Ein ererbtes bauliches Kleinod mit mehr als 650 Jahre Geschichte - Der "Weinberg" in Wismar

Denkmal des Monats Mai 2014

Hansestadt Wismar, Hinter dem Rathaus 3, Fassade von Südwesten, 2014Details anzeigen
Hansestadt Wismar, Hinter dem Rathaus 3, Fassade von Südwesten, 2014

Abb. 1: Hansestadt Wismar, Hinter dem Rathaus 3, Fassade von Südwesten, 2014

Abb. 1: Hansestadt Wismar, Hinter dem Rathaus 3, Fassade von Südwesten, 2014

Das Gebäude Hinter dem Rathaus 3 gehört zum wertvollsten Gebäudebestand Wismars, seine Bezeichnung "Weinberg" tritt archivalisch erstmals 1751 auf und rührt von dem hier seit 1648 nachgewiesenen Weinhandel her (Abb. 1–2). Die seit dem 19. Jahrhundert ansässige Weinhandlung F. G. Michaelis belieferte den herzoglichen Hof, was schließlich 1899 zur Verleihung des Titels "Hoflieferant" führte und in den1920er Jahren die Gründung einer Filiale in Schwerin nach sich zog.

Im Laufe seiner mehr als 650-jährigen Geschichte erfuhr das im Kern mittelalterliche Giebelhaus vielfache Veränderungen. Aus der Anfangszeit blieben nicht nur die Brandwände bis zur Traufe erhalten, sondern auch zwei Drittel des Dachstuhls, der mittels Dendrochronologie auf 1354/55 datiert wurde und damit zu den ältesten Dachtragwerken der Region gehört (Abb. 3). Während der Bauarbeiten konnte 2013 festgestellt werden, dass auch im Straßengiebel umfangreiche Reste des mittelalterlichen Baus erhalten waren, so unter anderem die profilierten Gewändestufen eines Spitzbogenportals mit glasierten Reliefziegeln.

Die typische Diele im Erdgeschoss, die bis an den Hofgiebel mit dem großen Fenster reichte, wurde um 1540 um 1,5 m erhöht. In diesem Zusammenhang fügte man außerdem die Konstruktion des Hausbaums mit Unterzug ein (Abb. 4). Um 1542 entstand der rückwärtige Kemladen, dessen massiv ausgeführtes Erdgeschoss ursprünglich Gewölbe besaß – eine Besonderheit nicht nur für Wismar, denn nach derzeitigem Kenntnisstand kann nur ein Vergleichsbeispiel aus Stralsund benannt werden.

Wesentliche Veränderungen des 17. und 18. Jahrhunderts stellten der Einbau der Galerie in die Diele, die Bemalung der gesamten Decke über der Diele und der Umbau der Straßenfassade zum reichen Volutengiebel dar.

1822 übernahm Ferdinand Gustav Michaelis die Weinhandlung, in dessen Familienbesitz sie bis 1944 blieb. Die Familie Michaelis nahm zuletzt 1923 eine umfassende Umgestaltung der Diele als Gastraum vor und gestaltete außerdem 1937–1938 drei Zimmer der ersten Etage museal um.

Mit dem Tod des Weinhändlers Ferdinand Gustav Michaelis vermachte dessen Witwe, Lilly Michaelis, das Haus in ihrem 1941 verfassten Testament der Stadt Wismar mit der Auflage, dieses als Zeugnis der Wismarer Handels- und Kaufmannsgeschichte für alle Zeiten zu erhalten. Um den musealen Charakter des Hauses zu unterstreichen, verfügte sie auch, die Diele einschließlich aller Schränke und Bilder, beide Vorderzimmer im Obergeschoss und das sogenannte Schwalbennest am rückwärtigen Giebel zu erhalten (Abb. 5).

1944 ging der Weinberg an die Stadt Wismar über. Zunächst betrieb noch der Neffe von Lilly Michaelis die Weinhandlung, doch 1953 übernahm der VEB Wismaria das Haus. Nach verschiedenen Umbauarbeiten wurde 1966/69 ein Weinrestaurant in dem Gebäude eröffnet. In diesen Jahrzehnten gingen zahlreiche historische Ausstattungsstücke verloren. Die in die Zeit 1640/60 zu datierende bemalte Holzbalkendecke des Kemladens wurde in den 1970er Jahren ausgebaut, weil dessen Abbruch drohte, und im Heilig Geist Hospital eingebaut. 1978 richtete man im Erdgeschoss des Kemladens die Küche ein, das heißt, in den ehemaligen mit Stuckdecken und Ofennische ausgestatteten Wohnräumen der Familie Michaelis standen am Ende große Herde etc. (Abb. 6–7).

1990/91 wurde der Weinberg entgegen dem Vermächtnis von der HO an einen privaten Investor verkauft. 1995 erwarb die Stadt das Anwesen zurück und schuf damit die Voraussetzungen für eine umfassende Sanierung. Da das Gebäude einer Grundsanierung unterzogen werden musste und auf provisorische Maßnahmen verzichtet werden sollte, begannen die Planungsarbeiten 1998 mit der Erstellung eines kurzen Modernisierungsgutachtens. Seit 2001 konkretisierten sich die Planungen für Umbau und Sanierung, ihre Umsetzung musste allerdings mehrfach zurückgestellt werden. Erst 2012 gelang Dank des Konjunkturpakets I und einer umfassenden Bundesförderung der Weltkulturerbestätten ihre Realisierung.

Bedingt durch den musealen Anspruch des Hauses, der sich an dem Vorbild des Lübecker Schabbelhauses in seiner früheren Gestalt in der Mengstraße orientierte, und das verpflichtende Testament der Lilly Michaelis war das Gebäude weitestgehend unverändert erhalten und dokumentierte in hervorragender Weise die Lebensverhältnisse verschiedener Epochen. Ziel der Sanierung und anschließenden Wiedernutzung als Restaurant sollte deshalb sein, die Vielfalt und geschichtliche Entwicklung der Wohnformen zu bewahren, das heißt, die Grundform des Dielenhauses mit rückwärtigem Wohnflügel der Renaissance einschließlich der Überformungen des Barock und den Ergänzungen des Empire, des Historismus, des Jugendstils bis hin zur letzten umfassenden Veränderung aus den 1920er Jahren zu erhalten.

Zukünftig stehen die hohe Diele im Erdgeschoss, die beiden straßenseitigen Wohnräume im Obergeschoss des Vorderhauses und die Galerie als Gasträume zur Verfügung. Die ehemaligen Wohnräume im Erd- und Obergeschoss des Kemladens als auch das sogenannte Schwalbennest im rückwärtigen Dielenbereich unterliegen höheren restauratorischen Anforderungen, weshalb ihre Nutzung eher musealer Art sein soll und sich auf besondere Anlässe beschränkt. Das zweite Obergeschoss mit seinem sogenannten Zeitungszimmer – hier bedecken noch die Zeitungen von 1890–1912 als Makulatur die Wände – und der gesamte Dachraum blieben im Zuge der aktuellen Sanierung unausgebaut.

Die Notwendigkeit einer Gastronomieküche und ausreichender Nebenräume, die wegen der Ausstattung und musealen Präsentation des Hauses weder in den Hauptetagen des Vorderhauses noch im Kemladen unterzubringen waren, machte den Ausbau des Gewölbekellers einschließlich Tieferlegung seines Fußbodens sowie ein Ersatzbauwerk für die Küche anstelle früherer Nebengelasse auf dem Hof erforderlich (Abb. 8). Die Sanierung und statische Ertüchtigung der aufgehenden Wände und des Dachtragwerks vom Vorderhaus erfolgten im üblichen Umfang. Die Erhaltung des rückwärtigen Kemladens hingegen stellte wegen seiner konstruktiven Details – die teilweise erst 1870 errichteten Innenwände standen nicht axial und das Fachwerk der Rückwand war dreiseitig eingemauert – und des ausgeprägten Schadensumfangs eine Herausforderung an alle Beteiligten dar. Im Ergebnis konnten trotz erheblicher statischer Eingriffe und wärmeschutztechnischer Ergänzungen wesentliche Bereiche des Renaissancebaus erhalten werden.

Abgesehen von dem grundsätzlichen Interesse an einem möglichst umfassenden Substanzerhalt stand auch in Hinblick auf das testamentarische Vermächtnis die Wiedergewinnung der überlieferten Raumausstattung im Mittelpunkt der Sanierung. Unter der Maßgabe, das Gebäude annähernd dem Überlieferungsstand von 1944 wieder herzustellen, wurde die 1989 neu verputzte Straßenfassade auf Grundlage der photographischen Überlieferung und geringer Spuren historischer Farbreste in einem mittleren Grau gestrichen und mit weißen Fenstern ausgestattet. Abweichend hiervon und das Baualter sowie die zahlreichen Baugeschichtsspuren würdigend fiel die Entscheidung, die Hofansicht vom Kemladen in dem für die Renaissance überlieferten Rot zu fassen (Abb. 9). Die Fassadengliederung jedoch wurde mit Ausnahme des zwischenzeitlich verlorenen Erkers im Obergeschoss dem Bestand zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprechend instand gesetzt, denn nur unter Beibehaltung der nachträglich verkleinerten Fenster konnten die Innenräume des Kemladens gemäß ihrer umfassend erhaltenen, aber stark geschädigten Innenausstattung von etwa 1910 wiederhergestellt werden. Diese wurde im Obergeschoss von kräftig rot und grün gefärbten Tapeten beziehungsweise Wandbespannungen, weißen Decken und farbigen Linoleumbelägen auf dem Fußboden geprägt (Abb. 10). Trotz der umfassenden Eingriffe konnte an einer Wand die ursprüngliche Bespannung erhalten werden. Im Übrigen wurde die Raumfassung mit neuen Materialien nachgebildet und dabei wurde die freigelegte, barock bemalte Holzbalkendecke eines Teilbereichs in den Raumzusammenhang integriert. Eine Besonderheit stellt das Jugendstilbad im rückwärtigen Obergeschoss dar, dessen Fliesenbelag in weiten Teilen ebenso wie die Badewanne in situ erhalten werden konnte (Abb. 11).

Die Diele des Haupthauses hatte im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts immer mehr den Charakter eines Wohnraums erhalten. Prägend sind seit 1923 die neue barockisierende Haupttreppe zur Galerie und die nach einem Bremer Vorbild neu bemalte Decke, die nun wieder dank Reinigung und Retusche in ihrer früheren Farbigkeit erstrahlt. Die repräsentativen Obergeschossräume erhielten ihre restauratorisch nachweisbaren Wand- und Deckenfassungen, wobei vor allem die Tapete im Galeriebereich mit ihrem üppigen Blumendekor hervorzuheben ist (Abb. 12). In Hinblick auf die Formulierungen im Testament der Lilly Michaelis wäre die Wiederaufstellung der 1941/44 vorhandenen Ausstattungsstücke in der Diele, insbesondere der mächtigen Schränke unter den Bögen der Galerie, wünschenswert. Doch auch ohne sie entspricht das Ergebnis der umfassenden Sanierung und Restaurierung nach Auffassung der am Bau Beteiligten weitestgehend den testamentarischen Verfügungen von Lilly Michaelis.

Am 16. April 2014 wurde der sanierte "Weinberg" in Anwesenheit des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern der Hansestadt Wismar übergeben.

Dr. Bettina Gnekow

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