Im Schutz höherer Mächte …

Fund des Monats Juli 2011

Relzow. Russisches KlappamulettDetails anzeigen
Relzow. Russisches Klappamulett

Abb. 1: Relzow. Russisches Klappamulett

Abb. 1: Relzow. Russisches Klappamulett

In den letzten Jahren hat sich die Archäologie mit neuen Methoden zunehmend auch der Erforschung von Kriegen und Schlachten gewidmet. Gerade für die frühe Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert hinein sind es meistens Zeugnisse des Kampfgeschehens, wie Projektile, Waffen- und Uniformteile, seltener Gräber mit Getöteten, die konkreteren Aufschluss zu Fragen des Kampfgeschehens geben können. Eine sehr persönliche Seite des "Kriegshandwerks" berühren zwei Gegenstände, die dem Dezernat für Archäologie kürzlich bekannt wurden.

Bei Relzow, an der alten Straße zwischen Wolgast und dem Übergang durch das Peenetal bei Anklam (Lkr. Ostvorpommern), wurde auf einem Acker ein kleines kapselförmiges Messingobjekt mit Scharnier gefunden (Abb. 1). Im geschlossenen Zustand ist die Kapsel gekrönt mit einem Christuskopf. Klappt man das nur 3,8 x 4 cm große Stück auf, zeigt sich auf der rechten Seite die sehr fein strukturierte Darstellung Marias mit erhobenen Händen und dem präexistenten (das heißt schon vor der Geburt dagewesenen) Christus auf dem Schoß. Auf der linken Seite ist eine Darstellung der Dreieinigkeit Gottes (Trinität) zu sehen, wie sie im 1. Buch Mose 18, 1–8 beschrieben wird. Nicht nur die umlaufenden Schriftbänder in kyrillischer Schrift, sondern auch die für die Kunst der russischen Orthodoxie in Osteuropa typische Ikonographie weisen diese Kapsel als eine im norddeutschen Raum fremde Erscheinung aus.

Durch die freundliche Hilfe eines Berliner Privatsammlers wurde es möglich, diese Kapsel als eine Arbeit des 18. Jahrhunderts zu identifizieren. Derartige, auch als "Soldentenikonen" bezeichnete Amulette waren in den Armeen des Zarenreiches sehr beliebt und verbreitet. Das Gebiet des heutigen Vorpommerns war eines der Spannungsfelder zwischen den damaligen Großmächten und erlebte auch russische Streitkräfte, wie zum Beispiel im Nordischen Krieg, als Wolgast 1713 gebrandschatzt wurde. Für diesen Zeitraum ist die häufige Anwesenheit russischer Truppen für Anklam belegt. Ob die Kapsel im Rahmen dieser Auseinandersetzungen oder in späteren Kriegen – bis hin zu den Napoleonischen Kriegen am Anfang des 19. Jahrhunderts – verlorenging, ist nicht zu entscheiden.

Schon vor Jahrzehnten wurde, in der Nähe eines historischen Überganges über die Barthe zwischen Velgast und Redebas (Lkr. Nordvorpommern), bei Gartenarbeiten ein silberner Anhänger (Durchmesser 3,3 cm) gefunden (Abb. 2). Das in Münzform mit durchbrochener Ornamentik gestaltete Stück zeigt auf der Vorderseite den heiligen Georg im Kampf mit einem Drachen und auf der Rückseite denselben über einem Schiff mit Segel. Die Aufschrift GEORGUS EQUITEM PATRONIS (St. Georg Schutzpatron der Pferde) und IN TEMPESTAS SECURITATIS (In Stürmen Schutz) deuten die Funktion dieses Amuletts an.

Seit 1521 prägten die Grafen von Mansfeld Taler mit dem Bild des heiligen Georg, dem wohl populärsten Heiligen des Mittelalters. Schnell wurde im Volksglauben der Georgstaler zu einem als Schutzzauber verwendeten Gegenstand, galt doch der heilige Georg seit alters her als Nothelfer und besonders als Schutzpatron der Reiter und Ritter. Die vermeintliche Eigenschaft der Taler, auch Kugeln abwehren zu können, wurde durch Legenden bestärkt.

Vor allem bei Soldaten und Seeleuten waren die Taler, unabhängig von der Konfession und über mehr als 400 Jahre als Schutzamulette beliebt, deren Preis schnell den ihres Silberwertes um das 20–30fache überstieg. Üblicherweise trug man die Münzen am Körper, deswegen wurden sie durchlocht oder es wurde eine kleine Öse angelötet. Das vorliegende Exemplar gehört zu einer späteren Ausführungsform. Offenbar ging man dazu über statt der Münzen Amulette in Anlehung an die Taler in Durchbruchtechnik (und damit Material sparend) zu gießen. Auch die Schiffsdarstellung geht auf barocke Nachprägungen von Georgstalern zurück. Das vorliegende Stück dürfte in das frühe 19. Jahrhundert zu datieren sein und eventuell mit den Befreiungskriegen gegen Napoleon in Verbindung stehen.

Die beiden Fundstücke veranschaulichen sehr greifbar und anrührend zugleich den Versuch des im Kriegsgeschehen täglich gefährdeten Menschen sich durch möglichst nahe Hinwendung und Verehrung höherer Mächte quasi rückzuversichern, letztlich aber vor allem vor "unseligem" Tod geschützt zu sein.

Dr. C. Michael Schirren

Fund des Monats Juli 2011

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