Rentierjäger - lange gesucht und jüngst entdeckt

Fund des Monats Juli 2010

Einmessung der Funde (Tüten in der Fläche) der Aufsammlung (Ende Mai 2010)Details anzeigen
Einmessung der Funde (Tüten in der Fläche) der Aufsammlung (Ende Mai 2010)

Abb. 1: Einmessung der Funde (Tüten in der Fläche) der Aufsammlung (Ende Mai 2010)

Abb. 1: Einmessung der Funde (Tüten in der Fläche) der Aufsammlung (Ende Mai 2010)

Die eiszeitlichen Gletscherbewegungen bewirkten in Mecklenburg-Vorpommern, dass die ältesten Spuren des Menschen im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands überprägt und kaum noch zu finden sind. So gibt es, vielleicht abgesehen von Gebieten im Landkreis Ludwigslust, keine erhaltene Geländeoberflächen aus der Zeit des Neandertalers oder anderer paläolithischer "Verwandter". Aus dieser rund 60.000 Jahre zurückliegenden Zeit kennt man in Mecklenburg-Vorpommern nur sehr wenige und oft wissenschaftlich umstrittene Steingerätfunde.

Mit dem Abschmelzen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit (Weichsel-Eiszeit) vor rund 14.000 Jahren kamen wieder Menschen in den Norden. Während Spuren von Rentierjägern der sogenannten Hamburger Kultur in Schleswig-Holstein häufig sind, wurden sie weiter östlich nur sehr spärlich registriert. Hier sind es die Spuren von Waldjägern, die Großsäugern, wie Riesenhirsch und Elch, nachstellten. Sie entstammen einer kurzen Zwischenwarmzeit (12000–10700 v. Chr.) und werden nach ihren typischen Flintgeräten auch als Federmesser- oder Bromme-Gruppen bezeichnet. Die in dieser Warmzeit entstandenen, nach einem dänischen Fundort benannten Alleröd-Bodenbildungen und Artefaktansammlungen sind auch hierzulande gelegentlich nachweisbar.

Doch sorgte ein erneuter, rund 800 Jahre andauernder Kälteeinbruch für eine Rückkehr der Kältetundren samt durchziehender Rentiere. Deren Jäger benutzten offenbar Pfeile und Bögen als Jagdwaffen. Die für weite Gebiete des nördlichen Mitteleuropas typischen Flintpfeilspitzen geben der Kulturgruppe der Stielspitzen ihren Namen. Geläufig ist auch die Benennung nach einem Fundplatz östlich von Hamburg als Ahrensburger Kultur.

Obwohl aus dem vorpommerschen Raum zwischen Ribnitz und Stralsund seit den 1930er Jahren einige Stielspitzen bekannt wurden, gelang es bis jetzt nicht, einen Fundkomplex genauer zu lokalisieren. Dies scheint nun endlich bei Velgast, Lkr. Nordvorpommern, am Urstromtal der Barthe gelungen zu sein. Auf einer sandigen Kuppe mit weiter Fernsicht wurden erstmals Flintartefakte in einer Streuung von etwa 30 m Durchmesser entdeckt. Mehrere Stielspitzen, Flintklingen, Kernsteine, an die sich zum Teil sogar noch Klingen anpassen lassen, sind im Fundgut vertreten. Ihre sorgfältige Aufsammlung und Vermessung mittels GPS durch ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger aus dem Landkreis Nordvorpommern verspricht Aussagen zum Fundspektrum und vielleicht auch zur Funktion dieser Plätze. Denn bislang wissen wir nur wenig über die Jagdstrategien späteiszeitlicher Rentierjäger. Es wird vermutet, dass die Jägergruppen dem Ren folgten und ihr Wanderzug sie zyklisch von den Weiden im deutschen Mittelgebirge (Sommerlager) hin zu den gletschernahen Gebieten im Norden (Winterlager) führte.

Dr. C. Michael Schirren

Fund des Monats Juli 2010

Rentierjäger – lange gesucht und jüngst entdeckt