"Geburtsurkunde" des Landes Mecklenburg-Vorpommern? Wilhelm Höckers Protokollnotiz zum 8. Juli 1945

Archivalie des Monats Oktober 2020

Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2) VorderseiteDetails anzeigen
Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2) Vorderseite

Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2)

Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2)

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, dessen 30. Jubiläum in diesem Jahr begangen wird, wurde mit dem sog. Ländereinführungsgesetz der DDR-Volkskammer vom 22. Juli 1990 in Verbindung mit dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag vom 31. August 1990 aus der Taufe gehoben. Bekanntlich handelte es sich bei dieser Gründung nicht um die erste staatliche Verwaltungseinheit dieses Namens, denn ein Land Mecklenburg-Vorpommern existierte bereits bis März 1947. Doch wann und wie war selbiges eigentlich entstanden?

Am 29. Juni 1945 bevollmächtigten der sowjetische Armeegeneral Wassili Sokolowski, Stellvertreter des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), und Generalleutnant Fjodor Bokow, Mitglied des Militärrates der SMAD, in Berlin-Karlshorst zwei Herren aus Güstrow zum Aufbau einer "Verwaltung der Provinz Mecklenburg". Es handelte sich dabei um den amtierenden Güstrower Oberbürgermeister Johannes (Hans) Warnke (KPD) und seinen Stellvertreter Wilhelm Höcker (SPD). Am Folgetag sandten sie einen Personalvorschlag zur Besetzung der leitenden Spitzenposten "einer Landesverwaltung Mecklenburg-Pommern" an den Obersten Chef der SMAD, Marschall Georgi Schukow, der eine Umkehrung der vorerwähnten kommunalen Hierarchie beinhaltete. Dieser Personalvorschlag, das sei hier am Rande erwähnt, erwuchs aus Besprechungen, die Gustav Sobottka als Leiter der KPD-Initiativgruppe für Mecklenburg am 27. Juni mit verschiedenen Genossen und einigen erfahrenen Verwaltungsjuristen in Güstrow und Rostock geführt hatte.

Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2) RückseiteDetails anzeigen
Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2) Rückseite

Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2)

Abb. 1: Vermerk von Wilhelm Höcker (LHAS, 6.11-2, Nr. 1309, Bl. 2)

Am 4. Juli 1945 bestätigte der SMAD-Chef das Präsidium der "Landesverwaltung Mecklenburg" mit Höcker als Präsidenten, Warnke als 1. Vizepräsidenten sowie dem parteilosen Landwirtschaftsexperten Otto Möller und dem KPD-Mitglied Gottfried Grünberg als zweitem und drittem Stellvertreter des Präsidenten. Am 7. Juli nahm diese Landesverwaltung in Schwerin ihre Arbeit auf, ohne etwa Berufungsurkunden erhalten zu haben. Und auch auf ihre Arbeitseinweisung mussten sie noch warten, weil Generalmajor Michail Skossyrew, stellvertretender Chef der Sowjetischen Militäradministration des Landes (SMA), sie erst am Tag darauf erteilte. Die offizielle Errichtung der SMA erfolgte im Übrigen erst einen weiteren Tag später.

Ungeachtet dessen betrachtete die SMA ausweislich der von Höcker gefertigten Protokollnotiz zu Skossyrews Besprechung am 8. Juli 1945 eine "Landesverwaltung für Mecklenburg-Vorpommern" als gebildet – ihre Tätigkeit "erstreckt sich auf Mecklenburg und Vorpommern" und sie "nennt sich zunächst Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, dann aber nur Mecklenburg." Gleichwohl sich die mit dieser etwas rätselhaften Formulierung erzeugte Irritation durch die Verwendung von "Mecklenburg" bzw. "Land Mecklenburg" in der Protokollnotiz noch verstärkt, scheint hier erstmals von Mecklenburg-Vorpommern die Rede! Das sollte allerdings den Tag nicht überdauern, geschweige denn sich verstetigen: Als rechtsetzender Akt zur Bildung des Landes gilt der SMAD-Befehl Nr. 5 vom 9. Juli 1945, mit dem die Landes- bzw. Provinzialverwaltungen der SMAD ins Leben gerufen sowie deren Chefs und ihre Stellvertreter ernannt wurden – es firmierte hier als "Land Mecklenburg", "in dessen Grenzen der westliche Teil Pommerns ohne die Stadt Stettin einzuschließen ist." Damit der Begriffsverwirrung jedoch noch nicht genug.

Abb. 2: Wilhelm Höcker, Ende Okt. 1949 (LHAS, 6.11-1, Nr. 35)Details anzeigen
Abb. 2: Wilhelm Höcker, Ende Okt. 1949 (LHAS, 6.11-1, Nr. 35)

Abb. 2: Wilhelm Höcker, Ende Okt. 1949 (LHAS, 6.11-1, Nr. 35)

Abb. 2: Wilhelm Höcker, Ende Okt. 1949 (LHAS, 6.11-1, Nr. 35)

Am 10. Juli 1945 verfügte Präsident Höcker den Gebrauch der Bezeichnung "Landesverwaltung Mecklenburg-Pommern". Das wiederum rief Oberst Arkadi Serebriski als Chef der SMA-Innenverwaltung auf den Plan, der "Verwaltung des Präsidenten der Provinz Mecklenburg und Vorpommern" verlangte. Dadurch sah sich Höcker, wohl verstört durch die Degradierung der Landes- zu einer Provinzialverwaltung, unter dem Briefkopf eines Präsidenten der "Landesverwaltung Mecklenburg" genötigt, eine Entscheidung von Skossyrew zu erbitten. Selbige ließ er, wiederum unter dem Briefkopf eines Präsidenten der "Landesverwaltung Mecklenburg", am 26. Juli seinen Fachabteilungen kommunizieren: "An die Stelle der bisherigen Bezeichnung […] ‘Landesverwaltung Mecklenburg’ tritt auf Veranlassung der sowjetischen Militäradministration mit sofortiger Wirkung die Bezeichnung ‘Der Präsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern’." Ungeachtet der eigentlichen Klarstellung von ihrer höchsten Stelle gebrauchte die SMA in ihren Befehlen 1945/46 zumeist die Bezeichnung "Provinz". Die Landes-Stellen wie beispielsweise der Landtag agierten kaum besser, indem er einerseits am 13. Januar 1947 die "Demokratische Kreisordnung für das Land Mecklenburg-Vorpommern" verabschiedete. Und andererseits erhielt zwei Tage später der in die parlamentarische Diskussion eingebrachte "Entwurf einer Verfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern" seine Gesetzeskraft als "Verfassung des Landes Mecklenburg".

Es sollte jedoch noch ärger kommen, als die SMA den Wegfall des Zusatzes "Vorpommern" ab 1. März 1947 anordnete. Schließlich sei nach SMAD-Befehl Nr. 5 vom 9. Juli 1945 die "Landesverwaltung für das Verwaltungsgebiet Mecklenburg" zu bilden gewesen, "in dessen Grenzen der Westteil von Pommern – Stadt Stettin ausgenommen – eingeschlossen werden sollte." Offensichtlich fand hier die kryptische Formulierung "dann aber nur Mecklenburg" in Wilhelm Höckers Protokollnotiz zum 8. Juli 1945 ihre Bestimmung, die im östlichen Landesteil des heutigen Mecklenburg-Vorpommern noch immer für Hader und Verstörung sorgt.

Dr. Matthias Manke

2024

2023

2022

2021

2020

2019

2015

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007