Der Bau einer "Klein-Kinder-Schule" - Ein Projekt von Hermann Willebrand

Archivalie des Monats August 2009

Anna-Stift, FassadeDetails anzeigen
Anna-Stift, Fassade

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Anna-Stift, Fassade

Neben den Großbauten, wie das Schloss in Schwerin, das Gymnasium Fridericianum am Pfaffenteich oder das Staatliche Museum am Alten Garten, die wir mit dem Hofbaurat Hermann Willebrand (1816-1899) verbinden, gehören auch zahlreiche kleinere Projekte zum Werk dieses Architekten.

Zu den bisher fast unbeachtet gebliebenen Gebäuden gehört die ehemalige "Klein-Kinder-Schule Anna-Stift" in der damaligen Stiftstraße in Schwerin, von der bisher nur ein Plan (Bild 2) aus der Sammlung des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege bekannt war und welcher 2001 durch Olaf Bartels in seinem Buch über Hermann Willebrand veröffentlicht wurde. Entgegen der von Bartels darin geäußerten Auffassung hat sich in den Baupolizeiakten (Signatur: MD/BA Kataster 1296 C) der Stadt Schwerin ein bisher unbekannter Plan erhalten (Tusche auf Transparent), der eine Fassadenansicht (Bild 1) sowie einen Grundriss (Bild 3) des Gebäudes zeigt, welches leider einem der Luftangriffe des 2. Weltkrieges zum Opfer fiel.

Der mit "H. Willebrand 1866" signierte Plan zeigt ein eingeschossiges Gebäude mit Satteldach, dass mit neogotischem Zierwerk als ein zeittypisches Beispiel damals moderner Architektur anzusehen ist.

Auf den ersten Blick erinnert das Gebäude sogleich an andere, wesentlich bekanntere Bauten Willebrands, die sogenannten Landarbeiterhäuser in Raben Steinfeld (Bild 4). Helle Fassadenstukkaturen setzen sich deutlich von den dunkleren Ziegeln der Fassadenflächen ab, die Stukkaturen beschränken sich auf die Fenstereinfassungen und die Kanten der Fassadenflächen. Die Dachflächen nehmen mit ihrer zweifarbigen Schieferdeckung das Hell-Dunkel-Spiel der Fassaden auf.

Die straßenseitige Fassade der Klein-Kinder-Schule ist dreiteilig angelegt, links befindet sich ein vorspringender Risalit mit einem vierteiligen Fenster sowie ein bis zum First hochgezogener Ziergiebel; dahinter ist der große Klassenraum angeordnet. Mittig befindet sich ein Eingangsvorbau, die Ecken wurden durch strebepfeilerartige Vorlagen betont. Neben der Eingangstür, über der sich wiederum ein allerdings kleinerer Ziergiebel erhebt, befinden sich 2 Figurennischen. Ein Stuckfeld über der Tür trägt den Namen der Einrichtung: "Anna-Stift". Rechts weist die Fassade, die hier deutlich zurückspringt, nur ein dreiteiliges Fenster auf.

Darunter zeigt der Erdgeschossgrundriss die Raumgliederung des Gebäudes. Aus der Eingangsdiele heraus konnte man nach links die "Schulstube" erreichen, von dort gelangte man in eine weitere Stube und auch den an der linken Seite gelegenen Toilettenanbau. Geradeaus erreichte man von der Eingangsdiele aus die Wohnung der Aufseherin, der Leiterin dieser Einrichtung. Mittig war dort das Treppenhaus gelegen, darum schlossen sich Küche, Kammer und Wohnstube an. An der Rückseite des Gebäudes befand sich ein separater, nur von außen zugänglicher Stallanbau.

Eine weitere im Stadtarchiv Schwerin aufbewahrte Akte (Signatur: M - Magistrat 8419) gibt Auskunft über die Entstehung dieses Projekts. Großherzog Friedrich Franz II. wollte der Stadt Schwerin "ein Andenken an die hochselige Großherzogin Anna ... verleihen", seine im Jahre 1865 verstorbene zweite Ehefrau, indem er "eine[r] der vorhandenen Klein-Kinderschulen ein eigenes Haus erbauen und überweisen lasse", welches dann den Namen "Anna-Stiftung" erhalten solle [Lit. ad 1 recto]. Diesem Anliegen, übermittelt in einem Schreiben des Kabinettsrates Flugge vom 03.07.1865, wurde am 26.09.1865 vom Bürgerausschuss die "stadtverfassungsmäßige Zustimmung ertheilt" [Lit. 2 recto]. Leider hat sich ein ursprünglich beigefügter Bauplan bzw. ein erster Entwurf von Willebrand dazu nicht erhalten. Den Abschluss der Arbeiten stellt ein Protokoll vom 2.März 1867 dar, als das Gebäude samt des Inventars vom Hofbaurat Willebrand an den städtischen Syndikus Westphal übergeben wird und dies mit einer Inventarliste dokumentiert wird [Lit. 9 sowie Anlage A].

Wie ist jetzt der vorliegende Plan aus der Bauakte mit dem bereits bekannten Entwurf einer Wanddekoration (Bild 2) zusammenzubringen? Die Wanddekoration zeigt eine Türöffnung sowie eine Nische, die eine Büste flankieren. Diese Situation ergibt sich nach dem vorliegenden Grundriss nur an einer Stelle, nämlich im Eingangsvorbau. Betritt man also (gedanklich) das Gebäude durch die Eingangstür, steht man dieser Wand genau gegenüber. Rechts der schon beschriebene Zugang zur Wohnung der Aufseherin, links eine Blendnische, welche die optische Symmetrie des Wandaufbaus herstellt. Dieser klassische, besser noch klassizistisch zu nennende Wandaufbau ist typisch für Willebrands Dekorationsentwürfe aus dieser Zeit. Einige Beispiele für das Schweriner Schloss aus der ersten Hälfte der 1860er Jahre seien dafür stellvertretend genannt.

In seinem äußeren Erscheinungsbild gleicht das Gebäude des Anna-Stiftes stark den ersten gebauten Beispielen der Landarbeiterhäuser in Raben Steinfeld. Diese Entwürfe aus den Jahren 1862/63 wurden als Doppelhäuser entworfen, die Giebelseiten weisen jedoch eine ähnliche Abwicklung auf wie die Fassade des Anna-Stiftes. Als Beleg dafür ist ein bei Bartels 2001 abgebildeter Plan anzusehen, der im Landeshauptarchiv Schwerin (Planbestand 12.3-1, Mappe 17) aufbewahrt wird. Links ist ebenfalls ein Risalit mit Ziergiebel angeordnet, daneben ein Eingangsvorbau, rechts springt die Fassade deutlich zurück, ein einzelnes Fenster ist hier angeordnet. Den Abschluss der Fassadenabwicklung bildet ein eingeschossiger Anbau, hier als Stall genutzt, der nicht die Höhe des Hauptbaukörpers erreicht.

Ein Überblick auf das gesamte Werk Willebrands zeigt einen Schwerpunkt in den 1860er Jahren, wenn man seine neogotischen Entwürfe betrachtet. Neben einigen frühen Beispielen aus der Zeit, als Willebrand noch nicht Hofbaurat war, gibt es neben dem Entwurf für sein Privathaus Schelfstraße 26 in Schwerin (1851/52) und dem Entwurf für eine Kapelle in Raben Steinfeld (1887) insgesamt 9 Projekte zwischen 1860 und 1868, in denen Willebrand diese Stilrichtung im Entwurf verwendet. Eine Wiederverwendung von Formdetails ist sicher beim ebenfalls neogotischen "Bau- und Cavallierpferdestall" von 1864 vorhanden und auch der Entwurf für ein neues, ebenfalls neogotisches Schulhaus von 1868 in Raben Steinfeld zeigt dabei eine große Nähe.

Damit wäre das Gebäude des Anna-Stiftes jetzt als ein weiterer, jetzt gut dokumentierter Beleg für eine neugotisch geprägte Phase Willebrands in den 1860er Jahren zu benennen. Diese Feststellung, Willebrand als Neogotiker anzusprechen, bedarf jedoch noch weiterer Belege.

Jörg Moll M.A., Stadtarchiv Schwerin

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