Bürgerlicher Glanz von Herzogs Gnaden - Ein Wappenofen aus dem renaissancezeitlichen Neubrandenburger Rathaus

Fund des Monats Mai 2014

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Neubrandenburg, Marktplatz. Rathaus Nordseite, Blick nach Süden

Abb. 1: Neubrandenburg, Marktplatz. Rathaus Nordseite, Blick nach Süden

Abb. 1: Neubrandenburg, Marktplatz. Rathaus Nordseite, Blick nach Süden

Bei einer archäologischen Untersuchung auf dem Neubrandenburger Marktplatz wurde im vergangenen Jahr nördlich des nach dem Zweiten Weltkrieg abgebrochenen Rathauses (Abb. 1) über den mittelalterlichen Schichten ein renaissance­zeitlicher Bauschutthorizont entdeckt. Anhand zweier Münzen (Abb. 2) und zahlloser Bruchstücke eines grünlich- bis hellgrauen Sandsteins drängte sich der Verdacht auf, den Bauhorizont des zwischen 1585 und 1588 erneuerten Rathauses entdeckt zu haben.

Der als Burgsvik-Sandstein von der schwedischen Ostseeinsel Gotland identifizierte Sandstein war seit der Renaissance ein beliebter Naturwerkstein im Ostseeraum, der in Mecklenburg von den führenden Steinmetzwerkstätten im Auftrag des kunstsinnigen Herzogs Ulrich III. (* 1527 ; † 1603; Regierungszeit 1555 – 1603), aber auch an Privathäusern reicher Patrizier, wie dem Wismarer Schabbelhaus, verbaut wurde.

Baumeister des repräsentativen Rathauses war der bedeutende Renaissance­künstler Philipp Brandin (* um 1530/35; † 1594). Diese in der Stadtgeschichts­forschung bislang nicht vermerkte Zuweisung ergibt sich aus den Zeugenbüchern der Stadt Wismar (libri testimoniales). Darin wird unter dem 24. April 1596 von den Vormündern der Witwe Phillip Brandins ein längerer Schriftwechsel zwischen diesem und dem Neubrandenburger Rate vorgelegt, der sich zwischen den Jahren 1585 und 1591 hinzieht und unter anderem den Bauvertrag mit dem Rate dieser Stadt, datiert vom 1. Mai 1585, enthält. Über den Bau selbst, den Typus und die Wirkung ist allerdings nichts überliefert; im Einzelnen erfährt man jedoch von stärkeren Differenzen zwischen beiden vertragschließenden Parteien während des Jahres 1587, zu deren Schlichtung vom Rate der Entscheid des Herzogs Ulrich angerufen wurde. Im selben Jahr stellte der Herzog Brandin einen Pass für eine Reise nach Neubrandenburg aus, was dessen mehrfache persönliche Anwesenheit in der Stadt belegt.

Unter den zahlreichen während der Marktplatzgrabung 2006–2008 aus dem Rathauskeller geborgenen renaissancezeitlichen Ofenkacheln befanden sich auch die Überreste von mindestens zehn außergewöhnlich repräsentativen, überformatigen, schwarz glasierten Kacheln mit Darstellung des mecklenburgischen Wappens und den Initialen IHZM.

Die 37 x 32 cm großen, schwarz glasierten Ofenkacheln sind bei dem Brand von 1676 teilweise angeschmolzen, so dass die ehemals qualitätvolle Glasur nur noch bei wenigen Bruchstücken erhalten ist. Bisher ist es noch nicht gelungen, eine Kachel vollständig zu rekonstruieren; dies würde eine Sichtung und Aufarbeitung des mehrere hundert Kilogramm umfassenden Fundmaterials voraussetzen. Aufgrund der großen kulturhistorischen Bedeutung der Wappenkacheln und des sicher repräsentativen Standortes im Rathausneubau des Philipp Brandin wird hier zur Illustration eine fotografische Rekonstruktion vorgelegt (Abb. 3).

Aufgrund der stark plastischen Modellierung des Wappens sowie einer zusätzlichen rückseitigen Zarge unterhalb der Helme entstanden Sollbruchstellen, entlang derer die Kacheln zerbrochen sind. Auf den Kacheln dargestellt ist das vollständige fünffeldrige mecklenburgische Wappen mit den drei Helmen, Helmzier und Helmdecken.

Im ersten Feld steht ein gekrönter hersehender Stierkopf mit ausgeschlagener Zunge und abgerissenem Halsfell für das Herzogtum Mecklenburg, im zweiten Feld ein schreitender Greif für die Herrschaft Rostock, im dritten ein einen Ring haltender, aus dem linken Feldrand wachsender Arm mit einem Tuch beziehungsweise einer Binde am Unterarm für die Herrschaft Stargard, im vierten Feld ein liegender nach rechts sehender gekrönter Stierkopf mit ausgeschlagener Zunge für das Fürstentum Wenden sowie als Herzschild das geteilte Wappen der Grafschaft Schwerin, die obere Wappenhälfte ist zur farblichen Unterscheidung vertikal schraffiert. Der in den ältesten fünffeldrigen Wappen noch ähnlich dem mecklenburgischen dargestellte werlesche Stierkopf erfährt im Laufe des 16. Jahrhunderts zur Unterscheidung eine veränderte Darstellung, erscheint nun diagonal ins Feld gestellt, auf dem vorliegenden Kachelwappen aber horizontal gelegt, eine bisher unikate Darstellung.

Als Zierde der mittleren Helmkrone Mecklenburgs tritt aus fünf oben zugespitzten Pfählen ein liegender, bekrönter nach rechts sehender Stierkopf, darüber ein Pfauenstoß. Die linke Helmkrone trägt einen Adlerflug beziehungsweise Greifenflügel für die Herrschaft Rostock, die rechte die Büffelhörner für die Herrschaft Schwerin. Letztere sind – horizontal farblich geteilt – unten rot, oben weiß, was der Formenschneider durch eine Schraffierung des unteren Teils der Hörner umzusetzen wusste. Zwischen die Helmzier sind die Buchstaben IHZM eingestellt, die auf Herzog Johann VII. (* 1558 ; † 1592; Regierungszeit 1576 – 1592), Sohn Johann Albrechts I. (* 1525 ; † 1576; Regierungszeit 1547 – 1576) von Mecklenburg-Schwerin und Neffe Herzog Ulrichs von Mecklenburg-Güstrow (* 1527 ; † 1603) verweisen.

Nach dem Tod des Vaters übernahm Johann VII. unter Vormundschaft seines Onkels die Regierung in Mecklenburg-Schwerin. Nachdem er für mündig erklärt wurde, regierte er ab 1585 allein. Im Februar 1588 heiratete Johann VII. Sophie von Schleswig-Holstein-Gottorp (* 1569 ; † 1634). In diese Zeit fällt wahrscheinlich die Stiftung des repräsentativen Wappenofens für den unter Philipp Brandin verwirklichten Neubau des Neubrandenburger Rathauses. Als ursprünglicher Standort käme möglicherweise die spätere Ratsstube infrage. Da Johann VII. bereits 1592 seinem Leben ein Ende setzte, ist die Fertigung des Ofens als Erstausstattung des Rathauses sehr wahrscheinlich. Die Wappenkacheln dürften über einem gusseisernen Unterofen angeordnet gewesen sein.

Dr. Jörg Ansorge

Fund des Monats Mai 2014

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