Macht die Betriebe winterfest! DDR-Gewerkschaft plakatiert 1963 die Unbilden des Winters

Archivalie des Monats Dezember 2020

Abbildung: LHAS, 11.5-1/1, 2.2.3, Nr. 4Details anzeigen
Abbildung: LHAS, 11.5-1/1, 2.2.3, Nr. 4

Abbildung: LHAS, 11.5-1/1, 2.2.3, Nr. 4

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Auf der Nordhalbkugel bringt der 1. Dezember ein meteorologisch bzw. der 21. Dezember ein kalendarisch definitives Ereignis mit sich: "Es ist der Winter, jeder weiß, nun kommt er bald mit Schnee und Eis." Trotz der fixen Datierung des Jahreszeit-Beginns wird es auch 2020 bis auf Weiteres fraglich bleiben, mit welchen Begleiterscheinungen der Winter daherkommt. So wie es noch vor 75, 60 oder 30 Jahren die Regel war bzw., zumindest in der Rückerinnerung, mit hoher Wahrscheinlichkeit eintrat? Die Ältesten werden sich noch an den anhaltend bitterkalten Hungerwinter 1946/47 bzw. vor allem an den Jahresbeginn 1947 erinnern, die Älteren an die mit dem Jahreswechsel 1978/79 einher gehenden Schneemassen und sich bis in den Februar 1979 ziehenden meterhohen Schneeverwehungen dieses sogenannten Katastrophenwinters.

Jüngeren könnte zwar das Schneetief "Daisy" von Anfang Januar 2010 noch geläufig sein und den Jüngsten die ungewöhnliche Neuschneemenge zu Ostern Anfang April 2018. Aber lang anhaltende Winterwetterlagen dürften letztere Generationen, soweit sie in Norddeutschland außerhalb des Harzes beheimatet sind, aus eigenem Erleben heraus nicht kennen. "Früher", genauer gesagt Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, scheint es sich anders verhalten zu haben. Das bringt beispielsweise der Plakatentwurf "Macht die Betriebe winterfest" zum Ausdruck. Er wurde 1963 für die Abteilung Arbeitsschutz des FDGB-Bundesvorstandes, also für die DDR-Einheitsgewerkschaft, gefertigt. Ähnlich einer Wandzeitung aufgemacht steht das Gefährdungspotenzial des Winterwetters im Fokus, am Ende wird aber auch ein "Ausweg" aus den drohenden Kalamitäten aufgezeigt: "Macht die Betriebe winterfest", und zwar am besten rechtzeitig.

Kennt ihr den eisbezapften Alten?
Er dringt durch Tür- und Fensterspalten,
vor allem durch zerbrochne Scheiben,
um Schabernack mit euch zu treiben,
und ist die Heizung nicht instand,
gewinnt er bald die Oberhand.

Es ist der Winter, jeder weiß,
nun kommt er bald mit Schnee und Eis.

Die Straßen werden spiegelglatt,
wo man zu streu’n vergessen hat,
und mancher, mit gebrochnen Knochen,
liegt dann im Bett für viele Wochen.

Erkältung, Grippe, Rheumatismus,
vertreiben jeden Optimismus.
Besorgt ist der Herr Doktor sehr,
der Krankenstand steigt immer mehr.

Jedoch es muß ja nicht so sein,
Laßt doch den Alten nicht herein.
Macht die Betriebe winterfest,
am besten gleich, eh‘ ihr’s vergeßt!

Der künstlerische Anspruch bei der Umsetzung, der bei Alltags- und Gebrauchsgrafik nicht unbedingt im Vordergrund steht, mag sowohl im Wort als auch im Bild streitbar sein. Neutral betrachtet ist "Kunst" jedoch nicht das vordergründige Anliegen des Plakates, sondern die verbal unterstützte grafische Umsetzung von Aufklärung und Belehrung, von Appell und Ermahnung. In der Rückschau des Historikers erscheint manches daran fraglich. Natürlich ist der präventive Einsatz von Streugut hilfreich gegen winterliche Glätte auf Straßen und Gehwegen, selbstredend sind Grippe- und Erkältungsschutz ebenso wie die Abdichtung luftdurchlässiger Türen und Fenster sinnvolle Prophylaxe. Letztere dürfte sich Anfang der 1960er Jahre auch außerhalb der DDR nicht immer ganz problemfrei gestaltet haben.

Das lag einerseits an beständig "arbeitenden" Holztüren und -fenstern, andererseits an anderen als gegenwärtig verfügbaren Dichtungsmaterialien. An die heute verbreiteten und womöglich automatisch arbeitenden Jalousien bzw. Rollläden war noch nicht zu denken, gleichwohl insbesondere im kleinstädtisch-ländlichen Bereich verbreitete Fensterläden deren Funktion durchaus übernehmen sollten. Ungeachtet dessen mussten Tür- und Fensterspalten statt mit leicht erhältlichen und leicht zu montierenden Abdichtbändern eher mit Decken, Handtüchern oder ähnlichen "Ersatzwerkstoffen" verschlossen werden.

Als noch problematischer konnte sich die Heizung, d.h. in erster Linie das Heizmaterial, erweisen. Da die zentrale Fernwärmeversorgung sich nicht allein in der DDR erst in den 1970er und 1980er Jahren breit durchsetzte, musste im Jahrzehnt davor dezentral und vorzugsweise mit der minderwertigen heimischen Braunkohle geheizt werden. Effizienterer Steinkohlenkoks für Etagenheizungen war für Privathaushalte, wenn überhaupt erhältlich, kontingentiert. Unabhängig vom Heizmaterial aber kann, darin dürften sich Damals und Heute kaum unterscheiden, die rechtzeitige Wartung der Heizung wohl nicht von Nachteil sein.

Historie und Gegenwart der Wintermonate weisen, was nicht unbedingt als bahnbrechende Erkenntnis zu betrachten ist, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. Unweigerlich wird der Winter 2020/21 in den kommenden drei Monaten sein Gesicht zeigen. Ob es die Züge des "eisbezapften Alten" trägt, darüber wird erst zum Ende des meteorologischen Winters am 1. März 2021 bzw. des kalendarischen am 20. März Gewissheit herrschen.

Dr. Matthias Manke

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