Ab die Post? Die verspätete Moderne in der DDR und das bauliche Erbe

Denkmal des Monats September 2010

Ehemaliges Hauptpostamt Ribnitz-Damgarten, straßenseitiger Schalterbau, Aufnahme Mai 2009 Details anzeigen
Ehemaliges Hauptpostamt Ribnitz-Damgarten, straßenseitiger Schalterbau, Aufnahme Mai 2009

Abb. 1: Ehemaliges Hauptpostamt Ribnitz-Damgarten, straßenseitiger Schalterbau, Aufnahme Mai 2009

Abb. 1: Ehemaliges Hauptpostamt Ribnitz-Damgarten, straßenseitiger Schalterbau, Aufnahme Mai 2009

Zu den erhaltenswerten Denkmalen in Mecklenburg-Vorpommern gehören Kirchen der Backsteingotik in den Städten der Hanse und die seit Jahrhunderten das Land prägenden Schlösser und Herrenhäuser. Auch Zeugnisse der jüngeren Zeit, in unserem Fall der abgeschlossenen Geschichte der DDR, zählen dazu.

Das ehemalige Hauptpostamt in Ribnitz-Damgarten, das seit einiger Zeit nicht mehr als solches genutzt wird und leer steht, stellen wir aus aktuellem Anlass im September als Denkmal des Monats vor. Gegenwärtig wird der Abbruch des Bauwerks erwogen.

Das in den Jahren 1962–1964 errichtete Hauptpostamt in Ribnitz-Damgarten weist diejenigen Merkmale auf, die für die Baukunst der Nachkriegsmoderne typisch sind. Der dreiteilige Komplex, entstanden nach einem Entwurf von Gustav Adolf Hardt, Mitarbeiter im Amt für Projektierung der Deutschen Post, Gruppe Rostock, zeigt klare kubische Formen in ruhiger und gleichmäßiger Gestaltung. Die Fassaden prägen Stützen aus Sichtbeton; feingliedrige Streben und rasterförmige Betonrahmungen von Fensteröffnungen und Brüstungen bestimmen den Rhythmus. Dünne, weit auskragende Dächer, sogenannte Flugdächer, und Fassaden ohne Sockelzone verleihen dem sich in der Grünfläche eines ehemaligen Friedhofs und späteren Parks erhebenden Komplex eine Anmutung von Leichtigkeit (Abb. 1–5).

Den jeweiligen Aufgaben angepasst, ob Publikumsverkehr oder interne Organisation, werden die unterschiedlichen Funktionen der Teilbereiche sowohl durch den Grundriss als auch durch die Fassadengestaltung deutlich. An den vorderen Publikumsbereich mit großer einladender Fensterfläche schließt ein Verbindungsbau an, dessen lichter Flurbereich von außen einsehbar ist. Im hinteren Bereich des Grundstücks liegt der Betriebsbereich, in dem der Ein- und Ausgang von Briefen und Paketen, die interne Verwaltung sowie die Be- und Entladung der Fahrzeuge organisiert ist. Im Gegensatz zur lichten Gestaltung der vorderen Bereiche lässt die Fassadengestaltung des Hauptgebäudes einen dem Publikumsverkehr abgewandten Büro- und Funktionsbau erkennen.

Ein solches Vokabular der Gestaltung und die zugehörige städtebauliche Anordnung, die den offenen Charakter des Raumes betont, sind konstituierende Merkmale für Bauten, die für den Bereich der alten Bundesrepublik unter dem Begriff "Architektur der fünfziger Jahre" zusammengefasst sind. In der DDR hingegen war die Herausbildung moderner Architekturformen durch eine jahrelang andauernde, staatlich befohlene Phase historisierender Bauformen bis zum Ende der 1950er Jahre lediglich rudimentär ausgebildet. Der Durchbruch der Moderne verspätete sich.

Zu den Verwirklichungen dieser verspäteten Moderne, der sogenannten Ostmoderne, gehörten besonders die Neubauten der Deutschen Post, geprägt durch die Projekte von Kurt Nowotny (1908–1984), dem Chefarchitekten im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen. So zeigt das 1964 fertig gestellte Leipziger Hauptpostamt erstmals in der DDR eine Aluminium-Vorhangfassade. Das Dienstgebäude der Post in der Dresdener Neustadt aus demselben Jahr besticht durch kühn verschobene kubische Grundformen. Es bricht heraus aus der Enge der vorgegebenen Strukturen, gebildet durch das Raster traditioneller Straßenrandbebauung. Bauvorhaben der Deutschen Post, darunter das Hauptpostamt in Ribnitz-Damgarten, setzten Maßstäbe hinsichtlich Innovation und baukünstlerischer Qualität im Bauwesen der DDR.

Eingebunden war die Errichtung des Hauptpostamtes in Ribnitz-Damgarten in die teilweise gegensätzlichen Entwicklungen der DDR am Anfang der 1960er Jahre. Einerseits war die Zeit bestimmt durch den Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961: der Abschottung des Staates, nachdem tausende von Bürgern aus dem Land in Richtung Westen geflohen waren. Andererseits stellte das zweite Jahrzehnt des Bestehens der DDR eine Zeit der staatlichen Festigung dar, in der Modernisierung, Rationalisierung und die Stärkung individueller Anreize im Arbeitsleben in den Mittelpunkt rückten und eine Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung erreicht wurde.

Ribnitz-Damgarten, 1952 zur Kreisstadt erhoben und zu Zeiten der DDR stetig an Bedeutung gewinnend, profitierte von den zentralen Richtungsentscheidungen des Staates. Das neue Hauptpostamt wurde unmittelbar neben dem wenige Jahre vorher fertig gestellten Kino auf einer gestalteten Freifläche erbaut, einem wichtigen historischen Ort der Stadt. Es handelt sich um ein Gelände, das seit 1793 als erster Friedhof außerhalb der Stadtmauern von Ribnitz genutzt und ab 1936 zum öffentlichen Park umgestaltet wurde. Teile der ehemaligen Friedhofsmauer sind im Bereich des Kinos erhalten. Ein niedriger Abschnitt dieser Mauer ist offensichtlich auch auf dem Gelände der Hauptpost erhalten geblieben.

Die ehemalige Hauptpost in Ribnitz-Damgarten gehört zu den jungen Denkmalen in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist aussagekräftiges Zeugnis einer Zeit, für die eine distanzierte Bewertung nicht unmittelbar auf der Hand liegt. Bei den Kirchen der Backsteingotik und den alten Herrenhäuser erbringen der große zeitliche Abstand und die verbreiteten Kenntnisse in der Regel bessere Voraussetzungen für eine allgemeine Zustimmung zum Erhalt. Trotz dieser Schwierigkeiten gehören auch junge Denkmale wie das Hauptpostamt unserem Erbe an. Wir sollten es nicht ausschlagen.

Jörg Kirchner

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