Wiederentdeckung einer alten Innovation: Das Flettner-Rotorschiff in Mecklenburgs Vergangenheit und Gegenwart
Archivalie des Monats Januar 2021
Abb. 1: Hybridfähre "Copenhagen" bei Ausfahrt aus dem Rostocker Seekanal, Ende November 2020
(Foto: privat)
Abb. 1: Hybridfähre "Copenhagen" bei Ausfahrt aus dem Rostocker Seekanal, Ende November 2020
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Seit etwa einem dreiviertel Jahr lässt sich auf der Ostsee zwischen Warnemünde und Gedser, von den dortigen Molen, Kais und Stränden regelmäßig eine etwas merkwürdig anmutende Schiffskonstruktion beobachten. Zwischen dem deutschen und dem dänischen Hafen ist ein Schiff unterwegs, dessen Decksaufbauten von einem überdimensionierten Rohrzylinder überragt werden. Auffallend an der Ende 2016 in Dienst gestellten Hybridfähre "Copenhagen" ist jedoch kein Abgasschornstein. Vielmehr wissen kundige Zeitgenossen um die 2020 erfolgte Nachrüstung der Fähre mit einem etwa 30 m aufragenden Norsepower-Rotorsegel, der modernen Version eines Flettner-Segels oder -Rotors. Dessen Patentierung wurde bereits am 29. August 1923 beantragt und am 4. November 1925 bewilligt.
Abb. 2: Hybridfähre "Copenhagen" bei Ausfahrt aus dem Rostocker Seekanal, Ende November 2020
(Foto: privat)
Abb. 2: Hybridfähre "Copenhagen" bei Ausfahrt aus dem Rostocker Seekanal, Ende November 2020
(Foto: privat)
Die nach ihrem Erfinder, dem Ingenieur Anton Flettner, benannte Technologie besteht "aus einem vertikal angeordneten rotierenden Hohlzylinder mit Endscheiben. Wird," so heißt es in der Patentschrift, "das rotierende Rotor-Segel von Wind angeströmt, so bildet sich […] infolge einer Oberflächenreibung zwischen dem Rotor-Segel und der es umströmenden Luft sowie innerhalb der an das Rotor-Segel angrenzenden Luft eine Kraft quer zur Strömungsrichtung des Windes. Diese Kraft kann als Vortriebskraft für Schiffe genutzt werden." Auf der Jahrestagung der Schiffbautechnischen Gesellschaft führte Anton Flettner Ende 1924 aus, "daß die neue Einrichtung nicht etwa das Dampf- oder Motorschiff verdrängen, sondern daß sie als hochwertige Ergänzung zu der hochentwickelten Schiffsmaschine hinzutreten, die Ausnutzung der Windkraft auf dem Meere ermöglichen und durch sehr hohe Brennstoffersparnis die Wirtschaftlichkeit der Schiffahrt sehr erhöhen wird."
Zeitgenossen nahmen an, dass die Investitionen in einen Rotor-Segler gegenüber einem gleich großen klassischen Segler niedriger seien, ersterer die Windkraft effizienter nutzen sowie mit weniger Personal und Brennstoff für den Hilfsmotor auskommen könne. Folglich betrüge die Betriebskostenreduzierung 30-80%. In der Realität erwiesen sich jedoch insbesondere für größere Schiffe Dampfturbinen und Dieselmotoren ab den 1930er Jahren als wirtschaftlicher, so dass der Durchbruch des Rotor-Segels ausblieb. Gegenwärtig allerdings wird je nach Route und angestrebter Durchschnittsgeschwindigkeit mit 15-25% Kraftstoffersparnis kalkuliert, und der Betreibergesellschaft der "Copenhagen" geht es nicht zuletzt um 4-5% niedrigere CO2-Emissionen.
Abb. 3: Rotorschiff "Buckau", 1924 (LHAS, 5.2-1, Nr. 1576)
Abb. 3: Rotorschiff "Buckau", 1924 (LHAS, 5.2-1, Nr. 1576)
Die mecklenburgische Affinität zu dieser Technologie reicht im Grunde bis in ihre Anfangszeit zurück. Am 26. November 1924 erreichte Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin die Einladung "zur Teilnahme an der Probefahrt des Flettner-Rotorschiffes." Gemeint war die 1920 in Kiel als Segler vom Stapel gelaufene "Buckau", 47,5 m lang, 3,80 m Tiefgang, die umgerüstet und mit zwei Rotoren ausgestattet seit Oktober 1924 für Erprobungsfahrten bereit stand. Aus Termingründen sagte der gewesene Großherzog der einladenden Fried. Krupp Germania Werft AG Kiel dankend ab, erkundigte sich aber unmittelbar nach Alternativen. Am Nikolaustag konnte der 16. Dezember als Nachholtermin fixiert werden.
Abb. 4: Rotorschiff „Buckau“, 1924 (LHAS, 5.2-1, Nr. 1576)
Abb. 4: Rotorschiff „Buckau“, 1924 (LHAS, 5.2-1, Nr. 1576)
Unterdessen kamen der vormalige Regent oder zumindest sein Umfeld auf den Gedanken, besser nicht nur in ganz kleiner Laienspielschar an die Förde zu reisen, sondern lieber ein wenig Sachverstand mit ins Gepäck zu nehmen. Also wurde mit Dr. W. Schmidt und Prof. Wilhelm Schnapauff der Vorstand des Großherzoglichen Rostocker Yacht Clubs mit nach Kiel eingeladen – ersterer Augenarzt, letzterer dann aber doch vom Fach: Der zunächst bei der Papenburger Werft angestellte und seit 1904 an der TH Danzig lehrende Schiffbauingenieur betätigte sich in Rostock als Schiffsbesichtiger des Germanischen Lloyd und der Seeberufsgenossenschaft. Letztlich fuhren die Mecklenburger zu fünft, denn Friedrich Franz ließ sich neben den beiden Vorständen noch vom Chef seines Sekretariats sowie vom ehemals großherzoglichen Flügeladjutanten und Chef des Militärdepartements General Otto Freiherrn von Heintze begleiten. Am 16. Dezember 1924 um 8.45 Uhr wurden die Herren gegenüber ihres Kieler Hotels mit dem Motorboot abgeholt, um sich eine Viertelstunde später mit den Errungenschaften der modernen Technikwissenschaft konfrontiert zu sehen.
Bedauerlicherweise sind die Eindrücke des Großherzogs a.D. nicht überliefert, aber Wilhelm Schnapauff ließ dem Überschwang seiner Gefühle freien Lauf. Um die "Fahrt mit dem Schiff, das die Flettner Rotoren als Antrieb" hat, verdauen und die dabei empfundenen Emotionen in Worte fassen zu können, benötigte er elf Tage. Die Art und Weise, in der er, gewiss kein Wortakrobat, sich am 27. bei "Seine[r] Großherzogliche[n] Hoheit Friedrich Franz IV." für die als "besondere Gnade" wahrgenommene Einladung bedankte, lässt eher nicht auf desaströse Eindrücke der Teilnehmenden schließen: "Die herrliche Fahrt von Wind und Wetter selbst zur Winterszeit aufs äußerste begünstigt gab doch erst so recht den Einblick in die geheimnisvollen wirkenden Kräfte zu persönlicher Erkenntnis; und dieser unmittelbare Eindruck konnte die bisher nur zugänglichen bildlichen und theoretischen Darlegungen erst in das richtige Licht setzen und regt an im Kreise des Großherzoglich Mecklenburgischen Yacht Clubs den Segelsports Kameraden einige Erläuterungen über die Fahrt und die Grundlagen der Erfahrungen zu geben und ebenso auch die Rückwirkungen auf das Sportssegeln und zweckmäßige Ausgestaltung der Segel zu zeigen."
Dr. Matthias Manke
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