Ein Wolfszahnnuckel aus Stralsund
Fund des Monats Juli 2008
Hansestadt Stralsund, Wolfszahnnuckel aus dem 17. Jahrhundert
Foto: LAKD MV/LA
Hansestadt Stralsund, Wolfszahnnuckel aus dem 17. Jahrhundert
Foto: LAKD MV/LA
Wohl fast jeder Mitteleuropäer hat ihn in seinen jungen Lebensjahren im Mund gehabt: einen Sauger, Nuckel, Schnuller – oder welch liebevolle Bezeichnung diesem Gegenstand sonst noch zugeeignet wurde.
Die heutigen Formen mit Gummi- oder Silikonsaugern sind aber erst eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Vorher behalf man sich unter anderem mit Saugnuckeln aus Leder.
Aus dem 17. Jahrhundert kennt man von Abbildungen und nach einigen Museumsstücken noch eine andere Form von Saugern. Bei diesen Stücken ist zumeist ein der Länge nach aufgeschlitzter Eckzahn eines Wolfes, seltener auch eines Bären, in ein Messing- oder Silberpfeifchen gefasst und mit Schellen versehen.
Solch ein Utensil wurde während der zurzeit größten innerstädtischen Ausgrabung in Mecklenburg-Vorpommern, im Herzen der Stralsunder Altstadt gefunden. Hier werden seit August 2007 rund 5000 m2 des Quartiers 17 ausgegraben, das südlich an das gotische Rathaus grenzt. Der hier abgebildete Nuckel wurde in einem nach dem Stadtbrand von 1680 mit Schutt verfüllten Keller geborgen
Es handelt sich um den rechten Unterkiefer-Eckzahn eines jungen, ausgewachsenen Wolfes, der in ein seitlich abgeplattetes, 8 cm langes Messingpfeifchen eingepasst ist. Ein Schlitz im Zahn erleichterte das Saugen. Im Bereich des Pfeifenmundstückes ist eine Messingschelle an einer Öse befestigt. Vier weitere Ösen unterhalb der Fassung zeigen an, dass ehemals fünf solcher Schellen vorhanden waren. Die Schellen und das Pfeifchen ermöglichten es dem Kind, sich der Mutter oder der Amme in Erinnerung zu rufen.
Das Kind konnte nicht nur an dem Wolfszahn saugen, sondern auch darauf herumbeißen, was das Zahnen erleichtern sollte. Darüber hinaus sprach man gefassten Wolfszähnen allgemein Unheil abwehrende Kräfte zu.
Mit dem Wolfszahnnuckel aus Stralsund liegt wohl der erste archäologische Fund dieser seltenen Utensilien aus dem 17. Jahrhundert vor, die zumindest in Deutschland und den Niederlanden eine weite Verbreitung hatten.
Für die Bestimmung des Zahnes sei Dr. Wolfgang Zessin, Zoologischer Garten Schwerin, herzlich gedankt.
Dr. Jörg Ansorge