Tanzen verboten - Das ausschweifende Leben des Schulzen Godejohann

Archivalie des Monats Juni 2011

Die Akten des Konsistoriums (LHAS 2.25-1) als oberstem Kirchengericht für Mecklenburg, die im Landeshauptarchiv Schwerin derzeit erschlossen werden, eröffnen vielfältige Einblicke in das Leben der Land- und Stadtbevölkerung vor allem für das 17. bis 19. Jahrhundert. Das Spektrum der vom Konsistorium verhandelten Angelegenheiten war breit gefächert. So finden sich Prozessakten zu Aberglaube und Wahrsagerei, zu traditionellen Festen und Bräuchen, zu Kirchenzucht und Verstößen gegen die Sonntagsheiligung oder auch zu Verlobungs- und Ehesachen, Unzucht und Schwängerung. Die Rechtsprechung basierte auf der unregelmäßig erneuerten Kirchenordnung von 1552, der Konsistorialordnung von 1570 und verschiedenen weiteren landesherrliche Verordnungen, durch die der christliche Lebenswandel reglementiert werden sollte. Der Sinn einiger dieser Verordnungen mag für unser heutiges Verständnis nicht nachvollziehbar sein. Aber auch manch ein Zeitgenosse verlor – absichtlich oder unabsichtlich – den Überblick im kirchlich-moralischen Vorschriftendschungel, wie der Fall "Godejohann" vom Frühjahr 1774 zeigt. (LHAS 2.25-1 Nr. 255)

Im März 1774 flatterte dem Schulzen (Dorfvorsteher) Johann Godejohann aus Stäbelow im landesherrlichen Amt Schwaan eine unangenehme Nachricht ins Haus. Der Konsistorialfiskal Weinland, als Chefankläger des Konsistoriums, bezichtigte ihn in seiner Anklageschrift eines anstößigen Lebenswandels und verlangte seine Bestrafung. Die Anklageschrift zählte verschiedene Vergehen gegen die landesherrliche Patentverordnung vom 30. Dezember 1769 auf, die der "Abstellung aller Ueppigkeiten bey den Zusammenkünften der Herzogl. Domanial-Unterthanen auf dem Lande" dienen sollte (vgl. Abb. 1). Es galt nach Ansicht Herzog Friedrichs des Frommen von Mecklenburg-Schwerin die "Versündigung" und den "Ruin" der Untertanen zu verhindern. Der Inhalt des Patents stammte bereits aus der Polizeiordnung von 1572 und hatte schon mehrmals, zuletzt am 23. Okt. 1756, erneuert werden müssen, da sich die enthaltenen Vorschriften offensichtlich nicht langfristig durchsetzen ließen.

Nach dieser Verordnung waren verschiedene traditionelle Feste der Dorfgemeinschaft, wie Fastnacht- und Pfingstgilden, Erntebier und Wettelbier, bei Strafe untersagt. Zudem wurden strikte Vorgaben für private Verlobungs- und Hochzeitsfeiern, Kindtaufen und Begräbnisse gemacht. So waren die Zahl der Gäste, die Dauer der Feier und die Menge der zu reichenden Speisen und Getränke beschränkt. Außerdem wurde "alles Tanzen und Herbeyrufen der Musikanten bey Hochzeiten sowohl als allen andern Gelegenheiten bey 10 Gulden Strafe unerbittlich verbothen". Hiergegen hatte der Schulze Godejohann aus Stäbelow nach Aussage seines Anklägers Weinland mehrfach verstoßen, als er im vergangenen Herbst (1773) "auf seiner Hochzeit fast die ganze Nacht hindurch gespielet und getanzet" hatte (vgl. Abb. 2). Ebenso hätte er in seiner Funktion als Schulze Musik und Tanz auf anderen Hochzeiten in seinem Dorf nicht angezeigt, was als weiteres Vergehen mit 20 Reichstalern zu bestrafen sei.

Godejohann hätte außerdem zugegeben, dass in seinem Haus an verschiedenen Sonntagen von anderen Leuten ebenfalls gespielt, getanzt und getrunken worden war. Der letzte Vorwurf war zusätzlich ein Verstoß gegen die sogenannte Sonntagsheiligung, kein unübliches Delikt, wie zahlreiche Prozessakten im Bestand des Konsistoriums zeigen. Auch die Sonntagsheiligung musste durch verschiedene Verordnungen immer wieder eingefordert werden. Sie sollte den Gottesdienst am Sonntag und an allen sonstigen christlichen Feiertagen vor Arbeit, aber auch vor ausschweifenden Festen und Gelagen schützen. So führt die gedruckte Erläuterung der Mecklenburgischen Kirchenordnung von 1708 (§ II,5) aus:

Im übrigen wollen Wir mit gantzem Ernst, daß an Sonn- und Fest-Tagen verhütet werden sollen alle grosse Gästereyen […] und so viel mehr alles schändliche Gesöff und Sünden-Getäntze, nebst denen insgemein darauff sündlich versparten Spiel und Wettel-Bieren, und sollen die Sitzende Gäste die Sonn- und Fest-Zeit hindurch nicht geduldet werden […].

In einer Vorladung vom 26. März 1774 wurde Godejohann zur Untersuchung seiner Vergehen vor das Konsistorium geladen. Der Schulze entschuldigte sich jedoch aufgrund seiner Anwesenheitspflicht in der Saatzeit für den anberaumten Termin. Zwischenzeitlich hatte sich auch der für ihn verantwortliche Amtshauptmann Bölckow aus Schwaan in die Angelegenheit eingeschaltet. Für die Verfolgung dieser Sache war seiner Auffassung nach aufgrund eines herzoglichen Reskripts vom 5. März 1774 das Domanialamt, nicht das Konsistorium zuständig. Nach eingehender Beratung baten die Konsistorialräte die mecklenburgische Regierung um weitere Instruktion in dieser Angelegenheit. Die Akte schließt im Juni 1774 und verrät leider nicht, wie die Angelegenheit "Godejohann" endet. Eine Bestrafung scheint jedoch eher unwahrscheinlich. Dies zeigt eine weitere herzogliche Patentverordnung vom 21. Juli 1774, welche möglicherweise Ergebnis des Kompetenzstreits im Fall "Godejohann" war. Darin erinnerte Herzog Friedrich seine Amtsleute an ihre Pflicht, Vergehen gegen die Verordnung "zur Abstellung aller Ueppigkeiten" von 1769 umgehend zu verfolgen und zu bestrafen. Der Konsistorialfiskal hätte in der vergangenen Zeit mehrere Verstöße zur Anklage gebracht, von denen die Amtsleute angeblich nichts gewusst und die sie deshalb nicht geahndet hätten. Anscheinend ignorierten die Beamten gerne diese Art von Anzeigen über nach Meinung der Obrigkeit allzu ausschweifende Feierlichkeiten. Deshalb erhielt der Konsistorialfiskal als Chefankläger jetzt die Befugnis, die Bestrafung dieser Vergehen durch die Amtsleute und die Eintreibung der 20 Reichstaler Strafe zu überwachen.

Ob die Unterstellung der Strafverfolgung unter die Aufsicht des Konsistoriums die gewünschte Wirkung auf den Lebenswandel der Untertanen zeigte, scheint zweifelhaft. Musik und Tanz, Essen und Trinken blieben der Ausgleich zum ansonsten eher harten und entbehrungsreichen Leben der untertänigen und auch freien Landbevölkerung.

Dr. Kathleen Jandausch

Archivalie des Monats Juni 2011

Tanzen verboten - Das ausschweifende Leben des Schulzen Godejohann