Tunnelblicke oder "Ist das auch Archäologie"? - Konstruktionselemente eines Denkmals des Kalten Kriegs im Pasewalker Kirchenforst
Fund des Monats November 2013
Abb. 1: Der Entdecker des Tunnels bei der Pressepräsentation in einem der Tunnelsegmente
Foto: LAKD MV/LA, Dr. M. Schirren
Abb. 1: Der Entdecker des Tunnels bei der Pressepräsentation in einem der Tunnelsegmente
Foto: LAKD MV/LA, Dr. M. Schirren
Im Sommer des Jahres 2012 ging die Meldung über einen ungewöhnlichen Fund durch die regionale Presse. Im Pasewalker Kirchenforst, vor der Wende als Übungsareal der Pioniertruppen der NVA genutzt, waren Teile einer Tunnelkonstruktion entdeckt worden. Als der zuständige Förster einem ehemaligen zivilen NVA-Mitarbeiter für die Eigenholzwerbung ein Waldgebiet zuwies, stieß dieser auf die eingegrabenen Röhren (Abb. 1). Er erinnerte sich an Erzählungen, diese Röhren wären Teile eines amerikanischen Spionagetunnels und schon nach kurzer Recherche war ihm klar, dass es sich tatsächlich um solche handelte. Er nahm mit dem Alliiertenmuseum in Berlin Kontakt auf, denn dort wird seit einiger Zeit ein Originalsegment des Tunnels mit rekonstruiertem Innenleben ausgestellt. Mitarbeiter des Museums bestätigten bei einem Besuch in Pasewalk die Echtheit und zeigten Interesse an der Überführung nach Berlin.
Die untere Denkmalschutzbehörde des Landkreises und das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege waren sich nach sofortiger und eingehender Prüfung einig, dass es sich bei diesen Tunnelsegmenten um (bewegliche) Denkmale im Sinne des § 2 DSchG M-V handelt. Damit war die Grundlage für eine rechtlich geordnete Übernahme nach Berlin gegeben. Doch welches historische Ereignis steht hinter den Tunnelsegmenten? Die folgende Geschichte scheint einem Agententhriller entsprungen zu sein, doch handelt es sich um eine tatsächliche und durch Quellen belegte Begebenheit. Berlin, die in vier Sektoren geteilte und von den Siegermächten verwaltete Stadt, war auch Brennpunkt der Geheimdienste. Hier war es möglich Informationen quasi aus "erster Hand" zu erhalten, zumal es wichtige militärische Kommandozentralen gab. Zu Zeiten einfacher Kommunikation über Telefonkabel standen diese Medien im besonderen Focus der militärischen Abwehr- und Geheimdienste. Vermutlich durch Informationen des ehemaligen Chefs des nationalsozialistischen SD und späteren BND-Chefs Reinhard Gehlen kamen der amerikanische Geheimdienst CIA und der britische MI 6 auf die Idee das schon von den Nationalsozialisten gebaute und von den Russen genutzte zentrale Fernmeldekabel anzuzapfen. Doch dieses verlief durch den russischen Sektor und war oberirdisch nicht erkennbar. So entstand die Idee einer unterirdischen Annäherung, von ihren Planern und Protagonisten als "Operation Gold" bezeichnet. Unter absoluter Geheimhaltung und unter größtmöglicher Vermeidung schriftlicher Aufzeichnungen begannen die Planungen im Jahr 1953. Allerdings verriet ein Doppel-Agent, der Brite George Blake, der mit der Anfertigung der Protokolle der Tunnelplanung betraut worden war, diese sofort "druckfrisch" dem russischen Geheimdienst. So entstand unter den Augen und mit Wissen der Russen ein kleines technisches Meisterwerk. Um den Topagenten Blake zu schützen, unternahm man von russischer Seite nichts gegen den Bau und die Telekommunikation konnte – trotz diverser Anweisungen der Militärführung – wegen des Fehlens technischer Alternativen ebenfalls nicht nachhaltig geschützt werden.
Mit dem Bau der Segmente aus gewelltem Stahl wurde eine Abteilung des CIA in den USA beauftragt; die Elemente wurden vorgefertigt und konstruktionsbereit in Kisten mit doppeltem Boden nach Berlin geschafft worden. Ausgangspunkt war ein als Radarstation getarnter Gebäudekomplex bei Altglienicke im amerikanischen Sektor. Dieser wurde mit einem überdimensionierten Keller versehen, in den man den Tunnelaushub deponierte, der auf 600 m Länge anfiel. Nach einer Bauzeit durch Pioniertruppen von August 1954 bis Februar 1955 ging der Tunnel in Betrieb. Er war mit einer Klimaanlage, Schallschutz und Elektrizität ausgestattet; an seinem Ende, unterhalb des Hauptkabels, befand sich eine Aufzeichnungs- und Abhörzentrale, die mit mehreren Mitarbeitern rund um die Uhr besetzt war. Stahltüren und ein Sprengsystem sollten den Tunnel bei Entdeckung unzugänglich machen.
Das Anzapfen der Leitung war ein Erfolg, doch die dabei gewonnenen Datenmengen mussten erst in einem aufwendigen Verfahren gespeichert, transportiert, übersetzt und schließlich ausgewertet. Hunderte Mitarbeiter bearbeiteten etwa 500000 Gespräche, gespeichert auf 50000 Bändern. Die Aufnahmen umfassen 40000 Stunden Telefongespräche und 6 Millionen Stunden Fernschreiberverkehr; mit der Auswertung waren westlichen Geheimdienste bis Ende 1958 beschäftigt. Doch die Russen suchten nach einer eleganten Lösung, diesen lästigen Zuhörer abzuschalten. Der Geheimdienst selbst konnte nicht tätig werden, um seine Informationsquelle George Blake zu schützen. So blieb nur ein fingierter "Zufall": am 21./22. April 1956, als heftige Regenfälle allenthalben zu Problemen in der Stromversorgung und Telekommunikation führten, "entdeckten" Fernmeldetechniker den Anschluss des Tunnels an das Kabel. Die im Folgenden inszenierte Empörung der Russen und der DDR-Führung wegen der Spionage der Alliierten unter Verletzung der territorialen Souveränität wurde in Presse, Rundfund und Film entsprechend verbreitet. Offenbar hatte die Tunnelbesatzung selbst ihre Entdeckung bis zum Schluss beobachtet und war dann in den amerikanischen Sektor geflüchtet. Zur Vermeidung diplomatischer Verwicklungen wurde auf eine Sprengung des Tunnels verzichtet.
Nach seiner Inspektion und Auswertung wurde der Tunnel durch die Russen in seinem Verlauf bis zur amerikanischen Sektorengrenze ausgegraben und die einzelnen Teile den Pioniertruppen der NVA als Übungsmaterial übergeben. So gelangten dann auch die im Pasewalker Forst entdeckten Teile nach Vorpommern. Immerhin handelt es sich, soweit bekannt ist, um die einzigen Originalteile des Tunnels aus seinem Ostverlauf, die nun zurück an ihren ursprünglichen Verwendungsort Berlin gelangten (Abb. 2). Die Bergung bei Schneefall im Dezember 2012 stand somit sinnbildlich für die Entdeckung eines Denkmals des "Kalten Kriegs".
Dr. Michael Schirren
Fund des Monats November 2013
Tunnelblicke oder "Ist das auch Archäologie"? – Konstruktionselemente eines Denkmals des Kalten Kriegs im Pasewalker Kirchenforst