Es bimmelt! - Ein Hilferuf an die Bevölkerung, bei der Bergung der Kartoffelernte zu helfen

Archivalie des Monats September 2012

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Flugblatt mit Linolschnitt und dazu passendem Gedicht

Flugblatt mit Linolschnitt und dazu passendem Gedicht

Flugblatt mit Linolschnitt und dazu passendem Gedicht

Kartoffeln zählten nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Hauptnahrungsmitteln der Bevölkerung. Auch in Mecklenburg wurden alle möglichen Flächen wie Parks, Plätze, Blumengärten genutzt, um die nahrhaften Knollen anzubauen. Später ging der Anbau kontinuierlich zurück. Wie wertvoll Kartoffeln noch Ende der 50-er Jahre waren, belegt folgende Archivalie.

Im September 1959 erschienen an den Anzeigetafeln der Gemeinden im Bezirk Schwerin an die Einwohner gerichtete Flugblätter. Es war ein Hilferuf an alle, bei der Bergung der Kartoffelernte zu helfen. Der Text lautete:

Einwohner von...
Auf unseren Feldern ist eine überdurchschnittliche Kartoffelernte herangereift, und obwohl ihre Bergung bereits sehr viel weiter vorangeschritten ist als im Vorjahr, erfordert das zu frühen Frösten neigende Wetter schnellstes Handeln.
Es ergeht deshalb an Euch alle der Ruf:
Helft mit bei der Bergung der Hackfruchternte!
Meldet Euch bei der LPG oder dem Rat der Gemeinde und stellt Euch zur Mitarbeit zur Verfügung. Genossenschaftsbauern und Traktoristen machen größte Anstrengungen, um die Ernte schnell und verlustlos zu bergen. Stellt Euch an ihre Seite und packt mit an.
Keine Kartoffel darf dem Frost zum Opfer fallen!

In den 1950er Jahren war es üblich, Aufrufe auf Plakaten oder Flugblättern auch zu bebildern. Zeichnungen, Grafiken, Linolschnitte und Fotos wurden als Gestaltungsmittel eingesetzt. Hier ist das Flugblatt zusätzlich wohl mit einem Linolschnitt und dazu passendem Gedicht versehen.

Es bimmelt!
Es bimmelt die Gemeinde aus:
Wir bitten, keiner bleib' zu Haus,
wenn's geht, auf den Kartoffelacker,
es helfe jeder fleißig, wacker!

"Hach", denkt die Behnsche, und sie lacht.
"Das habt Ihr Euch wohl so gedacht,
ich komm' nicht und Ihr werdet seh'n,
es wird da auch kein andrer geh'n".

Doch da, was ist? Nun staunt sie sehr,
es kommen auf der Straß' daher
der Opa Müller und Frau Schwaß,
das Lieschen, Ute und Herr Saß.

"Na, Behn'sche, ruft der, was ist los,
es gehen alle, Du fehlst bloß.
Von uns bleibt keiner mehr zu Haus,
bis die Kartoffeln alle raus."

Da denkt sie: Bin die Letzte ich?
"Nein," sagt sie, "ich blamier' mich nicht."
Packt schnell die Frühstücksbrote ein,
und läuft dann hurtig hinterdrein.

Damals gab es in der DDR noch keine modernen Kartoffelvollerntemaschinen. Ein Kartoffelroder, oft noch mit Pferd als Zugmaschine, und ein Traktor mit Hänger zum Abtransport der Kartoffeln kamen auf den Feldern als Landtechnik zum Einsatz. Hausfrauen, Rentner und Kinder gingen in der Regel Ende September bis Mitte Oktober auf die Kartoffelfelder, um 10 Pfennig pro gesammelten Korb zu verdienen. Da die Arbeitskräfte für das Sammeln der Kartoffeln fehlten, kamen auch NVA-und sowjetische Soldaten zum Arbeitseinsatz.

An einem Nachmittag sammelte eine Person 50 bis 100 Körbe. In den "Kartoffelferien", heute Herbstferien, verstärkten Schulklassen und Studentengruppen die Kartoffelsammler. Keine Knolle durfte verlorengehen. Die Kartoffeln als Hauptnahrungsmittel für die Bevölkerung und als Futtermittel für die Tiere waren zu wertvoll, als auf dem Acker zu verrotten. Nachsammelbrigaden holten die letzten Kartoffeln kurz vor Frosteinbruch vom Feld. Dafür gab es 30 Pfennig pro gesammelten Korb.

Im Jahr 1950 verzehrte jeder Bundesbürger 202 Kilogramm Kartoffeln. In den Jahren 2007/08 waren es nur noch 61 Kilogramm pro Jahr. Niedersachsen ist in Deutschland heute das Kartoffelanbauland Nr. 1. Jährlich ca. 11 Mio. Tonnen Kartoffeln werden in der Bundesrepublik geerntet. (Quelle: Kartoffelanbau in Deutschland, http://www.was-wir-essen.de).

Elke Krügener, 27. Februar 2012


Quellen

LHAS,11.5-2, Signatur 211 (Es bimmelt, 1959); 13.3-2, Signatur 528 (Städter helfen Kartoffellesen, 1958)

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