Vom königlichen Windsor ins herzogliche Neustrelitz: Die Erbverzichtserklärung der britischen Königin Sophie Charlotte
Archivalie des Monats Januar 2022
Abb. 1: Handsiegel der britischen Königin Sophie Charlotte, Herzogin zu Mecklenburg-Strelitz, 1794
(LHAS, 4.3-1, I.682.6)
Abb. 1: Handsiegel der britischen Königin Sophie Charlotte, Herzogin zu Mecklenburg-Strelitz, 1794
(LHAS, 4.3-1, I.682.6)
Als der mecklenburg-strelitzsche Herzog Adolf Friedrich IV. am 2. Juni 1794 im Alter von 56 Jahren starb, folgte ihm knapp drei Monate später seine drei Jahre ältere Schwester Christiane in die Ewigkeit. Mit seiner „Christel“ an der Seite hatte der Fürst im Schloss Neustrelitz seit 1753 aufwändig residiert und dabei stets mehr ausgegeben, als das kleine, erst 1703 geschaffenes Herzogtum Mecklenburg-Strelitz erwirtschaften konnte. Sein Nachfolger, Herzog Carl (1741 – 1816), musste zunächst die desaströsen privaten und „staatlichen“ Vermögensverhältnisse ordnen. Ende September 1794 wurde in mecklenburgischen, Altonaer, Berliner, Frankfurter, Hamburger, Leipziger und Hannoveraner Intelligenzblättern und Zeitungen eine Proklamation veröffentlicht. Personen, die an der Verlassenschaft (Erbmasse) von Adolf Friedrich IV. „Anschsprüche und Forderungen haben oder zu haben vermeinen“, wurden aufgerufen, diese unter Vorlage von Urkunden geltend zu machen. Im Schweriner Landeshauptarchiv befinden sich mehrere Aktenkonvolute mit Schreiben von Bankieren, Hofbediensten, Händlern, Handwerkern und Privatleuten, die belegen, dass sie dem Herzog bzw. seiner Schwester entweder Geld geborgt oder vom Hof für eine erbrachte Leistung nicht in Gänze bezahlt wurden. Letzteres hatte Methode. Wenn z. B. ein Kunstmaler ein Gemälde für 300 Reichstaler an den Herzog verkaufte, bekam er 180 ausbezahlt und für den Rest (120) einen Schuldschein für dessen Einlösung bei besserer Gelegenheit. Eine Auswertung dieser Schuldscheine und die Art und Weise ihrer Auslösung durch die von Herzog Carl beauftragten Kommissare könnte erkenntnisreicher Gegenstand einer umfangreichen landesgeschichtlichen Arbeit sein.
Abb. 2: Queen Sophie Charlotte, einmal nicht im Hofstaat, um 1800
(Memoirs Of Her Most Excellent Majesty Sophia-Charlotte, Queen of Great Britain, London 1819)
Abb. 2: Queen Sophie Charlotte, einmal nicht im Hofstaat, um 1800
(Memoirs Of Her Most Excellent Majesty Sophia-Charlotte, Queen of Great Britain, London 1819)
In der Sammlung von Schreiben zu den Ansprüchen auf die Verlassenschaft des Herzogs und der Prinzessin von Mirow befinden sich zwei unscheinbare, auf einfachem Briefpapier von einer „Charlotte R.“ zu Windsor höchstpersönlich geschriebene Schreiben, beide datiert auf den 19. Oktober 1794. Verfasserin ist die Königin von Großbritannien, Sophie Charlotte (1744 – 1818), geborene Prinzessin von Mirow. Sie verzichtete und entsagte (renunzierte) „gänzlich und vollständig“ auf die „sich etwa ergebende Allodial Verlassenschaft, und auf den [ihr] von derselben zufallenden Antheil“ ihres Bruders Adolf Friedrich IV. und ihrer Schwester, der Prinzessin Christiane Sophie Albertine zu Mecklenburg. Als Allodialgut wurde hier das Privatvermögen eines Fürsten bezeichnet und so vom fiskalischen Besitz (Staatsschatz, Staatsdomäne) unterschieden, der nicht Gegenstand privater Erbfolge sein konnte.
Die beiden briefkopflosen Schreiben sind mit dem gleichen Handsiegel versehen. Das unscheinbare, in schwarzen Siegellack gedrückte, nur rd. 4 cm große Siegel ist dynastiegeschichtlich herausragend. Das Siegel liegt hier zwar nur als Abdruck vor, belegt aber gleichwohl die Kunst des Petschierstechers. Dieser hatte die Aufgabe, im Wappen der Königin deren Herkunft und Machtfülle darzustellen. Dies bewerkstelligte der Künstler mit einem bekrönten zweigeteilten Wappenschild, das von zwei Schildhaltern, links ein gekrönter Löwe (symbolisiert England), rechts ein angekettetes Einhorn (symbolisiert Schottland), gehalten wird. Die rechte Schildseite zeigt die Symbole der sieben mecklenburgischen Landesteile (Herzogtum Mecklenburg, Herrschaft Rostock, Fürstentum Schwerin, Fürstentum Ratzeburg, Grafschaft Schwerin, Herrschaft Stargard und Herrschaft Werle). Sie dokumentieren die dynastische Herkunft der Königin aus Mecklenburg. Die linke Schildseite ist ihrem Herrschaftsbereich bzw. -anspruch gewidmet. Sophie Charlotte, die am 22. September 1761 zur britischen Königin gekrönt wurde, zeigte mit dem Wappen die territorialen Ansprüche des Hauses Windsor: drei Leoparden für das Königreich England, ein Löwe in lilienbesetztem Bord für das Königreich Schottland, drei Lilien für das Königreich Frankreich, eine Harfe für das Königreich Irland und ein dreigeteiltes Schild mit zwei Leoparden, einem Löwen und einem Ross für das Königreich Hannover.
Im Gegensatz zu ihren kinderlosen Geschwistern Adolf Friedrich und Christel hatte Königin Sophie Charlotte fünfzehn Kinder und sicherte damit die bis in unsere Tage anhaltenden dynastische Erbfolge des britischen Königshauses. Als Sophie Charlotte 1818 starb, lagen 57 Jahre als englische Königin hinter ihr. Das 1794 von ihr verwendet Siegel mag davon zeugen, dass die wohl seinerzeit mächtigste Frau der Welt nicht ohne Stolz auf ihre Herkunft aus Mecklenburg-Strelitz blickte.
Dr. Bernd Schattinger
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