1945 versenkt – 2013 geborgen: Ein Kanonenrohr aus Anklam

Fund des Monats November 2014

Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Kanone in situ. Das Bodenstück mit kugelförmiger Handhabe liegt im neuen WasserleitungsgrabenDetails anzeigen
Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Kanone in situ. Das Bodenstück mit kugelförmiger Handhabe liegt im neuen Wasserleitungsgraben

Abb. 1: Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Kanone in situ. Das Bodenstück mit kugelförmiger Handhabe liegt im neuen Wasserleitungsgraben

Abb. 1: Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Kanone in situ. Das Bodenstück mit kugelförmiger Handhabe liegt im neuen Wasserleitungsgraben

Funde, die bei baubegleitenden archäologischen Maßnahmen aus altstädtischen Straßentrassen geborgen werden, sind in der Regel klein oder nur noch fragmentarisch erhalten. Deshalb war es schon ungewöhnlich, dass im Oktober 2013 in der Anklamer Keilstraße ein fast vollständig erhaltenes Kanonenrohr geborgen werden konnte.

Da seit Jahren diverse Gerüchte über das Objekt und seinen Verbleib kursierten, rechnete eigentlich niemand ernsthaft mit seiner Entdeckung. Deshalb war die Überraschung bei allen Beteiligten groß, als das Kanonenrohr tatsächlich beim Anlegen eines Wasserleitungsgrabens zutage kam (Abb. 1)

Das Fundstück war zwar mit einer dicken Rostschicht überzogen, ließ sich aber dennoch vermessen und zeitlich einordnen (Abb. 2).

Das etwa 2 m lange, gusseiserne Rohr wird optisch durch zwei Bänder in einfacher Riefenzier getrennt. Das Mittelband teilt das eigentliche Rohr in das Vorderstück mit den beiden Schildzapfen und das Hinterstück. An dieses schließt sich, gekennzeichnet durch das Kammerband, das Bodenstück mit kugelförmiger Handhabe am Stoßboden an. Obwohl das Mündungsstück eine etwa 0,4 m große, keilförmige Fehlstelle aufweist, konnte das Kaliber von 100 mm bestimmt werden. Das als Vorderlader konstruierte Objekt ist aufgrund seiner Proportion und seines Kalibers dem Geschütztyp der "Feldschlange" zuzuweisen. Die Ausführung in Gusseisen und die schlichte Verzierung datieren das Stück ins 17. Jahrhundert.

Solche Geschütze wurden nicht nur als Angriffs-, sondern auch als Verteidigungswaffen verwendet. Welchen Zweck die Kanone aus Anklam erfüllte, kann nicht mehr festgestellt werden. Der Grund für ihre Ausmusterung liegt allerdings auf der Hand. Es kam zum "Rohrkrepierer", das heißt die letzte Ladung explodierte noch im Bereich der Mündung.

Als Waffe unbrauchbar geworden, wurde die Kanone nunmehr einem weitaus friedlicheren Zweck zugeführt. Mit dem zerstörten Mündungsstück nach unten, hat man sie hochkant an der Nordwestecke des Hauses Keilstraße 11 eingegraben und hier – an der Engstelle zur Priesterstraße – bis 1945 als Radabweiser genutzt. Im April desselben Jahres, quasi im Eifer eines neuen Gefechts, passierte dann ein Malheur, das der damalige Leiter des Heimatmuseums Hermann Scheel in einem Gedächtnisprotokoll sehr lebendig schilderte:

Am 19.4.45 wurde das Kanonenrohr Ecke Keil- u. Priesterstraße freigelegt. Es sollte dort ein Maschinengewehrstand angelegt werden, von wo aus die Keil- u. Steinstraße unter Feuer genommen werden konnte. Ich kam darüber zu, als das Rohr unten in der Grube lag und hätte es gerne für das Museum gehabt u. bat einen Fuhrmann, der mit 2 Pferden vorbeikam, es aus der Grube herauszuschleppen. Aber die Pferde waren dazu nicht imstande. Ich bat einen Treckerführer. Er befestigte ein Drahtseil an dem Rohr und zog an. Aber das Seil riß u. das Rohr fiel zurück in die Grube, u. er hatte keine Zeit mehr, sich dort länger aufzuhalten. Ich machte mir eine Skizze u. schrieb die Maße auf. So blieb das Rohr dort unten liegen bis auf d. heutigen Tag i. Dez. 1965. Die Skizze v. d. Lage bewahrte ich im Heimatmuseum auf. 1,20 m tief, 80 cm von der Hausecke entfernt.

Zur endgültigen Bergung des Kanonenrohres gingen letztendlich noch 48 Jahre ins Land. Und diese gelang nur durch das Können von Mitarbeitern der Baufirma und unter Zuhilfenahme eines Baggers (Abb. 3–5).

Andrea Popp M. A.


Literatur

Dorothea Goetz, Die Anfänge der Artillerie. Berlin 1985.

Herrmann Scheel, Handschriftliche Notiz / Gedächtnisprotokoll zum Kanonenrohr Keilstraße / Ecke Priesterstraße. Anklam 1965. Stadtarchiv / Museum im Steintor Anklam.

Heinrich Müller, Deutsche Bronzegeschützrohre 1400–1750. Berlin 1968.

Fund des Monats November 2014

1945 versenkt – 2013 geborgen: Ein Kanonenrohr aus Anklam