Eine Gotländerin in der Uckermark…?

Fund des Monats Mai 2015

Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Tierkopffibel in der SeitenansichtDetails anzeigen
Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Tierkopffibel in der Seitenansicht

Abb. 1a Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Tierkopffibel in der Seitenansicht

Abb. 1a Pasewalk, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Tierkopffibel in der Seitenansicht

Metallgegenständen kommt in der archäologischen Forschung eine große Bedeutung bei der Definition sozialer, kultureller und ethnischer Gruppen zu. Da sie auch Handels- und Prestigeobjekte waren, bedeutet der Fundzuwachs durch den Einsatz von Metallsuchgeräten gleichzeitig eine Herausforderung für die archäologische Interpretation.

Im Süden der Gemarkung Pasewalk (Lkr. Vorpommern-Greifswald) entdeckte Sylvio Barkow (Pasewalk) im Herbst 2014 eine bronzene Tierkopffibel, die er umgehend mit den per GPS erfassten Fundkoordinaten beim Landesamt meldete. Derartige Fundstücke waren lange Zeit in Vorpommern unbekannt, doch innerhalb kurzer Zeit waren vergleichbare Fibeln aus Nonnendorf und Klein Below gemeldet worden. Im Jahr 2014 kamen mit Usedom und Pasewalk zwei weitere Exemplare hinzu.

Die gut erhaltene bronzene Tierkopffibel (Abb. 1 a) aus der Gemarkung Pasewalk ist 4,4 cm lang und maximal 2,6 cm breit. Der stark stilisierte Kopf hat eine Höhe von maximal 1,7 cm; die schmale "Schnauze" hat eine Breite von 1,1 cm. Auf der wohl angelöteten Platte der Unterseite (Abb. 1 b) ist eine gegossene Doppelöse mit Eisenrest (Nadelachse) und die umgeschlagene Nadelrast erhalten. Die Oberfläche der Fibel ist mit kleinen, spitzbodigen Grübchen von 2-3 mm Durchmesser bedeckt. An der schnauzenförmigen Schmalseite und am unteren Rand außen umlaufend sowie auf der breiten Schmalseite (Hinterkopf) ist ein feiner Tremolierstich erkennbar. In gleicher Technik ausgeführt ist eine umlaufende, doppelte Wellenlinie auf der angelöteten Bodenplatte. Auf der breiten Kopfseite der Fibel ist eine Durchlochung erhalten, die ursprünglich die Halterung einer Kette aufnahm. In der Tracht konnte diese Kette nicht nur die Verbindung zu einer zweiten Fibel herstellen, sondern auch noch mit Schmuckperlen und Anhängern bestückt werden.

Tierkopfförmige Fibeln gehörten als Gewandschliessen zur traditionellen Tracht des Frühmittelalters auf Gotland. Die typologische Entwicklung der praktisch auf diese Ostseeinsel beschränkten Fibelform reicht bis in die Vendelzeit zurück. Insgesamt sind von Gotland mehr als 1500 tierkopfförmige Fibeln bekannt. Die große Zahl und auch Merkmale einzelner Werkstätten lassen keinen Zweifel daran, dass auch die Produktionsorte der Fibeln auf der Insel gelegen haben müssen. Zur paarigen Trageweise der Fibeln auf Gotland geben viele Frauengräber ein anschauliches Bild.

Die Fibeln des vorliegenden Typs mit einfacher Grübchenornamentik und deutlicher Knickung der Oberseite wurden von A. Carlsson (1983) in die Zeit zwischen 1100 und 1150 datiert, L. Thunmark-Nylén (2006) hält sogar die Zeit zwischen 1150 und 1200 für möglich. Damit gehören diese Fibeln zu den jüngsten der Wikingerzeit Gotlands. Auch die Fibel aus Usedom gehört zu diesem Typ, ist aber schlechter erhalten (Abb. 2).

Die tierkopfförmigen Fibeln sind nicht die einzigen Gegenstände, welche von Gotland an die westslawische Ostseeküste gelangten: Ein silbertauschierter, vergoldeter Anhänger in Fischkopfform (Abb. 3) war Fund des Monats im August 2011. Derartige Schmuckobjekte wurden auf Gotland zu mehreren Exemplaren in einem regelrechten Collier, aber auch als Zweierkombination getragen. Mit dem Fragment einer Dosenfibel, die ein Ornament in stark abstrahiertem nordischem Tierstil zeigt, ist ein weiteres Objekt aus einer gotländischen Werkstatt vom gleichen Fundplatz überliefert (Abb. 4). Auch auf der Insel Rügen gibt es inzwischen Funde gotländischer Provenienz.

Doch wie kamen die Objekte an die südliche Ostseeküste? Zeigen die Funde tatsächlich die persönliche Anwesenheit gotländischer Kaufleute, Handwerker oder Krieger oder besser ihrer Frauen an? Folgt man M. Müller-Wille (1988), dann spiegeln die Funde gotländischen Frauenschmucks um die Ostsee herum "… eindrucksvoll die Besuchs-, Aufenthalts- und Sterbeorte gotländischer Frauen längs der Küsten des Ostseegebietes wider…". Doch fehlen Bestattungen mit typisch skandinavisch-gotländischer Tracht des 11.-12. Jahrhunderts außerhalb Gotlands. L. Thunmark-Nylén (2006) kommt nach Auswertung der wenigen schriftlichen und vereinzelten archäologischen Quellen zu Gotländern außerhalb der Insel zu dem Ergebnis, dass zumindest die Mehrzahl der Belege der materiellen Kultur personenunabhängig ist. Ob es sich um Prestigegüter im ostseeslawischen Kontext handelte, wie F. Biermann (2004) für den Fund von Nonnendorf exemplarisch ausführt und ob man gar den Nachweis entsprechender Ethnien führen kann, ist ebenfalls zu hinterfragen. So gibt es in Schleswig-Holstein trotz so gut erforschter Zentren wie Oldenburg oder Haithabu bzw. Schleswig gotländische Fibeln der späten Wikingerzeit ebenfalls sehr selten. Aus Mecklenburg, West- und Hinterpommern sind bis jetzt gar keine Nachweise bekannt.

Schon seit der Bronzezeit bis in das Frühmittelalter ist die Versorgung Nordeuropas und des nördlichen Mitteleuropas mit Buntmetall ausschließlich auf der Basis des Importes dieser Metalle bzw. durch Wiederverwendung möglich gewesen. Wenig erforscht ist die Frage der Versorgung mit Buntmetallen im wikingerzeitlichen Skandinavien und bei den benachbarten slawischen Stämmen des Frühmittelalters. Der skandinavische Raum mit einer sehr entwickelten Handwerkstradition musste den hohen Bedarf auf verschiedene Weise decken. Neben Beute aus Kriegszügen dürfte auch Handel mit Metall eine Rolle gespielt haben. Im archäologischen Fundmaterial zeigen Beispielsweise Barren aus Bunt- und Edelmetall den effizienten Umgang bei der Metallbevorratung an. Der Handel mit Metall bzw. die Versorgungswege scheinen jedoch weder in den historischen noch in den archäologischen Quellen bisher ausreichend untersucht. Dies gilt auch für die Rohstoffkreise durch Recycling.

Da ein Zusammenhang von Metallhandwerk bzw. Buntmetallverarbeitung mit den besprochenen "Importfunden" in Vorpommern immer wieder beobachtet wird, spricht einiges für die systematische Verwertung funktionslos gewordener Metallgegenstände (Trachtbestandteile, Schmuck, Geschirr) im Sinne einer sekundären Rohstoffversorgung. Für die vorpommerschen Funde ist vorstellbar, dass die Metallgegenstände entweder schon in ihren Herkunftsregionen gesammelt, und dort oder beim Endverarbeiter zerkleinert (deswegen auch oft nur in Fragmenten überliefert !), eingeschmolzen und umgearbeitet worden sind. Ebenso können sie natürlich auch erst im Anwendungsgebiet zum Zweck der Weiterverarbeitung akkumuliert worden sein, nachdem sie vorher auf verschiedenen Wegen und verschiedenen Gründen die südliche Ostseeküste erreichten. Die These vom Altmetall wird gestützt durch das wiederholte Auftreten älterer Metallgegenstände in (nicht selten deutlich) jüngeren Fundkomplexen. So wird man aus den dargelegten Überlegungen eher von importierten skandinavischen Trachtbestandteilen als von der ehemaligen Anwesenheit einer "echten" Gotländerin bei Pasewalk ausgehen dürfen.

C. Michael Schirren


Literatur

F. Biermann und K. Rausch mit einem Beitrag von T. Fried, Slawische und skandinavische Funde von Nonnendorf, Lkr. Ostvorpommern. Jahrbuch Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern 52, 2004, 367-395.

A.Carlsson, Djurhuvudformiga spännen och gotländsk medeltid. Stockholm Studies in Archaeology 5 (Stockholm 1983).

M. Müller-Wille, Fremdgut und Import östlicher Provenienz in Schleswig-Holstein (9.-12. Jahrhundert). In: Oldenburg-Wolin-Staraja ladoga-Novgorod-Kiew. Handel und Handelsverbindungen im südlichen und östlichen Ostseeraum während des frühen Mittelalters (Tagung Kiel 5.-9. Okt. 1987), Ber.RGK 69, 1988,740-783.

L. Thunmark-Nylén, Die Wikingerzeit Gotlands I-IV. (The Viking Age of Gotland) Kungl. Vitterhetens Historie och Antikvitets Akademien, Stockholm (Stockholm 2006).

Fund des Monats Mai 2015

Eine Gotländerin in der Uckermark…?