Sternberg 1492 und die Folgen

Archivalie des Monats April 2008

Notgeldschein aus dem Jahr 1922 (Vorderseite)Details anzeigen
Notgeldschein aus dem Jahr 1922 (Vorderseite)

Notgeldschein aus dem Jahr 1922 (Vorderseite)

Notgeldschein aus dem Jahr 1922 (Vorderseite)

1492 ist ein Jahr der Zeitenwende. Columbus entdeckte Amerika und die Weltsicht veränderte sich. Für die Geschichte Europas war die Vertreibung der Mauren und Juden aus Spanien ein Einschnitt, und ein Einschnitt war das Jahr 1492 auch für das Judentum in Mecklenburg. In Sternberg wurden vor geladenen Fürsten und Bischöfen 27 Juden verbrannt, alle anderen, 265 an der Zahl, wurden aus Mecklenburg ausgewiesen, ihr Vermögen eingezogen – ein Pogrom mit lang anhaltenden Folgen.

Die Aufsehen erregende Judenverfolgung fand Aufnahme in die verbreitete Weltchronik des Nürnbergers Hartmann Schedel – als einziges Ereignis der mecklenburgischen Geschichte übrigens. Flugschriften kursierten, die das Sternberger Geschehen beschrieben, der mecklenburgische Hofhistoriker Nikolaus Marschalk verfasste eine lateinische Schrift darüber und der Humanist Heinrich Bogher ein Gedicht.

Was war passiert? Was hatte die Verfolgung ausgelöst? Ein Verhörprotokoll von 1492, das als zeitgenössisches Originaldokument im Landeshauptarchiv erhalten ist, gibt Auskunft: Hostienschändung war der Vorwurf, erfahren wir. Juden hatten sich in Penzlin, Teterow und Sternberg geweihte Hostien besorgt, die sich nach christlicher Vorstellung durch das Sakrament in den Leib Christi verwandelten. Diese auch für Gläubige schwer nachvollziehbare Umwandlung - "Transsubstantiation" ist das theologische Fremdwort dafür - wurde zum Thema des jüdischen Spotts: eine Hostie wurde mit Nadeln oder Pfriemen fünfmal gestochen wie der Leib Christi am Kreuz, der fünf Wunden hatte, aus einer anderen wurde eine menschliche Figur geschnitten mit Händen und Füßen. Dies geschah bei einem gemeinsamen Essen in Sternberg, einer jüdischen Hochzeit nach anderer Tradition.

Anschließend wurden die Hostien einem Sternberger Priester von einer Jüdin mit den Worten übergeben: "Hier ist dein Gott!" Der Priester, der zwei der Hostien gegen Geld beschafft hatte, vergrub sie, wurde aber von einem Geist, der ihm des nachts erschien, erschreckt und offenbarte die Geschichte. Er musste später ebenso auf dem Scheiterhaufen sterben wie die Juden.

Als man die Hostien ausgrub, waren sie rot, man hielt sie für blutig, schnell entstanden Wundergeschichten um die blutenden Hostien von Sternberg, die Wallfahrer anzogen. Ein neuer Wallfahrtsort entstand, ein Augustiner-Kloster wurde in Sternberg gegründet. In der Heiligblut-Kapelle der Sternberger Kirche wurde wie eine Reliquie die Tischplatte ausgestellt, auf der die Hostienschändung stattgefunden haben sollte. Sie ist dort heute noch zu sehen. Ein Mahnmal erinnert seit 2007 an das "Stigma Sternbergs".

Der Antisemitismus, die Abneigung gegen Juden war so verbreitet, dass die Mecklenburger Herzöge keine Kritik, sondern Anerkennung erfuhren für das inszenierte Pogrom. Sie hatten es den "vermaledeiten, bösen Juden" gezeigt. Erstaunlicherweise gab es auch nach der Reformation, nach dem Ende von Wallfahrt und Heilig-Blut-Verehrung in Sternberg keine Kritik an dem Verfahren von 1492. In der mecklenburgischen Geschichtsschreibung wird bis in das 20. Jahrhundert weitgehend unkritisch die "Hostienschändung" als der rechtfertigende Kontext des Pogroms angegeben, als hätte man nicht gewusst, dass Verhöre damals unter Folter stattfanden und "Geständnisse" entsprechend zu werten sind. Die "Urgicht", das Geständnis der Juden vor der Hinrichtung, war auf einer Brettertafel im Sternberger Rathaussaal angebracht, wo der Mecklenburger Landtag sich versammelte, bis ein Feuer 1659 die Inschrift zerstörte.

Sternberg schmückte noch 1922 sein Notgeld mit dieser Episode seiner Geschichte. Scham und Trauer stellen sich heute ein, wenn man, vom Verhörprotokoll ausgehend, die Sternberger Ereignisse von 1492 nacherlebt. Pogrom heißt "Hetze mit Gewalttaten gegen eine Gruppe der Bevölkerung" (Sprachbrockhaus). So war es.

Von Andreas Röpcke

Archivalie des Monats April 2008

Sternberg 1492 und die Folgen