Die Prozesse der Sidonia von Borcke

Bild 1: Portrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 d Borcke Nr. 104 d 5.Details anzeigen
Bild 1: Portrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 d Borcke Nr. 104 d 5.

Bild 1: Portrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 d Borcke Nr. 104 d 5.

Bild 1: Portrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 d Borcke Nr. 104 d 5.

Der 1619 gegen Sidonia von Borcke angestrengte Prozess wegen Hexerei und ihre Hinrichtung im hohen Alter von 72 Jahren vor den Toren Stettins 1620 hatten schon die Zeitgenossen in ihren Bann gezogen. In der Folge wurde sie zum Stoff vielfältiger literarischer Bearbeitung und es entspann sich die Legende von der für ihren Stand ungewöhnlich reichen und schönen Adelstochter, der vom Herzog Ernst Ludwig von Pommern-Wolgast die Ehe versprochen wurde. Als dieser von der nicht standesgemäßen Vermählung Abstand nahm, habe sie aus Rache das Geschlecht der Greifen verhext und mit dem Fluch der Unfruchtbarkeit belegt. Als 1637 mit Bogislaw XIV. der letzte pommersche Herzog kinderlos zu Grabe getragen wurde und das Herzogshaus damit erlosch, habe sich der Fluch der Sidonia erfüllt. Doch mit der wahren Sidonia hat diese Legende nur wenig gemein. Einerseits war die historische Sidonia sicher eine streitbare, stets auf ihr eigenes Wohl bedachte und fest in ihrem Standesbewusstsein verwurzelte Persönlichkeit, anderseits wurde sie von ihren Verwandten um Teile ihres Erbes geprellt, von Mitschwestern im Kloster Marienfließ geschnitten und ihren Mitmenschen verspottet und argwöhnisch, wenn nicht ängstlich beäugt.

Sidonia erblickte um 1548 als drittes Kind Otto von Borckes und seiner aus Mecklenburg stammenden Frau Anna Schwiechelt das Licht der Welt. Damit entstammt sie einem ausgesprochen stolzen und standesbewussten Adelsgeschlecht, auch wenn der Vater sich eher als Soldritter in fremden Diensten verdingt hatte. Bereits 1551 war Sidonias Vater verstorben, und sie wurde mit ihren beiden Geschwistern Ulrich und Dorothea unter die Vormundschaft Matzke von Borckes gestellt, einem der rohesten Gesellen, die jene Zeit in Pommern gesehen hat. Das Treiben dieses Matzke von Borckes bewog zwei Jahre später Herzog Barnim, neue Vormünder für die Witwe und ihre Kinder zu bestellen. Das Vormundschaftsverhältnis währte bis 1560. In diesem Jahr wurde Ulrich mündig und trat die Nachfolge seines Vaters an. Nach dem Tod der Mutter und anlässlich seiner Heirat mit Ottilie von Dewitz schloss Ulrich 1569 mit seinen Schwestern einen Abfindungsvertrag, um das Stammgut der Familie in seiner Hand möglichst ungeschmälert zu erhalten. Beide Schwestern erhielten 150 Gulden auszahlbar in jährlichen Raten, eine angemessene Ausstattung und jährlich einen Unterhalt von 15 Gulden. Darüber hinaus versprach Ulrich, ihnen im Fall ihrer Verheiratung jeweils eine Mitgift von 1.000 Gulden zu zahlen. Bis dahin sollten die Schwestern auf dem Stammgut der Familie in Stramehl wohnen. Ohne dass wir die Gründe kennen, scheinen sich die beiden Schwestern jedoch mit ihrer neuen Schwägerin überworfen zu haben, sodass ein weiteres Zusammenleben nicht möglich war.

Bild 2: Doppelportrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 Borcke Nr. 104 d 7.Details anzeigen
Bild 2: Doppelportrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 Borcke Nr. 104 d 7.

Bild 2: Doppelportrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 Borcke Nr. 104 d 7.

Bild 2: Doppelportrait der Sidonia von Borcke. Landesarchiv Greifswald Rep. 38 Borcke Nr. 104 d 7.

Die tiefe wirtschaftliche Depression, in die Pommern 1572 nach dem Zusammenbruch des Bank- und Handelshauses der Loitz geriet, ging auch an Ulrich von Borcke nicht spurlos vorbei. Er war gezwungen, sich zu verschulden und Güter zu verpfänden. Die seinen Schwestern in Aussicht gestellte Mitgift war daher kaum aufzubringen und so kann es kaum verwundern, dass sich Ulrich gegen eine Verheiratung seiner Schwestern stellte. Denn eine standesgemäße Ehe anzubahnen oder einzugehen, war für adelige Damen nur mit der Unterstützung und Einwilligung der Familie möglich. Beide Schwestern hielten dennoch nach standesgemäßen Freiern Ausschau und Heiratskandidaten scheint es durchaus gegeben zu haben. Eine Ehe ist jedoch nie zustande gekommen. Die Folge war ein tiefes Zerwürfnis zwischen den Geschwistern, das durch die Weigerung Ulrichs, pflichtschuldigen Zahlungen nachzukommen, weiter angeheizt wurde. Beide Seiten sparten nicht mit gegenseitigen Beschuldigungen und groben Beschimpfungen bis hin zu körperlicher Gewalt gegenüber Boten und Bediensteten der gegnerischen Seite. Die Schwestern strengten vor dem Landesherrn mehrere Prozesse gegen ihren Bruder um ausstehende Zahlungen oder die Bereitstellung angemessener Unterkünfte an, die bis vor das Reichskammergericht gelangten. Im Gegenzug schreckte Ulrich nicht davor zurück, Sidonia durch seinen Bediensteten Jakob Stettin körperlich misshandeln und mit dem Tode bedrohen zu lassen. In den geschwisterlichen Streit wurden weitere Familienmitglieder hineingezogen, sodass schließlich ein tiefer Riss die Familie durchzog. Vor allem Sidonia, die stets auf eine standesgemäße Stellung und die Durchsetzung ihrer Rechte bedacht war, wurde für diese Entwicklung verantwortlich gemacht.

So kann es kaum verwundern, dass auch nach dem Tod Ulrichs die Streitigkeiten anhielten. Als Ulrichs Sohn Otto wie auch andere Familienangehörige ihr die ihr zustehenden Zahlungen und Einnahmen verweigerten, strengte sie bei Herzog Philipp weitere Prozesse gegen ihre Familie an. Allerdings fraßen die Prozesskosten letztlich das ihr verbliebene Vermögen auf und überstiegen den Streitwert bei Weitem, zumal die Beklagten die Zahlungen, zu denen sie verurteilt wurden, auch weiterhin hintertrieben. Den letzten Waffengang gegen ihre Verwandtschaft führte die inzwischen hochverschuldete und über 70 Jahre alte Sidonia 1619 vor dem Stettiner Hofgericht, indem sie ihre Zahlungsunfähigkeit offenbarte, die nur durch eine Auszahlung aus dem ihr zustehenden väterlichen Erbe abgewendet werden könne. Ihre Großneffen konterten, indem sie der Greisin als einzigen Weg, an das väterliche Erbe zu gelangen, die Heirat nahelegten. Auch wenn Sidonia durchaus gewitzt hierauf zu antworten wusste, erntete sie damit kaum mehr als allgemeines Gespött.

Bild 3: Sidonias erstes peinliches Verhör, hier: Beschreibung der Folter. Landesarchiv Greifswald Rep. 40 II Nr. 37 Teil 1 fol. 94v. Details anzeigen
Bild 3: Sidonias erstes peinliches Verhör, hier: Beschreibung der Folter. Landesarchiv Greifswald Rep. 40 II Nr. 37 Teil 1 fol. 94v.

Bild 3: Sidonias erstes peinliches Verhör, hier: Beschreibung der Folter. Landesarchiv Greifswald Rep. 40 II Nr. 37 Teil 1 fol. 94v.

Bild 3: Sidonias erstes peinliches Verhör, hier: Beschreibung der Folter. Landesarchiv Greifswald Rep. 40 II Nr. 37 Teil 1 fol. 94v.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Sidonia bereits seit 15 Jahren im Kloster Marienfließ, in das sie am Neujahrstag 1604, wenige Wochen nach dem Tod ihres Bruders, eingetreten war. Solche evangelischen Jungfernstifte waren gemäß der pommerschen Kirchenordnung von 1573 an fünf Orten des Herzogtums eingerichtet worden und dienten vor allem der Ausbildung junger adeliger Töchter. Als die damals 56-jährige Sidonia in dem Stift Wohnung nahm, dauerte es nicht lange, bis sie mit einigen der Stiftsdamen in Konflikt geriet. Unter Berufung auf ihre Herkunft verlangte Sidonia eine Vorzugsbehandlung und Sonderrechte, die ihr nur zögerlich eingeräumt wurden. Die Protokolle ihrer gegen die Priorin und den Klosterhauptmann angestrengten Prozesse aus den Jahren 1605 und 1606 eröffnen nicht nur einen Einblick in das Klosterleben, sondern auch in die streitbare Persönlichkeit Sidonias. Dass sie sich mit ihrem Auftreten keine Sympathien erwarb, liegt auf der Hand. Die Streitigkeiten unter den Klosterschwestern wurden mit harten Bandagen ausgetragen und Vorwürfe wegen Unzucht, Diebstahl, Verletzung des Keuschheitsgebotes oder Umgang mit zwielichtigen Gestalten füllen die Gerichtsakten. Vor allem dem Vorwurf, mit dem Teufel im Bunde zu sein, sah sich Sidonia vermehrt ausgesetzt, sodass sie sich 1617 zu einer umfangreichen Rechtfertigung gegenüber dem gerade ins Amt gekommenen Herzog Franz I. von Pommern-Stettin veranlasst fühlte. Doch der einmal in die Welt gesetzte Vorwurf war nicht mehr völlig zu entkräften und gewann 1619 eine eigene Dynamik. Als in dem Verhör der wegen Hexerei angeklagten Wolde Albrechts auch der Name von Sidonia fiel, kam der Stein schließlich ins Rollen. Nach der Hinrichtung der Wolde am 9. Oktober 1619 begann die gerichtliche Untersuchung gegen Sidonia von Borcke wegen des Verdachts der Hexerei, an dessen Ende das Todesurteil für die Beklagte stand. Mehrfach war die 72-Jährige der peinlichen Befragung unterzogen worden, um ein Geständnis zu erzwingen. So wurde Sidonia vom Scharfrichter und seinem Knecht "angegriffen, die jope ausgezogen, das crucifix, so sie im halse hengen gehabt, abgenommen, den rock ausgezogen, ihr die hende auff den rugken gebunden und also im bloßen hemde auf die ledder gesetzt." Doch erst als die "corda angezogen, auch die beinschrauben gesetzt" wurden, war die Greisin gebrochen. Das genaue Datum der Hinrichtung ist nicht überliefert. Vermutlich am 19. August 1620 wurde sie vor den Toren Stettins zunächst durch das Schwert enthauptet, wie es ihr als Adeliger zustand, und dann ihr Körper auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Das Landesarchiv Greifswald verwahrt nicht nur einen Teil des Familienarchivs des Geschlechts von Borcke, sondern auch eine Reihe von Akten zu unterschiedlichen Prozessen, die Sidonia von Borcke angestrengt hat oder die gegen sie geführt wurden. Hierbei handelt es sich vor allem um die späten Gerichtsakten aus dem frühen 17. Jahrhundert mit dem Hexenprozess, während die älteren Akten zu den frühen Familienstreitigkeiten im Staatsarchiv Stettin verwahrt werden. Durch die vielfältige Benutzung der Unterlagen seit dem 17. Jahrhundertgerieten die einzelnen Schriftstücke in Unordnung, sodass zu späterer Zeit Unterlagen verschiedener Prozesse zusammengebunden wurden. Auch haben die häufige Benutzung und das Schicksal der Stettiner Archivalien im und nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Akten so stark zugesetzt, dass sie der Forschung nicht mehr vorgelegt werden konnten. Dies galt vor allem für die im Landesarchiv Greifswald liegenden Akten. Im vergangenen Jahr, in dem sich die Hinrichtung Sidonias zum 400-sten Mal jährte, konnten die drei Bände mit dem größten Teil der verschiedenen Prozessunterlagen restauriert und digitalisiert werden, sodass sie nun wieder uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Vom 28. Juni bis zum 2. August 2021 werden die Prozessakten im Rahmen des Projekts "Die Akte Sidonia" im Pommerschen Landesmuseum Greifswald im Original zu sehen sein.

Weiterführende Hinweise: Landesarchiv Greifswald Rep. 40 II Nr. 37; Georg Sello, Geschichtsquellen des burg- und schloßgesessenen Geschlechts von Borcke, 3. Band Teil 2: Sidonia von Borcke. – Vermischte Urkunden, o.O. 1910; Jens Peter Dirk Alvermann, Eine unruhige, wunderseltsame Creatur. Das Leben der Sidonia von Borcke (1548-1620), Rhena 1998; Die Akte Sidonia https://s1620.eu/.

Dr. Martin Schoebel