Licht im Dunkel der Geschichte: Der Kettenhalter eines romanischen Leuchters aus Zurow, Lkr. Nordwestmecklenburg

Fund des Monats April 2018

Abb. 1: Zurow, Lkr. Nordwestmecklenburg. Bei der Begehung von Fundplatz 11 geborgene FundstückeDetails anzeigen
Abb. 1: Zurow, Lkr. Nordwestmecklenburg. Bei der Begehung von Fundplatz 11 geborgene Fundstücke

Abb. 1: Zurow, Lkr. Nordwestmecklenburg. Bei der Begehung von Fundplatz 11 geborgene Fundstücke

Abb. 1: Zurow, Lkr. Nordwestmecklenburg. Bei der Begehung von Fundplatz 11 geborgene Fundstücke

Archäologische Funde, die sich mit der Christianisierung der Westslawen oder auch nur der Frühphase des Christentums in Mecklenburg verbinden lassen, sind selten und nicht immer zweifelsfrei interpretierbar (Schirren 2018 in Vorber.). Ein jüngst entdeckter Bodenfund zeigt dies beispielhaft.

Die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Mirko Renkewitz und Carsten Schmoldt führten im Jahr 2016 auf Fundplatz 11 der Gemarkung Zurow, Landkreis Nordwestmecklenburg Begehungen auf einem spätslawischen Siedlungsplatz durch. Möglicherweise handelt es sich um den Vorgänger des späteren Dorfes Zurow oder eine Teilfläche seines slawischen Kerns. Das Fundspektrum umfasst spätslawische Gefäßkeramik und technische Keramik (Teergewinnung), einen bronzenen Messerscheidenbeschlag und einen eisernen Pyramidenstachelsporn des 11./12. Jahrhunderts (Abb. 1).

Besondere Bedeutung kommt einem Objekt zu, das nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern bislang einmalig ist (Abb. 2a und b). Es handelt sich um einen schwach aufgewölbten bronzenen, dreiflügeligen Halter mit runder Öse (Außendurchmesser 1 cm) auf der Spitze und nach unten gebogenen Haltearmen (Durchmesser max. 5 cm; H. 3,4 cm)1. Die Arme enden in Drachenköpfen mit kurzen, schwach nach oben gezogenen Nasen, kräftigen dreieckigen Augäpfeln und nach hinten angelegten dreieckigen Ohren. Unter dem Kinn ist jeweils eine runde Öse (0,7 cm) angebracht. Die Zwickel zwischen den Haltearmen sind mit einem umgekehrt tropfenförmigen Maßwerk ausgefüllt.

Die Kanten der Öse an der Spitze und die drei Ösen unter den Drachenköpfen zeigen scharfe Konturen. Somit dürfte es sich bei der Halterung eher nicht um die für ein Weihrauchgefäß handeln, dessen Ketten und Aufhängungen durch Bewegung bei Gebrauch zu Verrundungen der Kanten geführt hätten. Auch fehlt auf der Unterseite eine mittige Öse, die notwendig wäre, um den Deckel des Gefäßes zum Nachfüllen anzuheben. Die Aufhängung mit den drei Halteösen dürfte vielmehr einen statischen Zweck erfüllt haben, wie er beispielsweise für die Aufhängung einer Öllampe (altgriechisch Policandelon) zu erwarten wäre. Eine Szene in der Vita Sancti Albini um 1100 lässt am Grab des Heiligen die Aufhängung eines Leuchters mit Öllampen mittels eines dreiflügeligen Kettenhalters mit drei Ketten erkennen (Abb. 3). Öllampen der beschriebenen Art dienten der Illumination sakraler und profaner Räume gehobener sozialer Schichten: Im Kirchenraum steht das Licht der Kerze - auf oder neben dem Altar - und die hängende Öllampe symbolisch für die sich selbst verzehrende Liebe Christi als Opfertod am Kreuz. Gleichzeitig weist das Licht auf die Auferstehung Christi.

Die dreiflügelige Gestaltung des Zurower Stücks erinnert formal und stilistisch stark an einige dreifüßige Leuchter der Romanik2. Die dachförmige Gestaltung der drei Arme findet sich u.a. auf einem Leuchterfuß aus Braunschweig (Falke und Meyer 1935, Nr. 13). Die Ausführung der Drachenköpfe mit plastischen, hervorquellenden Augen, der deutlichen Stirn, kurzer Schnauze und dreieckigen Ohren entspricht einer Darstellungstradition des 12. Jahrhunderts (z.B. Leuchter aus dem Domschatz Fritzlar und im Museum des Sankt-Petri-Domes Bremen). Die Zwickelfüllung in Form eines Dreiecks bzw. einer dreieckigen Grundform ist beispielsweise an einem Leuchter aus Paris im Museum Cluny und auf einem Mainzer Leuchter zu finden (Abb. 4). Des Weiteren zeigen dreiflügelige Kreuzfüße Dreieckszwickel, so auf einem Fuß aus Bremen, der wohl einer westfälischen Werkstatt entstammt (Springer 1981, 156-157). Zwickel der beschriebenen Art scheinen ein älteres Stilelement zu sein und sollen bereits auf eine Ornamenttradition Lothringens im 11. Jh. zurückgehen. Alle Beispiele werden nach stilistischen Überlegungen in die Zeit um 1100 bzw. bis Mitte des 12. Jahrhunderts eingeordnet (Falke und Meyer 1935, 3-4), womit auch für den Zurower Leuchterhalter ein Datierungszeitraum umrissen wird.

Naturgemäß gestaltet sich die Rekonstruktion des historischen Kontexts eines Oberflächenfundes spekulativ, doch geben die Fundumstände hierzu durchaus belastbare Anhaltspunkte. Da ist zum einen die archäologische Datierung des Fundplatzes allgemein in das 11.-12. Jahrhundert. Weitere spätslawische Siedlungsplätze liegen in ca. 1,5 Kilometer Entfernung. Der Ort Zurow begegnet uns in den Quellen erstmals 1303 (Mecklenburgisches Urkundenbuch V 115 Or), seine mächtige Kirche aus dem späten 14. Jahrhundert ist mit einer Marienwallfahrt verbunden. Eine deutlich frühere Kirchspielgründung in Zurow ist grundsätzlich in Erwägung zu ziehen, könnte aber durch eine Lücke in den Quellen nicht mehr nachvollziehbar sein (Reimann 1999, 140-141). Eine gewisse zentralörtliche Bedeutung kommt Zurow im Spätmittelalter als Ort mehrerer Landtage der Stände zu. So bleibt die Bedeutung des Ortes in der Zeit vor der Kolonisierung, der frühen Kirchengründung im 12. Jahrhundert und bis in die Zeit um/nach 1200 offen. Zumindest spricht der slawische Ortsname für ein Gründungsdatum des 12. bis frühen 13. Jahrhunderts.

Der Kettenhalter einer ehemals sicher sakral genutzten Hängelampe im Fundkontext einer spätslawischen Siedlung wirft Fragen auf: Haben wir es mit einem Hinweis auf eine säkulare d.h. kirchliche Nutzung vor Ort zu tun oder steht der Fund für eine profanisierte Nutzungsänderung? Ist die Aufhängevorrichtung zusammen mit dem Leuchter oder allein vielleicht nur Raubgut aus Zeiten innerstammlicher Auseinandersetzungen der Obotriten zur Zeit Fürst Niklots, über die uns die historischen Quellen immer wieder berichten? Oder sollte sie ganz einfach als Buntmetallschrott eingeschmolzen werden? Aber auch ohne eine befriedigende und konkrete Antwort auf die gestellten Fragen zu finden: Die stilistische, zeitliche und funktionale Einordung des Kettenhalters weist ihn ganz offenbar als Zeugnis des religiösen und machtpolitischen Umbruchs in den Jahrzehnten vor und um 1200 in Mecklenburg aus.

Dr. C. Michael Schirren


1 Der Fund ist im Archäologischen Landesmuseum unter der Inv.Nr. ALM 2017/598,1 inventarisiert

2 Frau Prof. Dr. Hiltrud Westermann-Angerhausen (Universität Düsseldorf) und Frau Dr. Joanna Olchawa (Zentralinstitut Kunstgeschichte München) sei an dieser Stelle herzlich für die Diskussion zu Funktion, Herkunft und Datierung des Objektes gedankt.


Literatur:

Falke und Meyer 1935: Otto von Falke und Erich Meyer, Romanische Leuchter und Gefäße, Gießgefässe der Gotik . Bronzegräte des Mittelalters I (Berlin 1935)

Reimann 1999: Heike Reimann, Die Entwicklung des Siedlungswesens zurzeit beginnender deutschrechtlicher Veränderungen im Licht der schriftlichen Quellen. In: Peter Donat, Heike Reimann u. Cornelia Willich, Slawische Siedlung und Landesausbau im nordwestlichen Mecklenburg. Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 8 (Stuttgart 1999), 129-160

Schirren 2018: C. Michael Schirren, Policandelon, Nodus und Turibulum. Neue Bodenfunde als Zeugnisse der frühen Kirchengeschichte Mecklenburgs. Mecklenburgische Jahrbücher 133, 2018 in Vorber.

Springer 1981: Peter Springer, Kreuzfüße. Ikonographie und Typologie eines hochmittelalterlichen Gerätes. Bronzegeräte des Mittelalters 3 (Berlin 1981)

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