Das Ende des Fürstentums Rügen - ein Siegelstempel schreibt Geschichte

Fund des Monats Juni 2013

Bruchstück des bei Stralsund gefundenen Siegelstempels Wizlaw III. und moderner Abdruck (rechts)Details anzeigen
Bruchstück des bei Stralsund gefundenen Siegelstempels Wizlaw III. und moderner Abdruck (rechts)

Abb. 1: Bruchstück des bei Stralsund gefundenen Siegelstempels Wizlaw III. und moderner Abdruck

Abb. 1: Bruchstück des bei Stralsund gefundenen Siegelstempels Wizlaw III. und moderner Abdruck

Siegelstempel, auch Petschafte oder Typare, gehörten im Mittelalter zu den wichtigsten Rechtsobjekten zur Beglaubigung von Dokumenten. Haben städtische Siegel und die von geistlichen und weltlichen Korporationen als fortlebende juristische Institutionen die Jahrhunderte überlebt und sich in gewisser Zahl bis in die Gegenwart erhalten, wurden die Siegel von Einzelpersonen nach deren Ableben in den meisten Fällen vernichtet oder unbrauchbar gemacht. Dies trifft insbesondere auf Siegelstempel des hohen Adels zu, von denen wir zwar zahllose Siegel an Urkunden kennen, von denen es aber kaum Originalstempel gibt. Bestanden die Siegel aus Edelmetallen, wurden sie zerteilt und aufgrund ihres bedeutenden Metallwertes eingeschmolzen. Oft hat man sie mit einem Beil zerschlagen oder den Griff beziehungsweise die Handhabe abgetrennt. Im bürgerlichen Bereich wurden Siegel nach dem Tod des Besitzers häufig in Latrinen geworfen; auch hat man sie bei Bestattungen, vor allem von kirchlichen Würdenträgern, mit in den Sarg gegeben.

Auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche südwestlich der Stralsunder Altstadt fand der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Roman Buhl das ausgezeichnet erhaltene Bruchstück eines ungewöhnlich großen Siegelstempels aus Bronze (Abb. 1). Die in gotischen Majuskeln ausgeführte Schrift RVYANORV[M] ist in zwei Perlkreise eingeschrieben. Zentral befindet sich ein leerer Wappenschild mit einem stehenden Greifen, von dem die nach vorn gestreckten hinteren Fänge erkennbar sind; rechts neben dem Schild eine Sonne mit acht sichelförmigen Strahlen, in den Zwickel eingeschaltet ein Zweiglein mit fünf Blüten. In den tief eingeschnittenen Buchstaben sind Reste von grünlichem Siegelwachs unter einer dünnen Korrosionsschicht erhalten. Der Durchmesser des Siegelstempels betrug ursprünglich 8 cm, die Dicke 6,3–7,5 mm; überliefert ist etwa ein Fünftel des Siegels. Auf der Rückseite diente ein Steg mit Öse der Handhabung. Die alt korrodierten Bruchflächen des Siegels und der Handhabe, der eingedellte Rand auf Höhe der Buchstaben RV sowie ein dreieckiger Eindruck auf der Rückseite belegen, dass der Siegelstempel absichtlich zerbrochen wurde. Das aufgefundene Bruchstück wiegt etwa 45 g, woraus man schließen kann, dass der ganze, unversehrte Siegelstempel mit rund 230 g ein gewichtiges Stück war.

Anhand der Inschrift, des Wappenbildes und der Größe ist der Fund als Siegelstempel von Wizlaw III., dem letzten einheimischen Fürsten von Rügen, zu identifizieren. Zahlreiche Urkunden mit dem Greifensiegel Wizlaw III., zumeist die Bestätigung städtischer Privilegien enthaltend, bewahrt das Stralsunder Stadtarchiv auf (Abb. 2; 3). Hier lautet die vollständige Inschrift + SIGILLVM WIIZSLAVI RVYANORVM PRINCIPIS :.

Wizlaw III., um 1265 als ältester Sohn von Wizlaw II. (etwa 1240–1302) und dessen Gemahlin Agnes von Braunschweig-Lüneburg geboren, ist heute vor allem als Minnesänger und letzter einheimischer Fürst von Rügen in Erinnerung geblieben. Das Fürstentum Rügen, nach der Eroberung Arkonas im Jahre 1168 ein dänisches Lehen, umfasste außer der Insel auch die an den Strelasund grenzenden Festlandsbereiche bis an Ryck und Peene im Süden sowie Trebel und Recknitz im Westen. Wichtigste Städte waren Stralsund, Barth, Grimmen und Tribsees, das Fürstentum hatte etwa die Ausdehnung des heutigen Landkreises Vorpommern-Rügen. Nach dem Tod des Vaters übernahm Wizlaw III. gemeinsam mit seinem Bruder Zambor die Regentschaft im Fürstentum. Der frühe Tod Zambors am 4. Juni 1304 beendete heftige Streitereien der Brüder um ihr Erbe.

Ab 1310 wurde Wizlaw III. immer mehr in die Auseinandersetzungen seines Lehnsherrn, des dänischen Königs Erik VI. Menved (*1274; Reg. 1286–1319), um die Macht im südlichen Ostseeraum einbezogen, die sich insbesondere gegen die aufstrebenden Hansestädte Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald, aber auch gegen die Expansionsgelüste des Markgrafen Waldemar von Brandenburg (* um 1280; Reg. 1308–1319) richteten. Im Sommer 1316 kam es zu einer militärischen Konfrontation zwischen der Stadt Stralsund und einer Fürstenkoalition, die letztendlich mit einem Sieg der Städter endete. Diese militärische Niederlage war der Beginn einer völligen Neuordnung der Beziehungen Wizlaw III. zu Stralsund, das in der Folge eine Blütezeit und ungeahnte Entwicklung des Gemeinwesens erlebte.

Ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen, verstarb Wizlaw III. am 8. November 1325 in seiner Residenz Barth; bestattet wurde er im Kloster Neuenkamp. Nach seinem Tod sollte das Fürstentum Rügen entsprechend der verbrieften Erbfolge an seinen Neffen Wartislaw IV., den Herzog von Pommern-Wolgast, fallen, der im November 1325 die Macht im Fürstentum übernahm.

Die Anwesenheit des neuen Landesherrn in Stralsund war sehr wahrscheinlich die Gelegenheit, bei der im Rathaus in Gegenwart der wichtigsten Vasallen des verstorbenen Fürsten von Rügen, der Stralsunder Ratsherren und der den Herzog begleitenden Ritter und Kleriker das fürstliche Siegel Wizlaw III. zerbrochen wurde. Wie nun eines der Bruchstücke des Siegels auf den Acker südlich von Stralsund gelangte, bleibt Spekulationen überlassen. Der Fund des Siegels ist das materielle Zeugnis vom Ende des Fürstentums Rügen und zudem einer der wenigen in Europa überlieferten mittelalterlichen Siegelstempel des hohen Adels.

Kein Jahr später, am 1. August 1326, starb Wartislaw IV., seine Gemahlin Elisabeth und zwei unmündige sowie einen ungeborenen Sohn hinterlassend. Der daraufhin ausbrechende Rügensche Erbfolgekrieg zwischen den Wolgaster Herzögen, unterstützt von den Hansestädten Greifswald, Anklam, Demmin und Stralsund, gegen die Fürsten von Mecklenburg und die Herren von Werle dauerte bis 1354. Danach war die territoriale Eingliederung Rügens in das Herzogtum Pommern-Wolgast abgeschlossen.

Dr. Jörg Ansorge

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