Fund des Monats Mai 2025

Der Peenemünder Haken – eine Kriegslandschaft

Abb. 1: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Aus dem Luftbild aus dem Jahr 1944 geht deutlich die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes hervor.Abb. 1: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Aus dem Luftbild aus dem Jahr 1944 geht deutlich die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes hervor.Details anzeigen
Abb. 1: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Aus dem Luftbild aus dem Jahr 1944 geht deutlich die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes hervor.Abb. 1: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Aus dem Luftbild aus dem Jahr 1944 geht deutlich die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes hervor.

Abb. 1: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Aus dem Luftbild aus dem Jahr 1944 geht deutlich die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes hervor.

Abb. 1: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Aus dem Luftbild aus dem Jahr 1944 geht deutlich die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes hervor.

Die Geschichte des Peenemünder Hakens ist eine Geschichte militärischer Nutzung, in deren Folge der komplette Landstrich tiefgreifend verändert wurde. Schon im 30jährigen Krieg nutzte man die strategisch günstige Lage zwischen Ostsee und Peenestrom zur Anlage militärischer Bauten, die bis in das 19. Jahrhundert Bestand hatten. Entsprechende Zeugnisse von Kriegshandlungen sind noch immer im Boden gespeichert.

Die umfangreichsten Veränderungen erfuhr die schon früh unter Naturschutz stehende, natürlich entstandene Dünen- und Moorlandschaft des Peenemünder Hakens durch die Einrichtung der Versuchsanstalten des Heeres und der Luftwaffe der Wehrmacht. 1936 begann der Bau militärischer Großforschungs- und Erprobungseinrichtungen mit dem Ziel, unbe­mannte Fernwaffen mit neuartigen Antrieben, darunter die erste Großrakete, zur Einsatzreife für den Zweiten Weltkrieg zu entwickeln. Durch Trockenlegungen, Aufspülungen, Eindeichung und natürlich eine ausgedehnte Bautätigkeit wurde die Landschaft in großem Umfang umgestaltet. Hunderte Labor- und Bürogebäude, Werkstätten, Prüf­stände, Fertigungsanlagen, 80 Kilo­meter Schienennetz, Straßen, Häfen, Flugplatz, Ver- und Entsorgungsein­richtungen, Siedlungen und Lager machten es möglich, dass im vor­mals kaum besiedelten Inselnorden gleichzeitig bis zu 12.000 Menschen lebten, arbeiteten und höchst ambitionierte Vorhaben realisierten. Doch in Peenemünde wurde der Krieg nicht nur vorbereitet, sondern er kam durch vier westalliierte Luftangriffe auch an den Ort zurück und hinterließ bis heute sichtbare Spuren.

Nachdem die Wehrmacht die Versuchsstellen in Peenemünde zum Kriegsende aufgegeben hatte, be­setzte die Sowjetarmee die Anlagen, nutzte sie kurzzeitig weiter, verbrach­te Maschinen und ganze Gebäude­teile ins eigene Land und sprengte den Großteil der verbliebenen Ein­richtungen im Jahr 1947. Noch brauchbare Baustoffe wurden zum Neuauf­bau zerstörter Orte ver­wendet, der Rest verschwand im Grünen und wurde nach und nach überwachsen.

Ab den 1950er und 1960er Jahren fand die militärische Nutzung und Überformung des Peenemünder Hakens neue Formen durch Einheiten der Nationalen Volksarmee der DDR. Der Kalte Krieg hinterließ Spuren auf dem wiederum gesperrten Areal in Form neuer Bauten oder auch Umnutzungen von noch vorhandenem Bestand.

Nach 1990 und der sukzessiven Öffnung des Geländes hielt der Tourismus Einzug, eine gemeindliche Entwicklung war wieder möglich. Militärische Strukturen wurden teilweise rückgebaut, große Bereiche wieder zum Naturschutzgebiet. Altlasten der vormaligen militärischen Nutzungen und der Kriegseinwirkungen sorgten für eine Sperrung weiter Bereiche.

1991 erhielt das Kraftwerk Peenemünde, das einzige erhaltene Großgebäude der Versuchsanstalten, den Status des Technisches Denkmals (siehe dazu: Denkmal des Monats 2013)

In den späten 1990er Jahren erfolgte die Unterschutzstellung der sonstigen Hinterlassenschaften der Peenemünder Versuchsanstalten auf dem Peenemünder Haken auf etwa 30 km² Fläche (siehe dazu: Denkmal des Monats 2008).

Das Kraftwerk ist heute Sitz des Historisch-Technischen Museums (HTM) Peenemünde. Das Museum vermittelt die Geschichte des Ortes in einer umfangreichen Ausstellung, die in den nächsten Jahren einmal komplett überarbeitet und erneuert werden soll. Zu den musealen Aufgaben gehört auch die Einbeziehung des authentischen Ortes mit seinen unterschiedlichen Hinterlassenschaften, die auf einem Rundweg durch die sogenannte Denkmal-Landschaft erkundet werden können. Dazu wurde eine App entwickelt, in der mit den jeweiligen historischen Orten originale Dokumente der Peenemünder Geschichte verknüpft sind (app.museum-peenemuende.de und museum-peenemuende.de/das-museum/die-denkmal-landschaft/).

Die Kriegslandschaft Peenemünde – der Zeugniswert von Zerstörung

Abb. 2: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im aktuellen Luftbild des Peenemünder Hakens sind noch immer die Spuren der militärischen Nutzung des Zweiten Weltkrieges erkennbar.Details anzeigen
Abb. 2: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im aktuellen Luftbild des Peenemünder Hakens sind noch immer die Spuren der militärischen Nutzung des Zweiten Weltkrieges erkennbar.

Abb. 2: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im aktuellen Luftbild des Peenemünder Hakens sind noch immer die Spuren der militärischen Nutzung des Zweiten Weltkrieges erkennbar.

Abb. 2: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im aktuellen Luftbild des Peenemünder Hakens sind noch immer die Spuren der militärischen Nutzung des Zweiten Weltkrieges erkennbar.

In Folge der historischen Ereignisse entstand auf dem Peenemünder Haken, nimmt man die bewohnten oder bewirtschafteten Bereiche einmal aus, eine postzivilisatorische Landschaft mit ausgedehnten Ruinenanteilen, Trümmerfeldern und sonstigen Überresten des militärisch- industriellen Komplexes der Versuchsanstalten Peenemünde. Kriegseinwirkungen sind in Form von unzähligen Bombentrichtern sichtbar. Durch die Demontagen der Anlagen nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgten tiefe Eingriffe in die baulichen Strukturen. Nach Sprengungen und Baustoffgewinnung blieben lediglich Fundamente und nur wenige aufgehende Bereiche erhalten. Selbst an den entlegensten Ecken durchzieht ein Netz von Gräben, Überbleibsel ausgegrabener Kabel, die Landschaft.

Doch trotz des mittlerweile dichten Bewuchses ist die Lage der zerstörten Bauten nach wie vor gut zu erkennen. Oberflächlich häufig vorzufindende Baustoffe, vor allem Ziegel und Beton, erleichtern die Verortung. Hingegen finden sich Reste der Einzäunungen noch häufig in situ und können als sprechende Zeugen bzw. Landschaftsmarker die militärische Prägung der Landschaft verdeutlichen. Für die Ruinen der Forschungs- und Industriebereiche ist die historische Zuordnung auf Grundlage von Quellenmaterialien zum größten Teil möglich. Durch die lückenhafte schriftliche Überlieferung der Peenemünder Geschichte, eine Folge der Kriegsereignisse, wird allerdings die Deutung von etlichen Nebengebäuden und -anlagen ein Desiderat bleiben.

Ähnlich verhält es sich mit Bauten, die nicht für Forschungs-, Erprobungs- oder industrielle Zwecke vorgesehen waren. Diese errichtete man in Leichtbauweise. Von diesen Bauten sind Streifenfundamente und teilweise Medienzugänge wie Wasserleitungen erhalten. Weitaus einfacher angelegt waren Barackenbauten, wie die des KZ-Außenlagers Karlshagen I. Sie sind lediglich als Bodenvertiefungen nachweisbar. Teilweise haben sich einfache Holzpfeiler als Auflager der Böden erhalten.

Mit Hilfe der durch Airborne-Laserscans gewonnenen Oberflächenmodelle lässt sich die Anlage des Lagers deutlich nachvollziehen. Baulich erhalten sind lediglich Bewachungsbunker, Fundamente von Wachtürmen und einige Reste der Infrastruktur wie Entwässerungsschächte. Auf dem Oberflächenmodell kann die Anordnung der Baracken nachvollzogen werden, während im Gelände durch den dichten Bewuchs nur schwer Befunde ausgemacht werden können. Ganz ähnlich verhält es sich mit Splitterschutzgräben, die von ehemaligen Häftlingen immer wieder erwähnt wurden, aber im Gelände durch den dichten Bewuchs nicht wahrnehmbar sind. Zur Aufarbeitung der Geschichte des KZ-Arbeitslagers wertet aktuell ein Historiker des HTM Peenemünde überlieferte Dokumente und Zeitzeugenaussagen aus. Gerade an diesem Ort wird die Bedeutung der materiellen Hinterlassenschaft in Ergänzung zur historiografischen Untersuchung deutlich. Die sich stark unterscheidenden Zeitzeugenbeschreibungen über die Beschaffenheit des Lagers ergeben erst mit dem Abgleich des archäologischen Befundes eine fassbare Ortsbeschreibung. Die Ergebnisse sollen in eine Neubeschilderung des Erinnerungsortes einfließen.

Neben den noch erkennbaren Befunden auf dem Peenemünder Haken bilden die Oberflächenfunde einen wertvollen Indikator für die Charakterisierung einzelner Bereiche und das Verständnis des Lebens in den Versuchsanstalten. Dabei kann es sich um Bauschutt handeln, der im besten Fall absolut datiert werden kann, aber auch um Arbeitsabfälle, Waffenteile oder Dinge des täglichen Bedarfs. Eine genaue örtliche Zuordnung ist leider nicht in jedem Fall klar gegeben, zum einen durch die Geschichte der Landschaft mit ihren ständigen Zerstörungen und der damit verbundenen Verlagerungen, aber auch durch die leider gleichbleibend hohe Zahl an größtenteils sich illegal im Gelände bewegender Menschen, die immer wieder Objekte vertragen. Als Beispiele seien hier zwei unterschiedliche fragmentierte Bierflaschen angeführt, die aus vollkommen unterschiedlichen Regionen stammen und daher ein Licht auf die Lebensmittelwirtschaft werfen. Sowohl das Bockbier aus Demmin als auch das Lagerbier aus Schlochau, dem heutigen Człuchów, stammen aus Bereichen, die unmittelbar mit Lebens- und Arbeitsbereichen verknüpft sind.

Beim Verständnis Peenemündes ha­ben über Jahrzehnte die technischen Innovationen alle sozial- und kultur­historischen Aspekte überstrahlt, was den historischen Ort außergewöhn­lich, vielleicht sogar einzigartig er­scheinen ließ. Über die Geographie und die physischen Relikte betrachtet, wirkt jedoch die recht abgeschlosse­ne Welt an der Nordspitze der In­sel Usedom, die ab 1936 aus dem Nichts entstand, als sehr typisch für den Nationalsozialismus und gera­dezu als eine brennglasartige Ver­dichtung dieser Gesellschaft. Das Werden und Vergehen dieser Kriegslandschaft sollte daher nicht als Zerstörung des historischen Ortes mit dem Verlust eines Denkmales assoziiert, sondern als Teil der Landschaftsgeschichte mit einer eigenen historischen und ebenso emotionalen Aussagekraft verbunden werden. Es ist also nicht unbedingt das Einzeldenkmal bzw. einzelne Bodendenkmal, dass den besonderen Wert der Denkmal-Landschaft als Mahn- und Erinnerungsort ausmacht, sondern die Gesamtheit der materiellen Hinterlassenschaften. Die Reflexionen über diese durch den Menschen umgestaltete Landschaft zeigt die Vergänglichkeit des Anspruchs, mit fortschrittlicher Waffentechnik Kriege zu gewinnen.

Zum Umgang mit einem Flächendenkmal und Erinnerungsort

Abb. 3: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Ansicht des Kraftwerkes Peenemünde mit östlichem Ende der Kranbahn.Details anzeigen
Abb. 3: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Ansicht des Kraftwerkes Peenemünde mit östlichem Ende der Kranbahn.

Abb. 3: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Ansicht des Kraftwerkes Peenemünde mit östlichem Ende der Kranbahn.

Abb. 3: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Ansicht des Kraftwerkes Peenemünde mit östlichem Ende der Kranbahn.

Um dreißig Quadratkilometern Fläche mit unzähligen Bodendenkmälern und Denkmälern inhaltlich gerecht zu werden, bedarf es verschiedener Werkzeuge und Ansätze. In Auftrag gegeben durch das HTM Peenemünde, wurde 2012 ein Conservation Management Plan erstellt. Er dient dazu, im Sinn der Charta von Burra die gesamte Denkmalfläche zu verstehen und Vermittlungsansätze herauszuarbeiten.

Darüber hinaus bietet die Fläche großes Potenzial, mit bauhistorischen und archäologischen Forschungen neue Erkenntnisse zur methodischen Herangehensweise an Orte der späten Neuzeit bzw. zeitgeschichtliche Ruinen zu gewinnen. Gerade in der Archäologie der Moderne fehlen Materialvorlagen für diese Zeitstellungen.

Aktuelle archäologische und bauhistorische Forschung auf dem Peenemünder Haken

In dem zum Peenemünder Sperrgebiet gehörenden Bereich des ehemaligen Versuchsserienwerks befinden sich auf einer Liegenschaft der DBU Naturerbe GmbH die Überreste der zwischen 1939 und 1945 für die Serienfertigung des Aggregats 4 errichteten Fertigungshalle 1 (F1). Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Halle gemäß den Vorgaben des Potsdamer Abkommens für Rüstungsbetriebe abgerissen. Heutzutage handelt es sich bei dem Areal des Gebäudes um eine in weiten Teilen von Betonschuttbergen überdeckte, mit Kiefernwald bestandene Ruinenlandschaft, in der an vereinzelten Stellen vergleichsweise intakte Baureste erhalten sind. Seit 2019 wird die F1 mit Methoden der Bauforschung und Archäologie in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten interdisziplinären Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Baugeschichte an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg untersucht. In diesem Projekt, ‘Die baugeschichtliche Erforschung der F1 in Peenemünde als Beitrag zur archäologischen Erschließung materieller Hinterlassenschaften an kontaminierten Kulturerbestätten‘, geht es um die Erschließung der Bau-, Nutzungs- und Nachnutzungsgeschichte der Halle anhand der unterschiedlichen Befundlagen in schriftlichen, bildlichen und materiellen Quellen. Durch das von Juni bis Oktober 1943 im Sockelgeschoss der Halle untergebrachte Ravensbrücker Außenlager Karlshagen II geht die Bedeutung der F1 aus heutiger Sicht über ihre Bestimmung als Fabrikbau hinaus. Räumliche Disposition, Umsetzung und exakte Verortung des Lagers im Bau sind im Gegensatz zu vielen anderen Quellen, die mehr oder weniger verlässliches Wissen über geometrische Verhältnisse und Konstruktion der Halle sowie über einen Teil der Räume vermitteln, nicht überliefert und in der Ruine selber aktuell nicht mehr erkennbar. Die F1 ist somit zugleich ein Beispiel für selbst bei Vorhandensein archivalischer Quellen archäologisch und bauforscherisch zu untersuchende Fragestellungen, die sich gerade dort stellen, wo Pläne als vermeintlich eindeutige archivalische Quellen keine Auskunft geben. Hiervon zeugt der Sockelgeschossplan der F1, der wohl im Jahr 1939 entstanden ist. Auf diesem Plan sind herkömmliche Funktionsbereiche, wie sie in einem Fabrikgebäude zu erwarten sind – wie beispielsweise Materiallager oder die Infrastruktur für die Peenemünder Angestellten (Sanitär- und Umkleideräume, Kantine etc.) – verzeichnet. Wie unter anderem die zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene Einrichtung des Lagers Karlshagen II zeigt, kann jedoch nur im Abgleich mit möglichen Befunden vor Ort geklärt werden, ob solche Angaben am Ende der tatsächlichen Umsetzung entsprechen. Aus der Notwendigkeit, die Befundsituationen, deren Genese durch eine komplexe Überlieferungsgeschichte entstanden ist, zuverlässig interpretieren zu können, ergibt sich zugleich die Relevanz der Untersuchung der weiteren Nutzungs- und Nachnutzungsphasen der Halle, unter denen neben der partiellen Demontage der Ausstattung im Kontext der Produktionsverlagerung in das KZ Mittelbau-Dora auch kriegsbedingte Schäden durch Luftangriffe, vor allem jedoch der Abriss der Halle mit einhergehender Baustoff- und Materialgewinnung wesentlich sind. Auch hierfür ist die Ruine ein unersetzbares Dokument, dessen Wert sich an der Nachvollziehbarkeit seiner Überlieferung bemisst.

Neben inhaltlichen Fragen stehen auch praktische Aspekte im Fokus. So stellt die aus diversen Quellen potentiell mit Gefahr- und Schadstoffen sowie Kampfmitteln kontaminierte, mit Betonschutt überlagerte Industrieruine der Moderne Archäologie und Bauforschung aus Sicht des Arbeitsschutzes vor spezielle Herausforderungen. Mit Erarbeitung und erfolgter Umsetzung eines entsprechend abgestimmten Methodenkanons soll im Projekt ein langfristig über Peenemünde hinausreichender Beitrag zum praxisorientierten Umgang mit kontaminierten Kulturerbestätten geleistet werden. Aus der Erfassung der Baustoffe der F1 wiederum ergibt sich neben der Bestandsaufnahme des Gebäudes als eines repräsentativen Beispiels für einen Industriebau der 1930er/1940er Jahre ein Vergleichskorpus für weitere Fundstellen der Heeresversuchsanstalt. Hieraus können weiterführende Fragen entstehen, die sich am Beispiel der zu diesem Korpus gehörenden Betonzaunpfosten des Peenemünder Sperrgebiets aufzeigen lassen, die in Bezug auf Entwicklung, Datierung und Verwendung monographisch vorgelegt wurden ("Von Zäunen und Pfosten": Relikte des 20. Jahrhunderts im Fokus der Archäologie open access unter: fis.uni-bamberg.de/entities/publication/20d61a17-645a-4da3-851c-7ad7fbe89bec).

Erst in der Zusammenführung dieser unterschiedlichen Befund- und Quellenlagen entsteht die Bau- und Nutzungsgeschichte des Ortes, die mit einer hypothetischen Modellrekonstruktion des Lagers Karlshagen II einhergeht.

Gefahren für das Denkmal

Abb. 4: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Betonzaunpfeiler entlang der Landstraße nach Peenemünde.Details anzeigen
Abb. 4: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Betonzaunpfeiler entlang der Landstraße nach Peenemünde.

Abb. 4: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Betonzaunpfeiler entlang der Landstraße nach Peenemünde.

Abb. 4: Peenemünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Betonzaunpfeiler entlang der Landstraße nach Peenemünde.

Die Insel Usedom wird durch die vornehmliche wirtschaftliche Ausrichtung auf den Tourismus geprägt. Der damit verbundene Druck auf die Landschaft ist in der Peripherie auch auf dem Peenemünder Haken, zum Beispiel in Form von Baumaßnahmen für Ferienquartiere, spürbar. Leider konnten in den letzten Jahren nur wenige der durch diese Eingriffe betroffenen materiellen Hinterlassenschaften der Versuchsanstalten Peenemünde gerettet bzw. genauer dokumentiert werden. Glücklicherweise ist heute ein großer Teil der Landschaft wieder als Naturschutzgebiet ausgewiesen beziehungsweise wird durch den Flächeneigentümer, die DBU Naturerbe GmbH, im Sinne des Naturschutzes weiterentwickelt. Dabei konnten Projekte, die sich auch im Sinn des Denkmalschutzes bewahrend auswirken, durchgeführt werden.

Neben den tausenden Besuchern, die sich für die Landschaft und Geschichte des Peenemünder Hakens interessieren und die entsprechenden Museen des Ortes aufsuchen, gibt es leider eine große Gruppe, die als Vertreter des „Dark Tourism“ zusammengefasst werden kann. Oft weichen diese Besucher von ausgewiesenen Wegen ab und schlagen sich durch für die Öffentlichkeit gesperrtes Gelände auf der Suche nach für sie interessanten Orten. Nicht selten werden dabei Souvenirs in Form von Oberflächenfunden mitgenommen oder bauliche Reste gestört. Weitaus schwieriger und bedrohlich für die Erhaltung der denkmalgeschützten Strukturen ist die gezielte Suche nach Bodenfunden, häufig mit Hilfe von Detektoren. Diese raubgräberischen Aktionen nahmen zum Teil weitflächige Ausmaße an. Häufig wurden die Funde dann auf einschlägigen Plattformen verkauft. Durch die gute Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden der Insel Usedom konnten etliche Raubfunde beschlagnahmt werden. Leider hat aber bisher keine der gestellten Anzeigen zu einer Verurteilung der zum Teil namentlich bekannten Raubgräber geführt.

Zu resümieren bleibt, der Peenemünder Haken ist in seinem heutigen Bestand und Erscheinungsbild ein authentisches Zeugnis historischer und natürlicher Vorgänge, die eine Kriegslandschaft erzeugt haben. Historische, archäologische und bauhistorische Untersuchungen tragen zum Verständnis eines Ortes bei, der als Erinnerungsort einen hohen Mahnwert besitzt. Doch nicht nur die Spuren des Zweiten Weltkrieges an diesem Ort machen die Bedeutung des Denkmales aus, sondern gerade auch die Verbindung mit den militärischen Zeugnissen der Zeit bis 1990, die eine Kontinuität im Sinn der Technisierung von Konflikten aufzeigt.

Die Vermittlung der Landschaft und damit des Denkmales ist und bleibt eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und trägt hoffentlich zum Erhalt derselben bei.

Dr. Constanze Röhl und Daniela Teschendorff M.A.

Literatur:

Historisch-Technisches Museum Peenemünde (Hrsg.), Denkmallandschaft Peenemünde: eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme – Conservation-Management-Plan, Leo Schmidt, Uta K. Mense. Berlin 2013.

Historisch-Technisches Museum Peenemünde (Hrsg.), Wunder mit Kalkül: die Peenemünder Fernwaffenprojekte als Teil des deutschen Rüstungssystems. Berlin 2016.

Historisch-Technisches Museum Peenemünde (Hrsg.), Vernichtender Fortschritt: Serienfertigung und Kriegseinsatz der Peenemünder "Vergeltungswaffen". Berlin 2018.

Historisch-Technisches Museum Peenemünde (Hrsg.), Die Ruinen von Peenemünde. Vom Werden und Vergehen einer Rüstungslandschaft, mit Fotos von Lorenz Kienzle. Berlin 2023.

Constanze Röhl / Peter I. Schneider: Coping with Concrete and Contamination. Lessons to be learned from the archaeological investigation of the missile factory building F1 at Peenemünde. – In: Peter Schneider (Hrsg.), Catastrophe and Challenge: Cultural Heritage in Post-Conflict Recovery, Proceedings of the Fourth International Conference on Heritage Conservation and Site Management, December 5–7, 2016, BTU Cottbus – Senftenberg. Cottbus 2017, 83–98.

Constanze Röhl / Peter I. Schneider: The Material Remains oft he former Heeresversuchsanstalt Peenemünde between Mythicization, Uncomfortable Heritage and Reclamation. – In: Fritz Jürgens / Ulrich Müller (Hrsg.), Archäologie der Moderne. Standpunkte und Perspektiven. Historische Archäologie Sonderband 2020. Bonn 2020, 289–331.

Peter I. Schneider / Constanze Röhl, Von Zäunen und Pfosten. Ein Beitrag zur Archäologie Peenemündes als Sperrgebiet. AMANZschriften 8. Bamberg 2024 [doi.org/10.20378/irb-93496].

Peter I. Schneider / Constanze Röhl: Exkurs Flächendenkmal Peenemünde. – In: Johannes Müller-Kissing (Hrsg.), Die Stellungen der deutschen Flugabwehr im Zweiten Weltkrieg. Handbücher zur Archäologie der Moderne 1. Oppenheim a.Rh. 2023, 186–188.

Peter I. Schneider: Zur Baugeschichte Peenemündes. – In: Historisch-Technisches Museum Peenemünde (Hrsg.), Die Ruinen von Peenemünde. Vom Werden und Vergehen einer Rüstungslandschaft. Berlin 2023, 22–25.

Peter I. Schneider / Constanze Röhl: Kontaminierte Fundstellen in der Archäologie der Moderne. – In: Archäologische Informationen 42 (2020) [online: dguf.de/fileadmin/AI/archinf-ev_roehl_schneider.pdf].

Peter I. Schneider / Constanze Röhl: Abandoned for good? Peenemünde as an example for dealing with a cultural landscape facing multifaceted contamination issues. – In: Carmine Gambardella (Hrsg.), World Heritage and Contamination. Architecture, Culture, Environment, Agriculture, Health, Economy, Landscape, Design, Territorial Governance, Archaeology, e-Learning. Le Vie dei Mercanti XVIII International Forum. Rom 2020, 57–64.

Peter I. Schneider / Constanze Röhl: F1 (Fertigungshalle1) and the Material Remains of the Former Heeresversuchsanstalt Peenemünde. – In: Christoph Machat / John Ziesemer (Hrsg.), Heritage at Risk. World Report 2016–2019 on Monuments and Sites in Danger. Berlin 2020, 65–68.

Peter I. Schneider / Constanze Röhl: Le rovine dell’industria militare F1 a Peenemünde e la sua conoscenza archeologica. Metodologie e metodi / The Ruin of the Missile Factory Building F1 at Peenemünde and its Archaeological Intelligence. Reflecting Methodology and Methods. – In: Giovanna Damiani / Donatella Rita Fiorino (Hrsg.), Military Landscapes. Scenari per il futuro del patrimonio militare. Un confronto internazionale in occasione del 150° anniversario della dismissione delle piazzeforti militari in Italia. Mailand 2017, 228–229.

Peter I. Schneider / Constanze Röhl: The Ruin of the Missile Factory Building F1 at Peenemünde and its Archaeological Intelligence / Le rovine dell´industria militare F1 a Peenemünde e la sua consoscenza archaeologica. – In: Donatella Rita Fiorino (Hrsg.), Military Landscapes. Atti del Convengno Internationale. Scenari per il future del patrimonio militare / Proceedings of the International Conference. A future for military heritage. Mailand 2017, 693–700.

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Der Peenemünder Haken – eine Kriegslandschaft

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