Als Mecklenburg-Vorpommern Geschichte ward oder: Wie Vorpommern 1947 von der politischen Landkarte verschwand
Archivalie des Monats März 2024
Abb. 1: Ministerpräsident Wilhelm Höcker
(LHAS, 13.2-2, Nr. 479)
Abb. 1: Ministerpräsident Wilhelm Höcker
(LHAS, 13.2-2, Nr. 479)
Als rechtsetzender Akt zur erstmaligen Bildung des Landes Mecklenburg-Vorpommern gilt SMAD-Befehl Nr. 5 vom 9. Juli 1945, mit dem die Landes- bzw. Provinzialverwaltungen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) ins Leben gerufen sowie deren Chefs und ihre Stellvertreter ernannt wurden. Es firmierte hier als „Land Mecklenburg“, „in dessen Grenzen der westliche Teil Pommerns ohne die Stadt Stettin einzuschließen ist.“ Ausweislich einer Protokollnotiz von Wilhelm Höcker (Abb. 1), dem ernannten Präsidenten der Landesverwaltung, über eine Besprechung am Vortag beim stellvertretenden SMA-Chef des Landes Michail Skossyrew betrachtete die SMA eine „Landesverwaltung für Mecklenburg-Vorpommern“ als gebildet. Deren Tätigkeit „erstreckt sich auf Mecklenburg und Vorpommern“ und sie „nennt sich zunächst Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, dann aber nur Mecklenburg.“
Abb. 2: Behördenrundschreiben des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern vom 1. März 1947
(LHAS, 6.11-2, Nr. 1258, o. Bl.)
Abb. 2: Behördenrundschreiben des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern vom 1. März 1947
(LHAS, 6.11-2, Nr. 1258, o. Bl.)
Ihre eigentliche Relevanz sollte diese etwas kryptische Formulierung Anfang 1947 bekommen. Am 1. März des Jahres wandte sich Wilhelm Höcker, mittlerweile gewählter Ministerpräsident, per Rundschreiben an sämtliche Dienststellen der Landesverwaltung (Abb. 2). SMA-Verwaltungschef Nikolai Trufanow habe darauf hingewiesen, gemäß SMAD-Befehl Nr. 5 sei eine „Landesverwaltung für das Verwaltungsgebiet Mecklenburg zu bilden“ gewesen, „in dessen Grenzen der Westteil von Pommern – Stadt Stettin ausgenommen – eingeschlossen werden sollte.“ Folglich habe die Regierung nicht das Recht, „sich als eine Landesregierung für das Land Mecklenburg-Vorpommern zu bezeichnen,“ sondern sei nur befugt, „die Bezeichnung ʿLandesregierung Mecklenburgʾ zu führen.“ Das war allerdings nur die halbe Wahrheit, da der SMA-Leiter für Innere Angelegenheiten Arkadi Serebrijski die Bezeichnung der deutschen Zivilverwaltung am 24. Juli 1945 in „Verwaltung des Präsidenten der Provinz Mecklenburg und Vorpommern“ und am 20. März 1946 in „Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern“ änderte. Die am 15. Januar 1947 verabschiedete Verfassung lautete übrigens bereits auf „Land Mecklenburg“.
Abb. 3: Behördenrundschreiben des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern vom 1. März 1947 in russischer Sprache mit Einverstanden-Zeichnung des SMA-Verwaltungschefs
(LHAS, 6.11-2, Nr. 1258, Bl. 19)
Abb. 3: Behördenrundschreiben des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern vom 1. März 1947 in russischer Sprache mit Einverstanden-Zeichnung des SMA-Verwaltungschefs
(LHAS, 6.11-2, Nr. 1258, Bl. 19)
Am 1. März 1947 ordnete Wilhelm Höcker nun an, die genannte Bezeichnung „mit sofortiger Wirkung“ in allen amtlichen Schreiben zu gebrauchen. Der erwähnte „Hinweis“ des SMA-Verwaltungschefs dürfte, da er sich in Unterlagen des SED-Landesvorstandes ebenso wenig ermitteln lässt wie in der SMA-Korrespondenz und anscheinend nicht einmal in Kabinett dazu diskutiert wurde, mündlich ergangen sein. Als eigentlich rechtsetzende Handlung gilt daher die am 10. März erfolgte Kontrasignierung „Cогласен“ Nikolai Trufanows auf der vom Ministerpräsidenten gezeichneten Verfügung vom 1. März (Abb. 3). Die dort diktierte sofortige Wirksamkeit ließ sich allerdings, wie bereits der dabei verwendete Stempel „Der Präsident der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern“ ahnen lässt, nicht unmittelbar erzielen.
Am 7. März adressierte beispielsweise Minister Alfred Starosson ein Schreiben der „Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern“ an den SMA-Chef „für Zivilangelegenheiten für Mecklenburg-Vorpommern“. Eine Woche später, am 14., tat es ihm Minister Friedrich Burmeister im Grunde gleich. Und, um an den verwendeten Stempel anzuknüpfen: Die Beschaffung neuer Stempel gestaltete sich offenbar höchst schwierig, da die bisher genutzten Exemplare mit der Umschrift „Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern“ bis weit in das Jahr 1948 hinein in Gebrauch blieben. Ungeachtet dessen hatten sich die Landesbehörden bis Ende März 1947 an den neuen Landesnamen aber wohl weitgehend gewöhnt.
Zwischenzeitlich erklärte sich Wilhelm Höcker am 21. März auch im Landtag und am 22. März veröffentlichte das „Regierungsblatt für Mecklenburg“, das bis zum 8. März übrigens noch „Amtsblatt der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern“ hieß, eine Bekanntmachung des verwaltungsinternen Rundschreibens vom 1. März. Ob die Landtagserklärung auf einer gewissen Drucksituation basierte, ist nicht bekannt – einem Aktenvermerk vom 14. März zufolge habe der Ministerpräsident „auf Vortrag bestimmt“ dem Landtagspräsidenten zu kommunizieren, dass er in der bevorstehenden Landtagssitzung „einleitend der Verschmelzung von Mecklenburg und Vorpommern im Lande Mecklenburg gedenkt.“
In dieser Rede bemühte Wilhelm Höcker zunächst sowohl den im Vorstehenden reflektierten SMAD-Befehl Nr. 5 als auch das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 über die Auflösung des Staates Preußen, dessen Provinz Pommern bis 1945 war. In der Folge seien „auf Anordnung“ der SMA organisatorische Maßnahmen notwendig geworden, nämlich die Zurückführung des Landesnamens auf die Festlegung vom 9. Juli 1945. So weit so gut, dabei hätte es besser sein Bewenden haben sollen: Denn zum einen führte der Ministerpräsident zur Rechtfertigung einige historische Parallelen – etwa die Verknüpfung mecklenburgischer mit vorpommerschen Seestädten durch die Hanse – an, die aber ebenso auf z.B. Nordseestädte zugetroffen hätte und daher von relativ austauschbarer Beliebigkeit waren; und zum anderen kämen in „Land Mecklenburg“ „Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit unseres ganzen Landes und seiner Bevölkerung schärfer zum Ausdruck als bisher.“ Mit einigem Recht wird das vor allem in Vorpommern bis in die Gegenwart ganz anders gesehen.
Dr. Matthias Manke
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