Das Urteil des Paris
Fund des Monats Januar 2013
Abb. 1: Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Hutmedaillon
Foto: LAKD MV/LA, Dr. J. Ansorge
Abb. 1: Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Hutmedaillon
Foto: LAKD MV/LA, Dr. J. Ansorge
Dass das Spektrum der metallischen Kleinfundarten in Mecklenburg-Vorpommern auch nach 16 Jahren intensiv durchgeführter Stadtkernarchäologie ergänzt werden kann, zeigt der Fund einer Pretiose aus dem vorpommerschen Städtchen Pasewalk.
Bei Ausgrabungen im Altstadtkern im Bereich des Neuen Marktes wurde aus einer Latrinenentleerungsgrube außer Fragmenten von Keramik glasierter weißer Irdenware und roter glasierter Malhornware ein Medaillon geborgen. Das Medaillon aus Buntmetall mit Vergoldung auf der Schauseite durchmisst 3,5 cm und ist 13,9 g schwer (Abb. 1). Ursprünglich gab es vier gegenüberliegende Befestigungsösen. Am Ansatz der oberen und der unteren Öse wird die Eierstabrahmung durch Masken unterbrochen.
Die dargestellte Figurengruppe tritt plastisch ausgearbeitet aus der Rahmung hervor. Es handelt sich um das in der Renaissance häufig aus der griechischen Mythologie rezipierte Motiv des Urteils des Paris: Hermes beugt sich über den an einem Baum liegenden Paris. In seiner linken Hand hält er den Hermesstab, mit der rechten deutet er auf die drei Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera, unter denen der sterbliche Paris die Schönste küren soll. Ein fatales Urteil, wie sich später zeigt, zugunsten der Aphrodite, die Paris im Gegenzug die schönste Sterbliche versprach und mit dem Raub der Helena den trojanischen Krieg auslöste. Am rechten Fuß des Paris ist der Anlass für den Wettstreit zu erkennen. Eris, die Göttin der Zwietracht, stiftete diesen ersten Zankapfel mit der Aufschrift "der Schönsten".
Hermes und Paris sind im Stil der Renaissance als geharnischte bärtige Männer dargestellt. Der Götterbote ist zu Pferd unterwegs, dessen Frontpartie hinter der linken Schulter Hermes’ zu sehen ist. Form und Darstellung deuten darauf hin, dass es sich bei dem in Pasewalk geborgenen Stück um ein Hutmedaillon, entstanden zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts handelt. Vergleichsstücke in Form und Größe befinden sich unter anderem im British Museum in London. Zur Tragweise des Hutmedaillons geben zeitgenössische Darstellungen, etwa ein Porträtgemälde aus dem Rijksmuseum in Amsterdam von Phillip I. dem Schönen (1478–1506) Aufschluss. Es sind Adlige und Kaufmänner/Fernhändler, die solche Medaillons als Zierde unter anderem an ihren Baretts trugen. Das Pasewalker Hutmedaillon verweist in seiner Motivwiedergabe auf ein aus Süddeutschland stammendes medaillonförmiges Relief aus Buchsbaumholz (Durchmesser 8,2 cm), das um 1535 datiert. Das im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin befindliche Stück könnte die Vorlage zum Pasewalker Medaillon oder nach gleichem Vorbild entstanden sein.
Wem das Pasewalker Grundstück zur Zeit der Ablagerung des Hutmedaillons gehörte, lässt sich aufgrund der durch Kriege bedingten schlechten Quellenlage nicht mehr feststellen. Sicherlich entstammen Grundstücks- und Medaillonbesitzer, insofern sie nicht dieselbe Person waren, der bürgerlichen Oberschicht oder dem Adel, worauf auch die räumliche Nähe des Fundortes zum Marktplatz deutet.
Stefan Rahde