Gebührentabelle des Schweriner Scharfrichters Gebhard Eichenfeldt von 1785

Archivalie des Monats Mai 2013

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Stadtarchiv Schwerin, M 2736, o. Nr.

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Immer wird der Tod durch das Henkersbeil zum gräßlichen Schrecknis und zur niederen Schlächterei. Der erste Hieb des Scharfrichters hat schlecht getroffen, nicht durch den Nacken ist er gefahren, sondern stumpf auf das Hinterhaupt. Ein Röcheln, ein Stöhnen bricht erstickt aus dem Munde der Gemarterten, aber nicht laut. Der zweite Schlag fährt tief in den Nacken und läßt das Blut grell aufspritzen. Aber erst der dritte löst das Haupt vom Rumpf.

So beschreibt Stefan Zweig die berühmte Hinrichtung der Schottenkönigin Maria Stuart im Jahr 1587. Das Henkershandwerk wollte eben gelernt sein! Der Henker Maria Stuarts kam recht gut davon: patzten Scharfrichter bei öffentlichen Hinrichtungen und lieferten zusammen mit den anderen Beteiligten, wie dem Pastor und den Amtsmännern, kein erhabenes und gut durchtaktetes Schauspiel, dann konnte es durchaus passieren, dass die um die "Show" betrogene Menschenmasse den Scharfrichter lynchte.

Scharfrichter mussten, wie andere Handwerker auch, ihr Handwerk erlernen, üblicherweise beim Vater oder Stiefvater. Es konnten aber durchaus noch weitere Ausbildungsstationen bei anderen Scharfrichtern folgen. So sollte 1781 der Schweriner Scharfrichtersohn Gebhard Eichenfeld beim Scharfrichter Hennings, einem Verwandten seines Stiefvaters, in Lübeck lernen. Hennings wiederum war verpflichtet, Eichenfeldt "zum Scharf Richter metier an[zuführen]". Um Scharfrichtermeister zu werden, musste der Lehrling auch ein Meisterstück leisten, also eine Hinrichtung unter Aufsicht seines ausbildenden Meisters vollziehen. Die Scharfrichter, auch Nachrichter und Henker genannt, führten zudem die "peinlichen Befragungen" von Verdächtigten durch; Folter wurde bis ins 18. Jahrhundert als eine legitime Art der Wahrheitsfindung angesehen. Auch die Folter musste fachgerecht durchgeführt werden, musste der Folterer doch genau abschätzen können, wie weit er gehen konnte, ohne dass der Gefolterte an den Verletzungen starb oder bleibende Schäden davontrug.

Nun konnten aber nur wenige Scharfrichter allein von Hinrichtungen leben, denn die Scharfrichter wurden nur für die jeweiligen Hinrichtungen bezahlt und davon gab es gerade in kleineren Städten nicht genug. Üblicherweise führten die Scharfrichter daher auch Abdeckereien, damals "Fronereien" genannt, die ihnen und ihren Familien kontinuierliche Einkünfte ermöglichten. Diese Arbeitsteilung gab es auch in Mecklenburg. Der Scharfrichter der Stadt Schwerin war gleichzeitig auch Scharfrichter und Abdecker des Amtes Schwerin, also der herzoglichen Regierung unterstellt. Wie andere Handwerke so wurde auch das Scharfrichter- und Abdeckerhandwerk als Familienbetrieb mit Knechten und Mägden geführt und sorgte insgesamt für ein gutes Auskommen. Es gab jedoch einen ganz entscheidenden Unterschied zu anderen Handwerken: das Scharfrichterhandwerk war "unehrlich", der Scharfrichter, seine Familie und auch seine Mägde und Knechte standen außerhalb der ständisch organisierten Gesellschaft, wie beispielsweise auch Hausierer oder Totengräber. Deswegen (und wegen der starken Geruchsentwicklung) befanden sich Abdeckereien immer außerhalb der Stadtmauer, in Schwerin am Bleicher Ufer. Unehrlichkeit äußerte sich auch darin, dass die Scharfrichter in Gasthäusern nur an einem separaten Tisch Platz nehmen durften und die "ehrlichen" Einwohner sich weigerten, den Leichnam eines Scharfrichters oder seiner Familienangehörigen zu Grabe zu tragen. So erging es 1671 dem Scharfrichter Johan Flor/Flohren zu Schwerin beim Tode seiner Ehefrau. Unehrlichkeit vererbte sich auch auf die Kinder, was zur Folge hatte, dass diese keine ehrlichen Berufe erlernen, ausüben und auch keine Angehörigen ehrlicher Berufe heiraten konnten. Deshalb wurden die Söhne ebenfalls meist Scharfrichter und die Töchter heirateten in andere Scharfrichterfamilien ein. Auf diese Weise entstanden ganze "Dynastien" von Scharfrichterfamilien, wie die Familie Henning im Lübecker Raum und die Familie Eichenfeldt seit 1708 in Schwerin. Die Eichenfeldts, die das Scharfrichteramt und die Erbfronerei der Stadt und des Amtes Schwerin von 1708 bis in die 1860er Jahre innehatten, gingen Eheverbindungen mit den Scharfrichterfamilien Hennings in Lübeck und Rostock, Schmidt in Bützow und Sternberg sowie Kücken in Bleckede ein.

Im Jahr 1715 ließ Herzog Carl Leopold zu Mecklenburg-Schwerin ein Patent ausstellen, das Christian Eichenfeldt und seinen Nachkommen die Abdeckerei und das Scharfrichteramt des Amtes Schwerin erblich zusicherte und seine Aufgaben und Rechte aufzählte. Ihnen wurde zugesichert, dass sie allein die Abdeckung verendeter Tiere und Hinrichtungen im Amt vornehmen durften und ihnen so niemand ihre Einkünfte streitig machen konnte. Doch wie viel verdiente ein Scharfrichter eigentlich an einer Hinrichtung? Auskunft darüber gibt eine nach heutigem Geschmack reichlich makaber anmutende Gebührentabelle des Scharfrichters Eichenfeldt von 1785, in der detailliert die Gebühren für alle möglichen Hinrichtungsarten und Foltermethoden, für die Unterbringung und Verpflegung der Häftlinge sowie für die Verscharrung des Leichnams aufgelistet sind.

Die erste Seite gibt wieder:

Verzeichniß bei Executions-Vollstreckungen der Nachrichter=Gebühren. vom Amte SuerinRthl.Sch.
Vor Decollierung eines Inquisiten10.0
die Knechte1.0
Vor das Stranguliren eines Inquisiten10.0
den 4 dazu erforderlichen Knechten jeden 1 Rtdlr4.0
Vor einen zum Rade verurtdeilten Inquisiten10.0
den 6 dazu erforderlichen Knechten jeden 1 Rtdlr6.0
Vor einen zum feüer verurtdeilten Inquisiten10.0
den 6 dazu erforderlichen Knechten jeden 1 Rtdlr6.0
Vor den Scheiterhaufen aufzusetzen5.0
den 6 Knechten jeden 24 sch.3.0

So erfahren wir, dass das "Decollieren", also Enthaupten, sowie das Hängen, Rädern oder Verbrennen eines Verurteilten 10 Reichstaler kostete, zuzüglich der Kosten für die ebenfalls erforderlichen Henkersknechte, die mit je 1 Reichstaler zu entlohnen waren. Andere Serviceangebote kamen billiger: das öffentliche Aufstecken des Kopfes oder einer Hand, das Verscharren der Leiche, aber auch das Verhör und die "real=Tortur", also die Folter, waren beispielsweise mit 5 Reichstalern an den Scharfrichter selbst und entsprechend niedrigeren Gebühren an die Knechte zu bezahlen. Unterbringung und Verpflegung der Häftlinge, die ebenfalls vom Scharfrichter und seiner Familie zu leisten waren, waren vergleichsweise preiswert: 16 Schillinge kostete die Aufsicht des Häftlings pro Woche, 1 Reichstaler seine Speisung. Diese Gebühren waren schon seit Längerem in Kraft wie die Rechnung des Scharfrichters Johann Eichenfeldt für seinen Service rund um die Hinrichtung der Kindermörderin Sophia Warnsen im Jahr 1765 beweist. 19 Reichstaler und 36 Schillinge verlangte der Scharfrichter für die Überführung, Verpflegung, Beaufsichtigung und Hinrichtung der Warnsen und das Verscharren der Leiche. Insgesamt kostete die Hinrichtung 97 Reichstaler und 36 Schillinge, wie die Aufstellung der herzoglichen Kammer zeigt.

Am Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Stimmen gegen Folter und Hinrichtungen immer lauter. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts spezialisierten sich einige wenige Anbieter in Deutschland auf das Henkerhandwerk, die dann für jede Hinrichtung extra anreisten. Die letzte öffentliche Hinrichtung in Schwerin fand am 15. April 1814 statt. Die Tagelöhnerin Siggelkow hatte ihren Ehemann vier Jahre zuvor mit der Axt erschlagen und wurde mit dem Schwert enthauptet. Der Scharfrichter Eichenfeldt war zu alt, um den Streich noch selbst zu führen. Sein Sohn (vermutlich Christian Eichenfeldt) führte den tödlichen Streich – es war sein Meisterstück.

Yvonne Bergerfurth


Quelle

Stadtarchiv Schwerin, M 2736, o. Nr.

Archivalie des Monats Mai 2013

Gebührentabelle des Schweriner Scharfrichters Gebhard Eichenfeldt von 1785