Ein Vogel mit "kaiserlicher" Verwandtschaft aus Rollwitz, Lkr. Vorpommern-Greifswald

Fund des Monats März 2021

Abb. 1: Rollwitz, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Vogelkopf mit der Schauseite.Details anzeigen
Abb. 1: Rollwitz, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Vogelkopf mit der Schauseite.

Abb. 1: Rollwitz, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Vogelkopf mit der Schauseite.

Abb. 1: Rollwitz, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Vogelkopf mit der Schauseite.

Ländliche Siedlungen der Slawenzeit sind häufig archäologisch untersucht worden, meistens aber eher auf kleinen Flächen. Bei Rollwitz, Lkr. Vorpommern-Greifswald, erforderte der Bau der Europäischen Gas-Anbindungsleitung (EUGAL) jedoch umfangreiche Bergungsarbeiten auf drei slawenzeitlichen Fundplätzen (Damerow 17, Rollwitz 52 und 56): einer Siedlung aus alt- bis mittelslawischer Zeit, einem Einzelgehöft aus mittelslawischer Zeit und einer Siedlung aus jungslawischer Zeit. Dadurch war es möglich, nicht nur die einzelnen Siedlungen großflächig in Augenschein zu nehmen, sondern auch die Besiedlungsabfolge in einem Teil einer slawischen Siedlungskammer zu verstehen.

Die jungslawische Siedlung Rollwitz 56 war möglicherweise ein bzw. der Vorgänger des heutigen Dorfes. Die freigelegten Befunde erstrecken sich über eine Senke und einen anschließenden Hang. In diesem Areal fanden sich Hinweise auf Eisenverarbeitung, Teerproduktion, Wollverarbeitung und eventuell auf Feinschmiedearbeiten. Zahlreiche Knochenwerkzeuge dürften von einer Weiterverarbeitung von Leder stammen. Das Wasser, das für diese Produktionsvorgänge notwendig war, kam aus zwei großen Brunnenanlagen. Mit der Grabung wurde also ein großflächiger Produktionsbereich einer offenen Siedlung angeschnitten. Die besondere Bedeutung dieser Siedlung wird durch einige Importfunde unterstrichen. So fanden sich zwei eiserne Schüsselbarren aus Mähren/Südwestpolen, ein Dirhamfragment aus dem Wolgabulgarischen Gebiet, eine Münze aus dem Rheingebiet sowie eine Bronzeschnalle und drei Wetzsteine aus Skandinavien.

Das außergewöhnlichste Fundstück ist jedoch ein halbplastischer Vogelkopf aus Bronze, der bisher in Mecklenburg-Vorpommern keine Parallelen aufweist (Abb. 1 und 2). Er wurde bei der Kontrolle des Mutterbodenabtrages mit dem Metalldetektor entdeckt. Der noch 2,3 cm lange und 1,6 cm breite, als gegossene Halbplastik ausgeführte Kopf ist am Hals abgebrochen. Seine Dicke beträgt 0,5 cm. Die Schauseite ist reich verziert. Deutlich ist ein tropfenförmiges Auge auf dem nach rechts schauenden Vogelkopf zu erkennen. Die Spitze des leicht geöffneten Schnabels fehlt. Am Hals befinden sich zwei umlaufende Bänder mit einer schraffurartigen Musterung. Darunter deuten Bögen die Fiederung des Vogels an. Die Oberfläche der Schauseite besitzt Reste einer Vergoldung.

Von der Größe, Gestaltung der Federn und des Auges sowie der Kopfform erinnert das Stück an eine Adler-Pfauenfibel aus Mainz (siehe aktuell Archäologie in Deutschland 6/2020; Spiong 2000, 67f). Bei dieser hat der gestaltete Vogelkopf ebenfalls ein tropfenförmiges Auge, am Hals sind zwei umlaufende Bänder zu erkennen und bogenförmige Strukturen deuten die Fiederung an. Die Ausführung aus Gold mit Glaseinlagen ist jedoch viel hochwertiger. Die Mainzer Fibel soll angeblich Kaiserin Gisela (989/999-1043) oder Agnes (1025-1077) gehört haben. Zumindest dürfte die prunkvolle Ausführung auf eine Goldschmiede im Umfeld des Kaiserhauses hindeuten. Datiert wird die Fibel in das 2. Viertel des 11. Jahrhunderts (Schulze-Dörrlamm 1992, 265f).

Auch wenn die kaiserliche Herkunft der Mainzer Fibel nur vermutet wird, ist doch bemerkenswert, dass Kaiserin Agnes´ Tochter, Prinzessin Judith von Böhmen, Władysław I. Herman, Herzog von Polen, heiratete. Dieser unterwarf 1091 zeitweise Pommern, in dem auch Rollwitz liegt. Und genau in dieser Zeit dürfte der Vogelkopf auf dem Fundplatz verloren gegangen sein. Diese Verbindung ist natürlich rein spekulativ, aber zumindest zeigt außer der Fibel auch eine Münze Kontakte der Siedlung bis in die Rheinregion im 11. Jahrhundert an. Funde dieser Art und Qualität sind in ländlichen slawischen Siedlungen trotz der zahlreichen Neufunde äußerst selten.

Uwe Weiß M. A.

Literatur:

Schulze-Dörrlamm 1992: Mechthild Schulze-Dörrlamm, Schatz der Kaiserin Agnes aus Mainz (Vitrinen 6-8). In: Das Reich der Salier 1024-1125: Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz. Sigmaringen 1992, 265f.

Spiong 2000: Sven Spiong, Fibeln und Gewandnadeln des 8. bis 12. Jahrhunderts in Zentraleuropa: eine archäologische Betrachtung ausgewählter Kleidungsbestandteile als Indikatoren menschlicher Identität. Zeitschrift des Mittelalters, Beiheft 12. Bonn 2000, 67f.

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