Sportplätze für den Frieden - Wie der Fußball auf die Güter Mecklenburgs kam
Archivalie des Monats April 2012
Fußballspiel auf dem VEG Groß Medewege in den 1950er Jahren
Quelle: LAKD MV/LHAS, 13.3-2 Bedau, Walter
Fußballspiel auf dem VEG Groß Medewege in den 1950er Jahren
Quelle: LAKD MV/LHAS, 13.3-2 Bedau, Walter
Fragt man nach denjenigen Dingen, ohne die man keinen Fußball spielen kann, fällt einem zunächst eigentlich nur der Ball ein. Mit dem runden Leder kann man auf einer Wiese auch ohne Tore und Schuhe herum bolzen. Schaut man sich Fußball aber als soziales Phänomen und anspruchsvolle Mannschaftssportart an, wird deutlich, dass eine große Anzahl Spieler Zeit zum Kicken und natürlich die nötige Energie dafür haben muss. Beides, Zeit und Kraft, war für die körperlich hart arbeitenden Menschen in der vormodernen Landwirtschaft ein knapp bemessenes Gut. Im Winter, wenn die Leute vielleicht Zeit hätten haben können, war es zu kalt und zu dunkel, um draußen zu spielen. In den Städten gewährte erst der Acht-Stunden-Tag seit den 1920er Jahren den Arbeitern längere arbeitsfreie Zeiten. Mecklenburgs Bauern, Büdner oder Häusler und ihre Kinder konnten an Urlaub und Feierabendsport bis zur Kollektivierung in den 1950er/60er Jahren kaum denken.
Etwas anders sah das auf den Gütern aus. Diejenigen unter ihnen, die 1945 nicht aufgeteilt, sondern landesweit als sogenannte Volksgüter weiterbestanden, boten ihren Leuten durch Arbeitsteilung und Mechanisierung größere Freizeitmöglichkeiten. Hinzu kam, dass im Rahmen einer ideologisch motivierten Kulturarbeit auch der Sport auf das Land getragen und Fußball um 1950 auf den Volkseigenen Gütern Mecklenburgs heimisch gemacht wurde.
In der DDR standen die Betriebe hinter diesem "Sport auf Produktionsbasis" und bildeten sogenannte Betriebssportgemeinschaften (BSG). Die alten, als bürgerlich verunglimpften Vereinsstrukturen, ließ die SED in den Dörfern gar nicht erst aufkommen. Auf den Gütern hatten die Gebietsvereinigungen der VEG Kulturleiter eingesetzt, die gemeinsam mit der FDJ und dem FDGB den Bau von Sportplätzen vorantrieben. Notfalls war man dafür sogar bereit, landwirtschaftliche Nutzflächen in Dorfnähe zu opfern. So z. B. für die BSG Rottmannshagen, die den für die Landwirtschaft typischen Namen "Traktor" trug. Auf dem VEG Dambeck diente zunächst eine Koppel als Fußballplatz, bis auf gutem Zuckerrübenboden Rasen eingesät wurde. Man tröstete sich über diesen Verlust damit hinweg, dass dort immer mit Ernteverlusten durch das Federvieh der Dorfbewohner zu rechnen sei.
Für die Betriebssportgemeinschaften wurden "Fußballblasen" angeschafft, "Jerseys" genäht (auf dem VEG Jürgenstorf z. B. rot mit schwarzem Besatz) sowie Stutzen mit Schienenbeinschützern und natürlich auch Fußballschuhe gekauft. Sorgen machten den Fußballern allerdings die weiten und beschwerlichen Fahrten zu Auswärtsspielen, wollte man nicht ständig nur gegen die Nachbardörfer antreten.
Frauen spielten in den 1950er Jahren vor allem (Rasen-)Handball. Auf Sportfesten in Groß Flotow oder Rottmannshagen zeigten sie vormittags mit den Leichtathleten ihr Können, bevor nachmittags König Fußball den Sportplatz beherrschte. Abends gab es den obligatorischen Dorftanz, mitunter nach dem vom Volkskundler Richard Wossidlo überlieferten Motto
Dat hett all kein Anseihn, wenn de Muskanten kein Schacht kriegen.
Diese Begleitmusik war jedoch immer auch mit ideologischen Takten unterlegt. Vormals vergitterte junkerliche Gärten und Parks erklärten die Kulturleiter zu Sportanlagen der Werktätigen, was oft zu massiven Interessenkonflikten mit Naturschützern und Denkmalpflegern führte. Mit der Behauptung, vor der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung sei, wenn überhaupt, Sport nur zu Wehrertüchtigung und Gehorsamserziehung da gewesen, schossen die Agitatoren mit Blick auf die Entwicklungen in der DDR allerdings ein klares Eigentor.
Jeden Treffer, den ein BSG-Spieler damals in dieser durch den Korea-Krieg aufgeheizten Phase des Kalten Krieges erzielte, gab die SED als Tor für den Weltfrieden aus, das den westlichen Aggressoren Einhalt gebot. Da die Partei nach eigener Einschätzung die Leute – de "Lüd", wie man sie nach wie vor auf den Gütern nannte – aber mit dauernden Agitationsversammlungen ermüdet hatte, sollten Sport und Fußball sie wieder wacher und aufnahmefähiger machen. Um dabei auch noch wirkliche Spitzenkönner auf dem Niveau von "Industriesportlern" hervorzubringen, müssten allerdings, so die Funktionäre, noch Vorurteile mancher alter Leute aus dem Weg geräumt werden, die an vormodernen Vorstellungen über das Leben und Arbeiten auf dem Lande festhielten. Diese Alten wird man nicht mehr fragen können, aber vielleicht erinnert sich noch der ein oder andere Spieler von damals an die Zeit, als der Fußball auf die mecklenburgischen Güter kam.
Dr. René Wiese, Landeshauptarchiv Schwerin