Brunnen ausgegraben - 2000 Jahre alte Hausteile gefunden

Fund des Monats Oktober 2016

Koitenhagen Fpl. 5, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im Profil des Brunnen-Befundes 666 ist nur eine kleine Baugrube erkennbar.Details anzeigen
Koitenhagen Fpl. 5, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im Profil des Brunnen-Befundes 666 ist nur eine kleine Baugrube erkennbar.

Abb. 1 Koitenhagen Fpl. 5, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im Profil des Brunnen-Befundes 666 ist nur kleine Baugrube erkennbar.

Abb. 1 Koitenhagen Fpl. 5, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Im Profil des Brunnen-Befundes 666 ist nur kleine Baugrube erkennbar.

Die Region um die heutige Hansestadt Greifswald ist seit längerem als Siedlungskammer der älteren römischen Kaiserzeit bekannt. Auch beim Bau der Ortsumgehung und der OPAL-Gaspipeline wurden archäologische Zeugnisse dieser Zeit entdeckt.

Durch die archäologischen Bergungsarbeiten, die von April bis Juli 2016 auf Fpl. 5 der Gemarkung Koitenhagen, Lkr. Vorpommern-Greifswald stattfanden, haben sich die Erkenntnisse weiter verdichtet. Auf einer Fläche von ca. 3 Hektar wurden Siedlungsbefunde und Handwerksareale der älteren römischen Kaiserzeit freigelegt und dokumentiert, um Baufreiheit für die Errichtung eines Möbelhauses zu schaffen. Die etwa 1000 dokumentierten Befunde umfassen das Spektrum von Siedlungs-, Vorrats- und Pfostengruben, Feuerstellen, Rennöfen zur Eisenverhüttung und mit Steinplatten ausgekleidete Grubenöfen. Anhand der Verteilung der Pfostengruben ließen sich die Standorte mehrerer Speicherbauten ausmachen. Wohnbauten sind beim derzeitigen Bearbeitungsstand nicht klar identifizierbar. Letzteres mag an der großflächigen Planierung des Geländes zum Ende der 1980er Jahre liegen, als auf dem Areal eine Gewächshausanlage errichtet wurde, die jedoch nie in Betrieb ging.

Die Besonderheit des Fundplatzes offenbarte sich erst im Laufe der Grabungsarbeiten, als nach und nach insgesamt zwölf Brunnen entdeckt wurden, von denen über die Hälfte mehr oder weniger gut erhaltene Holzeinbauten aufwies. Die Brunnen verteilten sich über das gesamte Grabungsareal und lagen z.T. in Zweiergruppen. Im Planum waren sie als runde Verfärbungen mit Durchmessern von ca. 2 bis zu 8 Metern erkennbar. Die Profile der Eingrabgruben waren trichterförmig und besaßen Resttiefen von ca. 2 und bis zu 4 Metern (Abb. 1). Die Holzeinbauten beschränkten sich dabei etwa auf das untere Drittel in grundwassernahen Schichten. Der obere Teil der trichterförmigen Brunnengruben war in der Regel mit humosem Sediment verfüllt und relativ fundarm. Ursprünglich dürften die Brunnen von Büschen und Bäumen umstanden gewesen sein. Hierauf deuten erhaltene Zweige, Blätter, Haselnüsse und Kirschkerne (Wildkirsche?) in den tieferen Schichten. Die Baugruben enthielten zudem Holzstücke, bei denen es sich augenscheinlich um Abfälle von Holzzurichtung der Brunnenbauer handelt.

Die Holzeinbauten der Brunnen waren verschiedenartig konstruiert. Mehrfach wurden quadratische Holzkästen vorgefunden, die überwiegend aus einfach verblatteten Spaltbohlen bestanden. Bei manchen Brunnen wurde der Holzkasten durch Eckpfosten im Inneren oder eine Hinterfütterung mit waagerechten Hölzern in der Baugrube stabilisiert. Zwei Brunnen waren in der sog. "Stabbauweise" errichtet, d.h. sie bestanden aus senkrechten länglichen Hölzern. Bei zwei Befunden waren die Wandungen mit Flechtwerk (Weidenruten) und angespitzten Staken ausgesteift. Hiervon zeigte einer die übliche zylindrische Bauform. Ungewöhnlich war jedoch der andere (Befund 334), bei dem die Brunnenstube (d.h. die eingefasste Wasserschöpfstelle) die Form eines umgekehrten Kegelstumpfes besaß. Der obere Rand war überdies mit Eichenhölzern befestigt. Die Reste eines Zuganges in Form von Treppenstufen aus Eichenhölzern zeigen, wie man den Brunnen gangbar machte.

Sämtliche aus Eichenhölzern errichteten Brunnen waren zumindest teilweise kollabiert. Bei Befund 977 war nicht einmal mehr das Bauprinzip erkennbar (Abb. 2). Die Ursache könnten eine nachlässige Bauweise, wechselnde Wasserstände oder unvorhergesehene Sedimentbewegungen gewesen sein.

Ein Glücksfall: Sekundär verwendete Bauhölzer

Beim Brunnenbau fand vornehmlich Eichenholz Verwendung. An etlichen der Hölzer wurden allerdings technische Details wie Aussparungen oder Zapflöcher festgestellt, die nichts mit der Konstruktion des Brunnens zu tun hatten (Abb. 2 und 3). Auch die Beobachtung, dass einige Konstruktionselemente, wie z.B. manche Eckpfosten, deutlich überdimensioniert waren, deutet darauf hin, dass man diese Hölzer ursprünglich nicht für den Bau der Brunnen geschlagen hatte.

Offenbar waren die meisten Hölzer in ihrer ersten Verwendung in den Wänden und Dächern von Häusern verbaut. Dass die ausgedienten Bauhölzer durch ihre Zweitverwendung in den Brunnen erhalten blieben, ist ein außerordentlicher Glücksfall. Bisher sind im nördlichen Mitteleuropa nur wenige erhaltene Reste oberirdischer Konstruktionen bekannt, z.B. aus den Marschengebieten an der Nordsee. Meist handelte es sich dort aber nur um die untersten Gebäudeteile, wie Pfosten oder Schwellbalken.

Außer den aufgehenden Bauteilen von Häusern wurden in den Koitenhagener Brunnen auch mehrere ausgediente Geräte aus Holz sekundär verbaut. Insgesamt konnten drei derartige Objekte identifiziert werden, davon zwei noch unbekannter Funktion und das mögliche Konstruktionselement einer Flachsbreche.

Dendrochronologische Datierungen von Holzabschnitten aus den Baugruben von drei Brunnen ergaben überwiegend Fälldaten in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Diese Datierung stimmt auch sehr gut mit den gefundenen Gefäßtypen und zwei bronzenen Fibelfragmenten überein.

Profane Funde oder rituelle Handlungen?

In der Natur der Sache liegt es, daß ein Brunnen immer wieder gesäubert werden muß. Aus diesem Grund beschränken sich die Funde innerhalb der Brunnenstube auf wenige, wohl eher versehentlich hineingeratene Objekte. Dennoch stammen die bemerkenswertesten Fundobjekte der Koitenhagener Siedlung aus den Brunnen. Eine Haarnadel aus Knochen oder Geweih, die in bester Erhaltung aus der Kastenverfüllung von Befund 783 geborgen wurde, mag einst ihrer Trägerin bei der Haarpflege unabsichtlich ins Wasser gefallen sein.

Erst mit Aufgabe der Siedlung dürfte eine komplett erhaltene, noch funktionsfähige Rundmühle (Unterlieger und Läuferstein aus Granit) in den Brunnen Befund 977 geworfen worden sein (Abb. 4). Auch dies ist ein ungewöhnlicher Fund, kennt man doch oft nur Bruchstücke solcher Mühlen aus den Siedlungen. Nach der Aufgabe der Siedlung wurden die Brunnen verfüllt, aber trotz der zum Teil riesigen Gruben nur sporadisch zur Entsorgung von Abfällen genutzt.

Die Baugruben mehrerer Brunnen enthielten Tierknochen, die anders als die üblichen Schlachtreste nicht zerschlagen in den Befund gelangten. Dies kann ein Hinweis auf mögliche Bauopfer sein.

Mit einiger Sicherheit ist das weitgehend erhaltene Skelett eines Lammes in der Verfüllung des Brunnenkastens von Befund 539 als Opfer zu werten. Auch eine vollständig erhaltene Keramikschale im oberen Bereich des Brunnenkastens von Befund 666 und die ausschließlich in den Brunnen aufgefundenen Reste von Pokalgefäßen lassen rituelle Hintergründe vermuten. Derartige Gefäße kennt man auch aus anderen Brunnen dieser Zeit in der Germania Libera.

Dirk Röttinger

Fund des Monats Oktober 2016

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