Das Flächendenkmal Peenemünde

Denkmal des Monats November 2008

Peenemünder Haken, Luftbild vom 21. Juli 1944 Details anzeigen
Peenemünder Haken, Luftbild vom 21. Juli 1944

Abb. 1: Peenemünder Haken, Luftbild vom 21. Juli 1944

Abb. 1: Peenemünder Haken, Luftbild vom 21. Juli 1944

Die weltweit bekannten ehemaligen Versuchsanstalten in Peenemünde sind ein vielschichtiges und ambivalentes Zeugnis der 1930er Jahre. Die objektive Bewertung der Geschichte Peenemündes im Kontext der Herrschaft der Nationalsozialisten und deren militärische Aufrüstung in Vorbereitung und während des Zweiten Weltkriegs stellt vor dem Mythos, der Peenemünde als Wiege der Raumfahrt sieht, noch heute eine Herausforderung dar. Aus diesem Grund sei vorausgeschickt, dass in Peenemünde zwar die Grundlagen für die Raumfahrt gelegt wurden, diese jedoch ein Nebenprodukt der durch das Militär mit allen Kräften vorangetriebenen Forschung und Entwicklung der flüssigkeitsbetriebenen Fernrakete V2 waren.
Der Mythos Peenemündes birgt die Gefahr, dass die Folgen der hier auf höchstem technischem Niveau entwickelten Waffen, nämlich der Tod tausender Menschen und tiefstes menschliches Leid, in den Hintergrund geraten.

Zwei wesentliche Aspekte des menschlichen Handelns und der menschlichen Leistung sind bei der Beschäftigung mit Peenemünde zu berücksichtigen. Einerseits die Innovationen der Rüstungs- und Raketentechnologie und die Leistungen, die bei der Einrichtung der Versuchsanlagen und der Kultivierung des Geländes erbracht wurden. Andererseits das übermäßige Leid für die Menschheit, das Peenemünde im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und der Naziherrschaft brachte.

Schwerpunkt dieses Beitrags ist die Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre als Vorbereitung für den Forschungs- und Rüstungsstandort von Menschenhand geschaffene Kulturlandschaft Peenemünde, die eine beachtenswerte Leistung darstellt. Wegen der Vielschichtigkeit Peenemündes ist es jedoch zwingend, zugleich die Geschichte der Entstehung und die kritische Beleuchtung des militärischen Technologiezentrums Peenemünde in den 1930er und 1940er Jahren mindestens zu skizzieren.

Mit dem Eintritt Wernher von Brauns in den Dienst des Heeres begann das Heereswaffenamt unter der Leitung des Generalmajors Walter Dornberger 1932 unter Umgehung der Verbote des Versailler Vertrages im Artilleriebereich mit eigenen Forschungen zur Entwicklung einer neuartigen Waffentechnologie, einer Fernrakete mit Flüssigkeitsantrieb. Die dafür notwendigen Voraussetzungen schuf das Heer in der seit 1875 bestehenden Heeresversuchs- und Erprobungsstelle in Kummersdorf bei Berlin. Hier fand die Entwicklung der Aggregate 1–3 (A1–A3) statt. Zwei Versuchsmodelle des A2 wurden bereits im Dezember 1934 auf der Nordseeinsel Borkum erfolgreich gestartet.

1935 beschlossen Heer und Luftwaffe die gemeinsame Errichtung einer Versuchsstelle, die die technische Weiterentwicklung der Raketentechnologie, den Test der neu entwickelten Aggregate sowie deren serielle Herstellung auf einem zusammenhängenden Areal ermöglichte.

Aufgrund der abgeschiedenen Lage wurde der Peenemünder Haken, der sich im nördlichsten Teil der Insel Usedom befindet, als Standort ausgewählt. Das Gebiet bot ein 500 km freies Schussfeld entlang der pommerschen Küste und ließ sich zugleich – aus Gründen der Geheimhaltung – leicht absperren.

Der Erwerb des etwa 25 km2 großen Areals erfolgte in den Jahren zwischen 1936 und 1939. Die Gemeinde Peenemünde wurde am 1. April 1940 in einen Heeresgutbezirk umgewandelt, das Dorf anschließend bis auf wenige Einzelgebäude abgerissen und die Dorffläche aufgespült. An dieser Stelle plante das Militär die Errichtung von zwei Kraftwerksblöcken, die die Versuchsanstalt – abgekoppelt vom zivilen Stromnetz – mit Strom und Fernwärme versorgen sollte. Nur ein Kraftwerk wurde vollendet.

Eine unerlässliche Voraussetzung für die Errichtung der Versuchsanstalten des Heeres und der Luftwaffe am Peenemünder Haken waren küsten- und hochwasserschutztechnische Maßnahmen. Im Einzelnen zählen zu diesen die Errichtung von Deichen, die Küstensicherung und eine umfangreiche Geländeerhöhung durch Aufspülungen sowie die Anlage eines umfangreichen Entwässerungsgrabensystems und die Errichtung von Schöpfwerken. Dazu trug man aus Gründen der Oberflächenregulierung an der Ostseite des Peenemünder Hakens die Dünen ab.

Parallel zu den beziehungsweise nach Abschluss der oben genannten Maßnahmen entstanden auf dem Areal zwischen 1939 und 1944 vier bauliche Komplexe, die zu einem der modernsten Rüstungsbetriebe des Deutschen Reichs werden sollte.

Baukomplex 1: Erprobungsstelle der Luftwaffe (Abb. 1, Nr. 1)

Im Norden des Peenemünder Hakens errichtete die Luftwaffe ab 1936 ihre Erprobungsstelle. Hier testete sie in der Flugzeug- und Rüstungsindustrie gefertigte Kriegstechnik wie die Fiseler (Fi) 103, einem unbemannten sprengstoffbeladenen Flugkörper, der von der deutschen Propaganda den Namen Vergeltungswaffe 1 erhielt (V1).

Ein viergeschossiger Luftschutzbunker, fünf Startrampen für die Fi 103 (V1) und weitere Flugkörper sowie über 120 massive Gebäude wurden bis 1944 errichtet. Dazu zählten Hallen mit bis zu 7000 m2 Grundfläche.

Ein 200 x 120 m großer und 4,5 m tiefer Hafen (Nordhafen) mit einer 230 m langen und 80 m breiten Zufahrt zum Peenestrom, etwa 8 km Gleisanlagen und 12 km Straßen sowie ein Flugplatz mit zwei Start- und Landebahnen von etwa 2 km und 1 km Länge entstanden hier.

Zum Schutz gegen Hochwasser ließ das Militär einen 6 km langen Deich am Peenestrom und Greifswalder Bodden bauen. Dieser wurde teilweise bis zu 200 m vom ursprünglichen Ufer entfernt im Wasser angelegt. Durch das Aufspülen der hinter dem Deich liegenden Bereiche wurden etwa 500 Hektar hochwasserfreie Fläche für den Flugplatz, die Versuchsanlagen, Straßen und Gleisanlagen zusätzlich geschaffen (vergleiche Abb. 1 und Abb. 2). Ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem mit Entwässerungsgräben, Schöpfwerk und Drainage stellte den Erhalt und die nachhaltige Nutzbarkeit der Flächen sicher.

Gebäudekomplex 2: Entwicklungswerk des Heeres (Abb. 1, Nr. 2)

Östlich von der Erprobungsstelle der Luftwaffe entstand in den Jahren zwischen 1936 und 1942 das Entwicklungswerk des Heeres, in dem Forschungen und Tests der Flüssigkeitsraketen A5 und A4 durchgeführt wurden. In diesem Werk wurde die 14 m hohe Rakete (A4) gefertigt, die im Oktober 1942 auf ihrer Flugbahn die Grenze zum Weltraum tangieren sollte und den Ruf Peenemündes als Wiege der Raumfahrt begründete.

Als bauliche Anlagen ließ das Heer ungefähr 80 massive Gebäude errichten, unter anderem Hallen mit bis zu 6000 m2 Grundfläche und das Gemeinschaftslager Ost mit 40 Baracken und Gebäuden, die 3000 Personen Unterkunft boten.

Auf dem Prüffeld, das nördlich des Entwicklungswerks lag, ließ das Heer zehn Prüfstände mit über 30 massiven Gebäuden und den zugehörigen technischen Anlagen bauen. Unter diesen befindet sich der Prüfstand VII, von dem im Oktober 1942 der oben genannte erste Testflug einer Flüssigkeitsrakete gelang.

Innerhalb des Entwicklungswerks und zu den Prüfständen wurden etwa 10 km Straße und etwa 8 km Gleisanlagen gebaut.

Gebäudekomplex 3: Versuchsserienwerk des Heeres (Abb. 1, Nr. 3)

Südwestlich des Entwicklungswerks ließ das Heer ab 1939 das Versuchsserienwerk errichten. Hier sollte der Bau des Aggregats 4 (V2) als Serienfertigung erprobt werden.

Ein 5 km langer und 4 m hoher Deich wurde zwischen dem Hafen Karlshagen, der dem Kiesumschlag diente, und dem Hafen Peenemünde, in dem Kohle für das direkt angrenzende Kraftwerk angeliefert wurde, als Hochwasserschutz gebaut (vergleiche Abb. 1 und Abb. 2). Ein Schöpfwerk (Abb. 3), ein 6 Hektar großes Sammelbecken und Entwässerungsgräben, die insgesamt eine Länge von 20 km hatten, ließ das Militär in diesem Zusammenhang anlegen. Etwa 10 km Straße und etwa 15 km Gleisanlagen wurden im Werkgelände gebaut. Außer der bereits bestehenden Werkbahn wurde eine elektrische Werkbahn (S-Bahn) von Zinnowitz bis zum Hafen Peenemünde und zum Flugplatz erbaut. Beide Bahnen transportierten täglich bis zu 25000 Personen.

Zum Werk gehörten etwa 150 massive Gebäude, darunter Hallen mit bis zu 28000 m2-Grundfläche, das Kohlekraftwerk, das der Stromversorgung der gesamten Versuchsstelle diente, mit einer 13 km langen Fernheizung, das Sauerstoffwerk, das den für den Flüssigkeitsantrieb notwendigen Sauerstoff lieferte und drei Prüfstände, davon zwei mit 10 m hohen Wällen und 200 m Durchmesser.

Gebäudekomplex 4: Siedlung (Abb. 1, Nr. 4)

Der Gebäudekomplex wurde im Südwesten des Peenemünder Hakens zwischen 1936 und 1943 auf einer Grundfläche von 90 Hektar als planmäßige Siedlung angelegt. In über 250 Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern (teilweise mehrgeschossig), darunter Wohnbaracken und Reihenhäuser mit bis zu 150 m Länge, waren ungefähr 5000 Wissenschaftler, Ingenieure, Angestellte und Arbeiter untergebracht.
Der nördliche Teil der Siedlung und große Teile im Süden wurden durch den großen Luftangriff der Royal Air Force in der Nacht vom 17. und 18. August 1943 zerstört.

Nach diesem Angriff fand unter Federführung der SS die Verlagerung der seriellen Raketenproduktion in die bombengeschützte Stollenanlage der Mittelwerke GmbH "Dora" bei Nordhausen statt, wo – wie auch in Peenemünde – unter unmenschlichen Bedingungen KZ-Häftlinge beim Bau der Raketen eingesetzt wurden. In der Folge kamen ungefähr 20000 Häftlinge ums Leben.

Im Mai 1945 besetzte die Rote Armee die Insel Usedom, die große Teile der noch vorhandenen Einrichtungen und Ausstattungen der Versuchsstellen demontierte und in die Sowjetunion transportierte. Bis auf wenige Ausnahmen wie das Kohlekraftwerk sprengte die Rote Armee den überwiegenden Teil der baulichen Anlagen.

Nach der Gründung der DDR war Peenemünde Standort der Volksmarine und Luftstreitkräfte und damit Sperrgebiet.

1991 konstituierte sich das Historisch Technische Informationszentrum (HTI), dessen Aufgabe die Aufarbeitung der NS-Geschichte, der Geschichte des Kalten Kriegs und die Aufarbeitung ethischer Fragen in Wissenschaft und Kunst ist.

Die Gesamtanlage "Versuchsanstalt Peenemünde" steht – wie kaum ein anderer Ort – für die Ambivalenz der Nutzung modernster Technologie. Die in Peenemünde zur Serienreife entwickelte Flüssigkeitsrakete kostete abertausende Menschen bei der Produktion und beim Beschuss belgischer, englischer und französischer Städte das Leben.

Als Erinnerungs- und Gedenkort an das dunkle Kapitel der Herrschaft der Nationalsozialisten und den durch sie begonnenen Zweiten Weltkrieg hat das Flächendenkmal Peenemünde eine hohe geschichtliche und wissenschaftliche Bedeutung, dessen Folgen Peenemünde noch heute authentisch bezeugt.

Als ehemals modernstes Rüstungszentrum Deutschlands, das als Nebenprodukt der Forschung und Waffenentwicklung den Grundstein für die Entwicklung der Raumfahrt legte, kommt Peenemünde außerdem hohe technische Bedeutung zu.

Die komplexe Gesamtanlage setzt sich aus den obertägig sichtbaren erhaltenen oder teilzerstörten baulichen Zeugnissen (Baudenkmale), den erhaltenen Resten der zugehörigen Infrastruktur mit Straßen, Schienen und Gleisbett (Baudenkmale/Bodendenkmale), den im Boden befindlichen Zeugnissen wie Fundamente und überdeckte Ruinen (Bodendenkmale) sowie den Zeugnissen von Erschließungs-, Küsten- und Hochwasserschutzmaßnahmen wie Deichen, Dämmen und aufgespülte Flächen zusammen.

Im Westen wird das Flächendenkmal durch den Peenestrom, im Norden durch den Greifswalder Bodden und im Osten durch die Ostsee begrenzt. Den Abschluss im Südwesten bildet der Karlshagener Hafen, der selbst noch innerhalb des Flächendenkmals liegt. Östlich des Hafens verläuft die Südgrenze der Gesamtanlage entlang der Straße am Hafen, der Peenestraße und der Strandstraße.

Die unter den Punkten 1–4 zusammengefassten Angaben basieren auf der Bestandsaufnahme von Herrn Arthur Behn, Untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises Ostvorpommern.

Annette Krug

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