Einer der schönsten Prospecte. Der Rostocker Hafen vom Ballastplatz aus, gezeichnet um 1847

Archivalie des Monats August 2020

Farblithografie des Rostocker Hafens 1847 (LHAS, 10.9-Q/1, Nr.1)Details anzeigen
Farblithografie des Rostocker Hafens 1847 (LHAS, 10.9-Q/1, Nr.1)

Farblithografie des Rostocker Hafens 1847

Farblithografie des Rostocker Hafens 1847

Mit alljährlich wiederkehrender Regelmäßigkeit drängen sich am ersten Augustwochenende eine Million Menschen im Rostocker Stadthafen, um dicht an dicht liegende (Segel-)Schiffsveteranen zu bewundern. 2020 wird das erstmals seit 1991 nicht so sein, weil im April die 30. HanseSail abgesagt bzw. auf 2021 verschoben wurde. Statt eines in den Himmel ragenden Mastengewirrs wartet die Unterwarnow mit nahezu leeren Kaikanten auf, an denen sich bestenfalls ein paar einsame Schiffchen langweilen. Die „Ein Theil des Hafens zu Rostock (Vom Ballastplatze aus)“ getitelte „Archivalie des Monats“ soll an bessere Tage erinnern und von schöneren Zeiten träumen lassen.

Zweifarblithografie des Rostocker Hafens aus dem Rostocker Album Dethleff 1846 (StadtA Rostock, 3.02.3.1, Nr. 2)Details anzeigen
Zweifarblithografie des Rostocker Hafens aus dem Rostocker Album Dethleff 1846 (StadtA Rostock, 3.02.3.1, Nr. 2)

Zweifarblithografie des Rostocker Hafens aus dem Rostocker Album Dethleff 1846

Zweifarblithografie des Rostocker Hafens aus dem Rostocker Album Dethleff 1846

In ihrer ursprünglichen Form bildete die einen von „zwölf der schönsten Prospecte Rostock’s und der Umgegend“ zeigende Ansicht das vierte Blatt in einem 1846 von Franz Heinrich Dethleff konzipierten und wohl 1847 veröffentlichten „Album von Rostock“. Gelegentlich wurde sie als Zweifarblithografie oder in monochromatischer Adaption bereits publiziert, so als „Federzeichnung um 1847“ bei Heinrich Rahden 1941 oder als Nachdruck des Rostocker Altstadt-Verlages 1997 oder als „Stich um 1850“ bei Johannes Lachs 2002. Hingegen dürfte die einem Nachlass im Landeshauptarchiv Schwerin entstammende Kolorierung, die im Übrigen auch in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Rostock überliefert ist, eine kaum bekannte Rarität darstellen. Der Künstler hatte eine farbige Variante seiner ursprünglichen Tondrucke zwar von Anfang an geplant, sie dann aber aus seiner Konzeption gestrichen.

„Aufgenommen“ wurde die Ansicht, wie der Untertitel ausweist, vom Ballastplatz am Strande unterhalb des Badstüber- und Grapengießertores zunächst von Franz Heinrich Dethleff. Der damals 34jährige betrieb, nachdem er 1844 das Rostocker Bürgerrecht erwarb, eine kleine Steindruckerei, die er Ende der 1850er mit einem Fotoatelier verband. Die Kolorierung erfolgte dann in der Druck- und Verlagsanstalt von Johann Gottfried Tiedemann Nachf., deren 1850 verstorbener und gleichermaßen umtriebiger wie finanzkräftiger Gründer sich womöglich Rechte an der ursprünglichen Konzeption gesichert hatte.

Der „Ballastplatz“ stellte mehr als nur eine topografische Bezeichnung einer städtischen Liegenschaft dar. Vielmehr verkörperte er ein wichtiges Moment städtischer Ordnung, an dem sowohl die Stadt als auch bestimmte Berufsgruppen wichtige Einnahmen generierten. Da jedes über See gehende Schiff um seiner Stabilität willen einer gewissen Ladung bedurfte und sich diese gegebenenfalls nicht mit werthaltiger Fracht wie Getreide, Salz, Kohlen, Ziegeln, Balken, Brettern, Kisten-, Fass- oder Sackware erzielen ließ, musste es Ballast – also im Grunde wertlose Zuladung von Sand und Gestein – zunächst einnehmen und später wieder löschen. Dafür wies die Stadt bestimmte Örtlichkeiten aus, deren für die Lagerung in Anspruch genommene Flächen sie sich vergüten ließ. Die entsprechenden Gebühren, das sogenannte Ballast-Geld, waren ebenso reguliert wie der Lade- und Löschlohn für die dabei neben der Schiffsbesatzung beschäftigten Arbeitsleute.

Sowohl die Zweifarb- als auch die Farblithografie weisen, ungeachtet des identischen Motivs, im Detail ihre Spezifika auf. Deutlich schärfer als in der Farblithografie erkennbar ist mittig im Hintergrund der Zweifarblithografie der erstmals 1622 errichtete und 1780 erneuerte Hafenkran, der in dieser Form bis 1885 im Betrieb war und seit einigen Jahren als Nachbau wieder diesen Platz ziert. Wohl nur anhand der Farben ihrer Flaggen lässt sich hingegen die Bestimmung der Nationalität der beiden nächstliegenden Schiffe versuchen. Das Schiff, das linker Hand be- oder entladen wird, lässt sich aufgrund der Flagge mit gelbem skandinavischen Kreuz auf blauem Grund sowie der – nicht ganz korrekt dargestellten – Unions-Gösch als schwedisch-norwegisch identifizieren.

Das Schiff, das rechter Hand halb verdeckt wird, scheint mittels des schwarzen Stierkopfes auf goldgelbem Grund unschwer als Flagge des Herzogtums Mecklenburg identifizierbar. Allerdings wirft das eher Fragen auf, denn die drei gebräuchlichen mecklenburgischen Seeflaggen waren andere: Die Schiffe der Seestadt Rostock fuhren unter einem schreitenden schwarzen Greifen auf goldgelbem Grund und die Schiffe der Seestadt Wismar unter einem gleichmäßig längs von dreimal Weiß und Rot gestreiftem Tuch, während alle übrigen mecklenburgischen Schiffe seit 1804 offiziell unter der blau-weiß-roten mecklenburgischen Trikolore segelten. Blau-Gold-Rot wurde erst 1863 mecklenburgische Nationalflagge.

Die horizontale Trikolore von 1804 galt jedoch schon in der Franzosenzeit als desavouiert, da sie in der Farbfolge identisch mit der vertikalen Trikolore der französischen Besatzer war. Insofern mag die gelbe Flagge des Herzogtums Mecklenburg eine Platzhalterfunktion eingenommen haben. Erbgroßherzog Paul Friedrich führte sie 1829 nachweislich beim „Zauber der Weißen Rose“ anlässlich des in Potsdam begangenen Geburtstages seiner Schwägerin, der russischen Zarin Alexandra Feodorowna geb. Charlotte von Preußen. Aber, um auf die Archivalie zurück zu kommen, ist der Flaggengrund wirklich Gelb?

Abschließend sei auf den Dampfer im Hintergrund hingewiesen, bei dem es sich etwa um den seit 1841 in Rostock fahrenden kleinen Passagier- oder Bugsierdampfer „Stadt Rostock“ handeln könnte. Damit schließt sich der Bogen zur HanseSail, bei der sich stets auch historische Dampfschiffe wie etwa der Dampfeisbrecher „Stettin“ präsentieren.

Dr. Matthias Manke

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