In letzter Minute gerettet: Zeugen renaissancezeitlicher Wohnkultur in Rostock
Denkmal des Monats Juli 2010
Durch einen Passanten, der zufällig bemalte Bretter in einem vor dem Renaissancegebäude am Neuen Markt in Rostock abgestellten Müllcontainer fand, wurde die bis dato wohl umfangreichste bekannte Ausstattung eines historischen Giebelhauses der Hansestadt entdeckt. Die Untere Denkmalschutzbehörde wurde benachrichtigt.
Der Wert der bislang unbenannten Malereien im Haupthaus wurde sofort erkannt und eine Baustilllegung verfügt, die bereits abtransportierten Dielen wurden anschließend zurückgebracht. Die Planungsphase begann.
Rostock wurde durch Kriegsschäden stark in seinem Bestand mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Wohnbauten dezimiert, so dass im Gegensatz zu anderen Hansestädten wie Lübeck, Wismar oder Stralsund nicht viel über die historischen Wohnbauten bekannt ist. Von den wenigen erhaltenen Renaissancebauten in Rostock sind diejenigen am Neuen Markt zudem von besonderer städtebaulicher und stadthistorischer Bedeutung. Die historische Parzellenstruktur ist in Rostock zwar noch abzulesen, doch existieren kaum noch Dielenhäuser und Kemläden, wie wir sie aus anderen Hansestädten kennen, die eine Vorstellung von der historischen Wohnkultur vermitteln können.
Das Gebäude Neuer Markt 16 ist ein solches Beispiel, ein dreigeschossiger, unterkellerter Massivbau mit Satteldach, Renaissancegiebel und einem kurzen, dreigeschossigen Kemladen, ebenfalls mit Satteldach.
Aufgrund der bisherigen bauhistorischen Untersuchungen durch Torsten Rütz konnte belegt werden, dass unter Teilerhalt einer mittelalterlichen Brandwand der Kernbau des Gebäudes nach 1635 errichtet wurde. Dieser Phase sind nicht nur bemalte Deckenbalken über Obergeschoss im Haupthaus sowie dessen Giebelwände, sondern auch der Kemladen mit seinem Dachstuhl und zwei bemalten Deckenbalkenlagen der Obergeschosse sowie der Dachstuhl zuzuordnen. Auch das Treppenhaus lässt einen geringen Rest einer Deckenfassung erkennen, die wohl dieser Bauphase zugeordnet werden muss.
Umbauphasen lassen sich für die Zeit um 1800 und 1937 nachweisen, als vor allem im Erdgeschoss massive Eingriffe erfolgten. Umbauten erfolgten noch einmal nach Kriegsschäden 1943, als der Dachstuhl des Haupthauses und das Giebeldreieck erneuert werden mussten.
Durch die restauratorische Voruntersuchung von Wolfram Vormelker konnten die zurückgeführten bemalten Dielenbretter den Deckenbalken über zweitem Obergeschoss des Kemladens zugeordnet werden. Zu sehen ist eine graue, rot abgesetzte Maureskenmalerei mit schwarzen Lilien, wie sie vergleichsweise in Lübeck, Jakobi-Kirchhof 3–4, erhalten ist. Die Deckenbalken über erstem Obergeschoss des Haupthauses zeigen zwei ähnliche Dekorationsschemata, die auf einen Unterzug oder eine Raumtrennung hinweisen. Blattrankenmotive wechseln sich hier mit Kartuschen ab, in denen Früchte beziehungsweise Löwenköpfe auftauchen.
Gegenüber den lang gestreckten Kemläden am Markt in Wismar vermag dieser nur zwei breite Fensterachsen messende Kemladen in vergleichbarer Lage in Rostock kaum bestehen, er besitzt dennoch außer dem künstlerischen Zeugniswert einen hohen Aussagewert für die Wirtschaftskraft und Wohnkultur der Hansestadt im frühen 17. Jahrhundert. Eine intensive, vergleichende, die Ergebnisse der Forschung von Thomas Brockow und anderen fortschreibende Auseinandersetzung mit der Wohnkultur der Renaissance bleibt ein Desiderat.
Man darf gespannt sein auf die Umsetzung des Bauantrags zum Umbau der Traditionsgaststätte Burwitz zu Restaurant und Wohnzwecken, die nun in Abstimmung mit der Denkmalpflege erfolgen wird.
Dr. Jan Schirmer