Neue Plätze für die Toten - Grabkultur in Picher im 18. Jahrhundert

Archivalie des Monats Oktober 2009

Grundriss Kirchhof PicherDetails anzeigen
Grundriss Kirchhof Picher

Grundriss Kirchhof Picher

Grundriss Kirchhof Picher

Den Komikern von Monty Python, den Meistern des schwarzen Humors, war bekanntlich nichts heilig. Das zeigen sie auch in ihrem legendären Film "Das Leben des Brian". Die vom "Always look on the bright side of life" begleitete Kreuzigung in der Schlussszene verspottet die Ausgrenzung anderer Menschen, die noch im Angesicht des Todes versucht wird. Als nämlich bekannt wird, dass ein Samariter unter den Juden gekreuzigt werden soll, fordert einer der Juden von den Römern das Recht, nach Stämmen geordnet zu sterben.

So absurd diese Szene wirkt, sie legt ein grundlegendes Ordnungsmuster vormoderner Gesellschaften offen. Ohne den festen Zusammenhalt von Familien, Dorfgemeinschaften oder regionalen Verbänden sind soziale Beziehungen in der Vormoderne nicht zu denken. Man muss gar nicht ins Palästina um Christi Geburt zurückgehen, um dafür Belege zu finden. Auch aus dem Mecklenburg des 18. Jahrhunderts sind Quellen überliefert, die auf die Wirkungsmächtigkeit traditioneller Bindungen hindeuten. Eine besonders schöne Quelle ist der Plan des neu angelegten Friedhofs in Picher, einem Bauerndorf in der Griesen Gegend.

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche in Picher erweitert und umgebaut. Das war offensichtlich auch Anlass, den Friedhof zu vergrößern und neu zu gestalten. Er liegt noch heute um die Kirche herum und kann deshalb mit Fug und Recht auf Platt "Kirchhoff" genannt werden – eine Bezeichnung, die auf dem Lande mitunter auch noch die Friedhöfe tragen, die sich aus Platzgründen längst weitab der Kirche am Dorfrand befinden. Mecklenburgs Reichtum an Dorfkirchen ist bekannt, obwohl natürlich nicht alle Dörfer eine Kirche und damit einen Begräbnisplatz besaßen. Erst im 20. Jahrhundert, mit der aufkommenden weltlichen Grabkultur, haben viele Gemeinden durch die Einrichtung eigener Friedhöfe die Lücken geschlossen. Bis dahin haben in Picher viele der umliegenden Dörfer ihre Toten bestattet: Bresegard, Kuhstorf, Strohkirchen, Warlow, Kummer, Alt und Neu Krenzlin sowie Groß Krams.

Die Bewohner dieser Bauerndörfer lebten und arbeiteten miteinander viel enger, als wir dies heute tun. Sie waren in ihrem Alltag aufeinander angewiesen. Auch das Totengedächtnis gehörte zu den Gemeinsamkeiten. Die Leichen wurden nicht nur nach Familien, sondern auch nach Dörfern geordnet bestattet. Bisweilen findet man auf alten Grabsteinen neben Lebensdaten und Berufen noch die Angabe des Lebensortes, wenn der Begräbnisort nicht derselbe ist. Heute würde darin niemand mehr einen Sinn erkennen.

Diese jahrhundertealte Gewohnheit der nach Orten getrennten Bestattung fand beim Picherschen Kirchenneubau 1755 das Interesse der Obrigkeit. Das Zeitalter der Vernunft machte auch vor den Toten nicht halt. Übersichtlich, klar und gerade sollte die neue Einteilung der Grabstellen sein. Diese Forderungen sind bereits Vorboten der heute üblichen rationellen und kostenorientrierten Friedhofsverwaltung.

Zu diesem Zweck wurde zunächst die Zahl der in den Dörfern wohnenden Familien erforscht und in Beziehung zum Platzangebot des Kirchhofs gesetzt. Pro Familie blieben 1,3 Quadratruten übrig, also etwa 28 m2. Das Amt beauftragte den Landmesser Hagenau aus Groß Schmölen mit einer Zeichnung. Dessen Neueinteilung führte zu den gewünschten geraden Grenzen, die "am nützlichsten und bequemsten" seien. Sein schematisches Vorgehen hatte allerdings auch zur Folge, dass die Warlower und Strohkirchener "ganz von ihren Plätzen abgekommen und aus solchen Dörffern keiner bey seinem Vater oder Großvater wird zu liegen kommen können." Damit hatte die Verwaltung empfindlich in die Gewohnheiten der Dorfbewohner eingegriffen, wie kurz darauf erkennbar wurde. Die Warlower folgten der durch herzoglichen Befehl ergangenen neuen Einteilung, indem sie ihre Toten umbetteten und an die ihnen zugewiesene Stelle an der Mauer mitnahmen.

Das hatte Folgen. Ein Hauswirt (so wurden damals die Bauern als Pächter ihrer Hufen genannt), war angeblich "wegen des dabey vorgefallenen üblen Geruchs in eine Krankheit gerathen, woran er noch tödtlich darnieder liegt." Zudem wurde grundsätzliche Kritik an der schematischen Verteilung laut. Die Bauern waren durch die traditionelle Gemengelage ihrer Ländereien daran gewöhnt, dass die guten wie die schlechten Böden untereinander geteilt wurden. Dieses aus heutiger Sicht unwirtschaftliche Gerechtigkeitsprinzip sahen sie auf dem Kirchhof gefährdet. Denn nur den Warlower Leichen drohe durch die Vernässung ihrer Gräber Schaden, welchen "mann auch von Todten und deren Särgen aller Billigkeit abzuwenden sucht." Folgerichtig forderten sie einen proportionsmäßigen Anteil an den "guten" Grabstellen.

Ob sie ihn bekommen haben, steht vielleicht auf einem anderen Blatt, das die Akte nicht enthält. Ein neuer Plan ist hier jedenfalls nicht überliefert. Der alte zeigt den von einer Feldsteinmauer umgebenen Kirchhof mit vier Zugängen, die durch zwei große und zwei kleine Tore erfolgten. Die heute nicht mehr vorhandene Kirche, die 1880 durch einen für ländliche Verhältnisse gewaltigen neugotischen Bau mit 900 Plätzen ersetzt wurde, ist in der Draufsicht mit eingerücktem Turm eingezeichnet. Nur ein Wetterhahn ist darauf zu erkennen.

Dr. René Wiese, Landeshauptarchiv Schwerin

Archivalie des Monats Oktober 2009

 Neue Plätze für die Toten - Grabkultur in Picher im 18. Jahrhundert