierte Staatsgrundgesetz wieder auf. Dat bliwwt all so, as dat west is.

Dr. Matthias Manke

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