Drachen auf Rügen

Fund des Monats Januar 2012

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Blick über die Grabungsfläche

Abb. 1: Blick über die Grabungsfläche

Abb. 1: Blick über die Grabungsfläche

Im Frühjahr 2010 wurde auf der Insel Rügen zwischen den Orten Rothenkirchen und Bergen eine Biogasleitung verlegt, die auch Teile des Fundplatzes Natzevitz 12 tangierte. Dieses Bodendenkmal erstreckt sich über eine markante, im Durchmesser etwa 250 m große Hügelkuppe, die die Umgebung um etwa 3 m überragt. Besiedelt war dieser exponierte Bereich sowohl in der jüngeren Bronzezeit als auch während der jüngeren Slawenzeit (10.–12. Jahrhundert), wie 17 Siedlungsbefunde belegen, die im 3 m breiten Trassenbereich entdeckt wurden.

Der bedeutendste Fund der Untersuchung stammt jedoch nicht aus den freigelegten Befunden, sondern wurde beim Abgehen der Mutterbodenhalde mit dem Metalldetektor gefunden. Es handelt sich um ein bronzenes, annähernd vollplastisch gestaltetes Tierköpfchen (Länge 3,2 cm; Breite 1,1 cm; Dicke 1,3 cm), dessen Oberfläche ehemals vollständig feuervergoldet war. Das Halsende ist als runde Tülle gestaltet und hat an der Ober- und Unterseite jeweils ein Nietloch. Das gegenüberliegende Maul ist weit geöffnet, um einem aufrecht stehenden Ösenring Platz zu bieten. Beides deutet darauf hin, dass das Stück ursprünglich an beiden Enden mit anderen Objekten verbunden war.

Obwohl es sich um einen Lesefund handelt, so ist die Datierung des Stückes doch weitgehend gesichert, denn die Verzierung erfolgte im Mammenstil, so dass das Köpfchen in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts oder dem beginnenden 11. Jahrhundert angefertigt worden sein muss. Allerdings wurde es wohl kaum von der einheimischen slawischen Bevölkerung hergestellt. Vielmehr ist anzunehmen, dass das Objekt aus dem wikingischen Kulturgebiet stammt und durch Handel, Gabentausch oder auch als Beutegut nach Rügen gelangt ist. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass es sich um die Arbeit eines aus dem skandinavischen Raum stammenden Wanderhandwerkers handelt, der auch auf Rügen wirkte.

Eine exakte tierartliche Zuweisung des Köpfchens ist nicht möglich, doch werden ähnliche Darstellungen – unter Berücksichtigung der germanischen Mythologie – zumeist als Greifen oder Drachen gedeutet. Vergleichsstücke haben Felix Biermann und Karl Rausch zusammengestellt,* so dass hier auf detaillierte Ausführungen verzichtet werden kann. Hinzuweisen ist aber besonders auf das Vogelköpfchen aus Nonnendorf, Lkr. Vorpommern-Greifswald, das sehr große Ähnlichkeit zum Natzevitzer Exemplar aufweist.

Wahrscheinlich bildete das Köpfchen das Ende einer Schmuckkette und hatte auf der Gegenseite ein heraldisches Pendant. Durch die Öse im Maul war vermutlich ein Ring geführt, an dem ein Anhänger oder Ähnliches befestigt war. Denkbar wäre auch eine Verwendung am Gürtel oder Schwertgehänge. Bei vielen Objekten skandinavischen Ursprungs sind derartige Tierdarstellungen an prominenter Stelle platziert, zum Beispiel bei Schmuckstücken wie Ketten- oder Reifenden ebenso wie an Prestigeobjekten wie Kummetbeschlägen oder Trinkhörnern, Prunkkästchen oder Reliquienschreinen. Allgemein sprechen die Art der Anbringung sowie die konsequente Betonung der Augenpartie und der Drohgeste eines zähnefletschenden oder aufgerissenen Maules für eine apotropäische, also Unheil abwehrende Funktion.

Das im Mammenstil verzierte Natzevitzer Tierköpfchen gehörte ehemals zu einem Schmuckstück mit hohem Prestige- und Symbolwert, dessen Bedeutung sicherlich nicht nur im wikingischen Kulturraum, sondern auch von der slawischen Bevölkerung verstanden wurde. Bemerkenswert ist es auch deshalb, weil der Fundplatz im Innern der Insel Rügen, fast 3 km von der Küste entfernt liegt – einer Region, die bislang nicht durch herausragende Funde dieser Epoche auffiel.

Dirk Röttinger


* Felix Biermann/Karl Rausch, Slawische und skandinavische Funde von Nonnendorf, Lkr. Ostvorpommern. – Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 52, 2004, 367–395.

Fund des Monats Januar 2012

Drachen auf Rügen