In 120 Jahren: Vom Hirschgarten am Forstgehöft zum europäischen Spitzenzoo in Rostock

Archivalie des Monats März 2020

Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 2: Um 1915 - Ein Paar schlendert durch den Tiergarten Rostock.Details anzeigen
Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 2: Um 1915 - Ein Paar schlendert durch den Tiergarten Rostock.

Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 2

Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 2

Angesichts der großen öffentlichen Präsenz, der sich das städtisch-universitäre Doppeljubiläum "Rostock 800 ǀ 600" in den Jahren 2018/19 erfreuen konnte, blieb für ebenfalls "runde" Jahrestage anderer wichtiger Rostocker Institutionen gleichsam nur der Windschatten. So konnte die Volkshochschule der Hanse- und Universitätsstadt am 1. September 2019 ihren 100. Gründungstag begehen, der allerdings nicht gleichbedeutend mit einhundert Bestandsjahren war: 1937 wurde die Volkshochschule von den Nationalsozialisten auf- bzw. vom nationalsozialistischen Deutschen Volksbildungswerk abgelöst, im Januar 1946 befahl die Sowjetische Militäradministration die im Mai des Jahres mit einem Festakt im Stadttheater vollzogene Neugründung.

Etwas älter als diese Rostocker Bildungseinrichtung, nämlich zwei Jahrzehnte, ist der heutige Zoologische Garten ebendort, der Anfang vergangenen Jahres seinen 120. Gründungstag beging. Gleich der Volkshochschule Rostock vermag auch der Zoo Rostock, wie noch deutlicher werden wird, nicht auf einen gleichermaßen langen Zeitraum des Bestehens zurück zu blicken. Die älteste mecklenburgische Einrichtung dieser Art befindet sich im Übrigen nicht hier in der größten Stadt des Landes, denn der 1721 ins Leben gerufene Tiergarten Neustrelitz begeht im kommenden Jahr bereits sein 300. Jubiläum und womöglich noch zwei Jahrzehnte früher entstand der sogenannte Ivenacker Tiergarten.

In Rostock begann alles am 4. Januar 1899 mit einem für den sogenannten Hirschgarten beim Trotzenburger Forstgehöft in den Barnstorfer Tannen eingestellten Tierwärter. Der Tierbestand – ein Hirsch und ein Paar Rehe – erfuhr 1902 Ergänzung durch ein Paar Seeadler, Enten, Schwäne und, hier gehen die Meinungen etwas auseinander, eine Rotte Wildschweine. Weiteren Zuwachs brachten in den nächsten Jahren zwei Angorakatzen, zwei russische Braunbären und ein Schakal sowie Damhirsche, Waschbären und Füchse. Die Anlage verfügte über einen Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr in Gestalt einer Haltestelle zunächst der Pferdebahn und sodann ab 1904 der elektrischen Straßenbahn.

Bereits zwischen 1907 und 1910 konnte der Umbau des Hirschgartens zu einem Wild- und Dendrologischen Garten, von den Rostockern unbeirrt "Tiergarten" genannt, erfolgen. Im Ergebnis dessen wartete er nunmehr mit Tierhäusern und Gehegen sowie mit einer Anlage zur zentralen Wasserversorgung auf, aber auch mit Sitzgruppen und einem Café. Kinder unter sechs Jahren erhielten kostenlosen Zugang, alle anderen Besucher mittwochs und – erstaunlicherweise – auch an den Wochenenden. Mit dem ersten Weltkrieg brach die prosperierende Entwicklung ein, da Futter- und Brennstoffmangel ihre Wirkung zeigten und das Publikum ausblieb. Von dieser Realität scheint das auf der ersten Postkarte abgebildete Paar, das etwa 1915 durch die Anlagen des Tiergartens flanierte, allerdings noch unberührt.

Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 1: 1958/1959 Andrang am Kassenhäuschen des Rostocker ZoosDetails anzeigen
Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 1: 1958/1959 Andrang am Kassenhäuschen des Rostocker Zoos

Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 1

Quelle: LHAS, 13.2-1/1, Rostock, Zoo 1

Weitaus tiefere Einschnitte als der erste brachte der zweite Weltkrieg mit sich. Die schweren Luftangriffe auf die Stadt an der Warnow zerstörten auch ihre zoologischen Anlagen und nunmehr durchzogen Schützengräben das Gelände. Auf den vormaligen Grünflächen fand jetzt Gartenbau statt, die Baumbepflanzung wurde gerodet und wanderte als Brennmaterial in wärmespendende Öfen, die Tiere flohen oder wurden gestohlen oder geschlachtet. Ab 1950 wurde das völlig verwüstete Areal mit Hilfe vieler Freiwilliger aufgeräumt und eingezäunt, neue Käfige und Volieren errichtet, Grünflächen wiederhergestellt. Als der Tierpark Anfang September 1952 wieder für Besucher öffnete, waren die ersten Tiere – einmal mehr Hirsch und Wildschwein – Geschenke.

Keine vier Jahre später, Anfang 1956, begann eine komplette Neugestaltung der Situation. Im Vorjahr hatte der Rat der Stadt den Ausbau des Tierparks zum Zoologischen Garten beschlossen. Dessen Gelände wuchs auf 16 ha, im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes errichteten Rostocker Betriebe neue Tierhäuser und Gehege, exotische und für die Ostseestadt gänzlich neue Tierarten wie Menschenaffen, Löwen, Tiger, Elefanten, Eisbären oder Robben zogen ein. Die Besucherzahl stieg zwischen 1956 und 1959 um ein Viertel von 450.000 auf 600.000. Das scheint auch der Andrang am Kassenhäuschen widerzuspiegeln, der sich auf der zweiten Postkarte von 1958/59 erahnen lässt.

Nicht zu ahnen vermochte das damalige Publikum die weitere Entwicklung über das Jahr der Aufnahme hinaus. Das Gelände wurde nochmals erweitert auf nunmehr 56 ha, die Anzahl der Tiere und Tierarten stieg weiter, es kamen neue Spezialanlagen hinzu, seit 1980 führt der Zoo das Internationale Eisbären-Zuchtbuch. Die gesellschaftliche Wende 1989/90 führte mitnichten zu Stagnation. Vielmehr wurde kräftig in neue Formate investiert und modernisiert, um die Anlagen artgerechter zu gestalten – zuletzt eröffneten Darwineum (2012) und Polarium (2018). 2014 kamen 630.000 Besucher, 2015/16 jeweils fast 640.000, 2018/19 jeweils mehr als 650.000. Damit ist der Rostocker Zoo, in seiner Größenkategorie mehrfach in der Spitzengruppe des europäischen Zoo-Rankings, eines der beliebtesten Ausflugsziele in Norddeutschland.

Dr. Matthias Manke

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