Ein Repräsentationsbau - "Tempel" oder "Fürstenhalle"?

Fund des Monats August 2016

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2015 freigelegte Pfostengrube der südlichen Reihe im Profil

Abb. 2. 2015 freigelegte Pfostengrube der südlichen Reihe im Profil

Abb. 2. 2015 freigelegte Pfostengrube der südlichen Reihe im Profil

Bei den Rettungsgrabungen am Kap Arkona kam schrittweise ein Befund zutage, dessen Bedeutung erst in jüngster Zeit klar wurde. Zu einer 1999 entdeckten, aber erst 2005 restlos ausgegrabenen kesselförmigen Grube gesellten sich in den folgenden Jahren einige weitere. Um die 0,8 m tief und jeweils mit einem Durchmesser von etwas über einem Meter, enthielten sie stets auffallende Funde wie Hacksilber, Perlen, Pfeilspitzen, Brünnenringe u.a., dazu größere Mengen von Feldsteinen. Das ließ zuerst an Opfergruben denken.

Erst bei der Auswertung aller vorhandenen Unterlagen zeigte sich, dass die Gruben einem Plan folgten. Bei den Grabungen im Sommer 2015 wurden zwei weitere Gruben entdeckt, die sich genau an den Stellen befanden, an denen sie zu erwarten waren (Abb. 1-3). Die nun insgesamt sieben Befunde lassen einen leicht schiffsförmigen Gebäudegrundriss erkennen (Abb. 4 und 5). Er hat eine Länge von mindestens 12 m und eine Außenbreite von rund 8 m am westlichen Joch und rund 9 m in der Mitte. Das westliche Ende wurde sicher erfasst, während das östliche bereits durch den Küstenabbruch in Mitleidenschaft gezogen war, als dort 2003 die ersten Grabungen stattfanden. Der südöstliche Eckpfosten fehlt deshalb.

Die Anlage erinnert an Gebäudegrundrisse, die sowohl aus dem wikingerzeitlichen Norden als auch aus dem früh- und hochmittelalterlichen Norddeutschland bekannt sind. Die allseits bekannten Häuser der Wikinger vom Typ Trælleborg zeichnen sich durch ihre bootsförmigen Außenwände und seitlich angebauten Stützen, die den Seitendruck des Dachgebälks abfingen, aus. Archäologisch fasst man ein innen liegendes Stützgerüst und dem Grundriss folgende Wandgräbchen mit eng stehenden Wand- und Stützpfosten. Die jüngere Gruppe der schiffsförmigen Häuser verfügte über gut verzimmerte Sparrendächer und konnte damit auf seitliche Stützpfosten oder Seitenschiffe verzichten. Stattdessen mussten massivere Pfostensetzungen geschaffen werden. Diese Bauform löste im 11. Jahrhundert den bekannteren Typ Trælleborg ab, wich aber sehr schnell den Gebäuden mit klar rechteckigem Grundriss.

Die Größe der Gruben ist selbst für Pfostensetzungen von Häusern dieses Typs beachtlich. Ähnliche Ausmaße finden sich nur bei wenigen Gebäuden, wie dem Repräsentationsbau von Uppåkra (7.-9. Jahrhundert), wo sie sogar eine Tiefe von 2 m erreichten. Ebenfalls nachgewiesen sind sie bei einem ähnlich großen repräsentativen Bau in Tissø aus dem 10. Jahrhundert. Auf Arkona befindet sich nun das dritte, konstruktiv jüngere Gebäude. Die frühen norwegischen Kirchen, etwa zeitgleich zum Bau von Arkona entstanden, besaßen ebenso auffallend starke und tief eingebrachte Pfosten. Namentlich der erste Bau der Marienkirche von Oslo verfügte über Pfosten von 0,4 m Durchmesser, die man rund 1 m in den Boden eingetieft hatte. Einen ähnlichen Durchmesser kann man für die Pfosten von Arkona annehmen. Die weitaus größeren Gruben nahmen zur Verbesserung der Standsicherheit zahlreiche Verkeilsteine auf. Die vielen Steine schützten zugleich das Holz vor dem unmittelbaren Kontakt mit dem Erdreich, was die Haltbarkeit der tragenden Teile des Gebäudes nachhaltig verbesserte. Diese Bauweise wurde bei frühen skandinavischen Holzkirchen mehrfach beobachtet, auch wenn sich mit ihnen eine grundsätzlich andere Wandkonstruktion verbindet.

Derartig aufwändige Steinverkeilungen sind südlich der Ostsee noch nicht beschrieben worden. Meist ist bei den Pfosten von lediglich ein oder zwei Verkeilsteinen die Rede, doch handelt es sich hier durchweg um einfache Wohn- und Wirtschaftsbauten.

Auch wenn keine genauen Angaben zum Aussehen des Gebäudes möglich sind – man hat ungewöhnlich mächtige Pfosten verbaut. Sie verweisen auf die überdurchschnittliche Höhe eines Bauwerkes, das von seinem Grundriss her nicht größer war als ein friesisches, sächsisches oder dänisches Bauernhaus. Mit seiner frei tragenden Decke von gut 7 m Spannweite hat es zumindest die 16–20 m² großen Hütten der Burgbewohner deutlich übertroffen.

Ein weiteres Detail verdient besondere Aufmerksamkeit: genau in der Mitte dieses Gebäudes befand sich eine steilrandige Grube, 1,25x1,15 m groß und noch 0,35 m tief. Sie enthielt kaum Steine, dafür aber 15 Münzen und etwas nichtmonetäres Hacksilber, einige Perlen sowie andere Objekte.

Sowohl in den Pfostengruben als auch im näheren Umfeld fehlen die gewöhnlichen Siedlungsfunde wie Keramik und Knochen fast völlig. Ebenso vermisst man Hinweise, die eine Wohn- und Wirtschaftsnutzung anzeigen könnten. Dafür liegen aus den Gruben vergleichsweise viel Hacksilber, Perlen und Pfeilspitzen vor. Somit sind – abgesehen von den baulich bedingten Unterschieden – alle Bedingungen für eine auf Repräsentation, Herrschaft und Kult ausgelegte "Halle" erfüllt. Ferner in Betracht zu ziehen sind der westlich vor dem Gebäude anschließende Grubenkomplex mit vergleichbarem Fundinventar sowie etlichen Einzeldeponierungen. Eine sakrale Nutzung des Komplexes kann und darf nicht ausgeschlossen werden.

Der Bau entspricht allerdings nicht dem Heiligtum, das Saxo Grammaticus in seinen viel diskutierten, sehr detaillierten Ausführungen beschrieb. Da er um 1100 endgültig aufgegeben wurde, konnten Saxos Gewährsmänner ihn nicht gesehen haben. Das Heiligtum von 1168 ist an anderer Stelle zu suchen.

Die Aufgabe um 1100 könnte darauf verweisen, dass das Gebäude von den Burginsassen gebraucht und genutzt wurde, sei es als Versammlungshaus ("Fürstenhalle"?), als Aufbewahrungsort der Devotionalien des Heiligtums und des Tempelschatzes oder Ähnliches. Die ungewöhnliche Zusammensetzung des vor der Halle konzentrierten Hacksilbers könnte als Beleg dafür dienen, dass man hier über Jahrzehnte gesammelte Schätze lagerte. Die vielen Pfeilspitzen hingegen könnten sehr gut aus dem großflächig nachgewiesenen Zerstörungshorizont stammen. Rituelle Deponierungen vor einem solchen Gebäude wären durchaus denkbar.

Dr. Fred Ruchhöft

Fund des Monats August 2016

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