Hieroglyphen im Landeshauptarchiv Schwerin. Historische Sensation oder originelle Momentaufnahme?

Archivalie des Monats Januar 2011

Großherzogin Marie von Mecklenburg-SchwerinDetails anzeigen
Großherzogin Marie von Mecklenburg-Schwerin

Großherzogin Marie von Mecklenburg-Schwerin

Großherzogin Marie von Mecklenburg-Schwerin

Auf den ersten, oberflächlichen Blick sind es Archivalien wie andere auch, die da zwischen weiteren Papieren einer Akte des Landeshauptarchivs liegen. Auf einen zweiten, ein wenig verweilenden Blick jedoch glaubt sich der Betrachter als Entdecker einer Sensation – Hieroglyphen, das bis in das Jahr 3200 v. Chr. zurück reichende Schriftsystem der alten Ägypter, in Mecklenburg? Aber halt, wurden Hieroglyphen nicht in steinerne Grabwände, Obelisken oder Stelen geschlagen, in Tontäfelchen geritzt, allenfalls auf Papyrus geschrieben, während es sich bei dem Trägermaterial des in Rede stehenden Stücks um Papier handelt?

In der Tat sind es nicht tausende, sondern lediglich 139 Jahre, die der Lebenszyklus dieser "Archivalie des Monats" bisher andauert. Sie entstand Ende Januar 1872, denn für den 29. Tag des Monats hatte sie eine bestimmte Funktion zu übernehmen: nämlich die eines durchaus originellen Glückwunsches zum Geburtstag von Großherzogin Marie von Mecklenburg-Schwerin (1850-1922), geb. Prinzessin von Schwarzburg-Rudolstadt. An der Seite ihres Gatten Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin (1823-1883) hatte sie am 11. Januar 1872 in Alexandria ägyptischen Boden betreten. Tags darauf erfolgte die Weiterreise nach Kairo, am 20. wurde das eigens der großherzoglichen Reisegesellschaft zur Verfügung stehende Dampfschiff für die nilaufwärts führende Reise bestiegen. Am 28. fiel der Anker vor dem Dorf Denderah, gegenüber der oberägyptischen Stadt Kenneh (Kanepotis, Qenā) und etwa 50 km vor Luxor gelegen.

Hier nun beging Marie ihren 22. Geburtstag, hier fand sie "auf dem mit Palmenzweigen geschmückten Geburtstagstisch" neben "egyptischen, den Bazaren entnommenen Gegenständen" in einer roten Ledermappe den bereits erwähnten Glückwunsch. Hinter derselben stand der deutsche Ägyptologe Heinrich Brugsch (1827-1894), der die Reise wohl gemeinsam mit Adolf Friedrich Graf von Schack (1815-1894) konzipiert hatte und nun als "wissenschaftlicher Reisemarschall" begleitete. Die Hieroglyphen sind von rechts nach links zu lesen, orientieren sich in verwendeten Titulaturen und Diktion an altägyptischen Vorbildern. Zu letzterem gehört die Umsäumung königlicher Namen mit sogenannten Königsringen oder Kartuschen – in der Mitte der zweiten Zeile Friedrich Franz II., in der vierten sein Vater Paul Friedrich (1800-1842), in der fünften Marie und in der letzten der osmanische Vizekönig von Ägypten Ismael Pascha (1830-1895).

Inhaltlich gibt der Glückwunsch nicht sonderlich viel mehr als das zu Erwartende her: Datierung, Nennung des anwesenden Personenkreises, d.h. neben dem großherzoglichen Paar dessen Entourage, und schließlich ein von guten und frommen Wünschen gesäumtes Loblied auf die "Palme der Anmuth". Ähnlich dieser Attributierung für das Geburtstagskind Marie erhielten auch die begleitenden Höflinge mehr oder weniger drollige Titel, die sich wie angedeutet an altägyptischen Vorbildern orientierten: Hofmarschall Adolf Freiherr von Stenglin als "Oberster über den Palast" oder Leibarzt Dr. Carl Mettenheimer (1839-1897) als derjenige, "welcher verbannt alles Schadenbringende durch die Zauberkünste der Göttin Isis".

Noch am 29. Januar, und zwar um 13 Uhr, setzte das Dampfschiff samt Geburtstagskind und Reisegesellschaft seine Fahrt fort und legte gegen 19 Uhr in Luxor an. In den folgenden Tagen standen noch Luxor, Karnak, Theben, Esna, Edfu, Assuan auf dem Programm, bevor es am 5. Februar zurück nach Kairo ging, das am 11. erreicht wurde. Weiter führte die Reise über Suez und Jaffa nach Jerusalem (verbunden mit einem Abstecher nach Bethlehem, zum Jordan und an das Tote Meer), wo der Großherzog am 28. Februar auch seinen Geburtstag feierte. Über Haifa, Accra und Nazareth gelangten die Mecklenburger nach Damaskus, wo sie vom 13.-19. März verweilten. Sodann reisten sie nach Beirut, um sich dort über Zypern und Rhodos nach Smyrna (Izmir) einzuschiffen. Von da schließlich ging es über Syra und durch Griechenland nach Konstantinopel, dem am 10. April 1872 erreichten Schlusspunkt der herrschaftlichen Orientreise bzw. Ausgangspunkt der Heimreise.

Zu Hause in Schwerin angekommen öffnete der Großherzog am 10. Mai ein Schreiben von Heinrich Brugsch – eine am 28. Februar aufgegebene Depesche mit Geburtstagswünschen, unterschrieben mit: Hieroglyphen.

Dr. Matthias Manke

Archivalie des Monats Januar 2011

Hieroglyphen im Landeshauptarchiv Schwerin. Historische Sensation oder originelle Momentaufnahme?