Durch Feindeinwirkung zerstört. Der Flugzeugabsturz in Roggow am 11. April 1944

Archivalie des Monats April 2023

Aufteilungsplan von Roggow mit Kennzeichnung der Siedlerstellen (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 259)Details anzeigen
Aufteilungsplan von Roggow mit Kennzeichnung der Siedlerstellen (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 259)

Abb. 1: Aufteilungsplan von Roggow mit Kennzeichnung der Siedlerstellen (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 259)

Abb. 1: Aufteilungsplan von Roggow mit Kennzeichnung der Siedlerstellen (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 259)

Als die Siedlerfamilien Heinrich Sundermann und Wilhelm Sternberg in Roggow bei Lalendorf am 10. April 1944 zu Bett gingen, konnten sie schwerlich ahnen, dass am nächsten Tag all‘ ihre Gewohnheiten gebrochen sein würden. Am 11. April 1944 gegen 13.45 Uhr geriet die sogenannte Siedlerstelle T in Brand, zwei Bewohnerinnen verloren ihr Leben. Wenig zuvor war bereits die Siedlerstelle A in Mitleidenschaft gezogen worden. Ursächlich war ein amerikanischer Bomber, der allerdings nicht das kleine Dorf ca. 40 km südöstlich von Rostock attackierte, sondern – so mutmaßte das für zivile Kriegssachschäden lokal zuständige Landratsamt Güstrow – abgeschossen von deutschen Jägern auf die Gemeinde stürzte.

Das Flugzeug war mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in den zweiten der beiden Luftangriffe involviert, den die US-Air Force am 11. April auf Rostock führte. Die erste Welle mit etwa 80 Maschinen überzog die Stadt 11.07-11.53 Uhr, die zweite mit etwa 200 Maschinen 13.15-13.35 Uhr. Der erste Angriff traf die Arado-Flugzeugwerke in Warnemünde heftig, der zweite führte zu schweren Schäden im Heinkel-Zweigwerk in der Bleicherstraße, am Güterbahnhof, an zwei nicht näher benannten Kliniken, an den NSDAP-Kreis- bzw. Kreisamtsleitungen Rostock-Stadt und –Land, an Wohnbebauung sowie nicht zuletzt an der katholischen Christuskirche am Schröderplatz. Die Rede war zunächst von ca. 80 Toten, darunter acht Schutzsuchende in der Sakristei des Gotteshauses, von 120 Verletzten und 4-5.000 obdachlos Gewordenen.

"Die Rostocker Bevölkerung hat den schweren Angriff," so berichtete der zuständige SD-Abschnitt Schwerin, "mit guter Haltung durchgestanden." Allerdings habe "auch bei diesem Angriff die geringe Anzahl der zum Schutze Rostocks eingesetzten Flakbatterien Erstaunen und Befremden ausgelöst." Selbiges galt für die wenigen deutschen Jäger in Aktion, so dass amerikanischen Begleitjäger den eigenen Bomberverband weitestgehend unbehelligt hin und zurück geleiten konnten. Die Attacke geschlossener Bomberverbände am helllichten Tage wirke sich, so berichtete der SD weiter, auf die Stimmung der Bevölkerung "besonders ungünstig aus." Vor allem aber fehle es vor Ort an Nachvollziehbarkeit für eine im Rundfunk vermeldete "Luftschlacht über Rostock", während die fünf von Rostock aus wahrgenommenen Abschüsse durch die wenigen Flakgeschütze als stolze Quote goutiert wurden.

Zeitliche Nähe und die den deutschen Jagdflugzeugen attestierte Schwäche sprechen dafür, dass eines der fünf erwähnten Flakopfer das Unglück in Roggow auslöste. Noch am Tag des Absturzes übernahm der Fliegerhorst Güstrow das Flugzeugwrack und das Landratsamt wusste über die Besatzung, dass sie mit Fallschirmen abgesprungen sei und ein Mitglied derselben etwa 20 km nördlich in Groß Ridsenow festgesetzt wurde. Möglicherweise hatte er das "Glück", als Kriegsgefangener behandelt zu werden. Zwar redete sich der zuständige mecklenburgische Gauleiter Friedrich Hildebrandt bisweilen in Rage und forderte, abgeschossene Piloten nicht der Wehrmacht zu übergeben, sondern sie sogleich zu "kassier[en] oder um[zu]legen". In Sachen Lynchjustiz durfte er, zumindest dem SD-Bericht zum 11. April zufolge, auf Zustimmung rechnen: "Der größere Teil der Bevölkerung verlangt, daß die abgeschossenen Flieger totgeschlagen bezw. erschossen werden sollten. Nur eine kleine Minderheit bedauert die feindlichen Flieger und meint, daß sie nach den Regeln der Genfer Konvention behandelt werden müßten." Entsprechende Lynchbefehle gaben Adolf Hitler und Friedrich Hildebrandt jedoch erst etwas später, am 21. Mai bzw. am 21. Juni 1944.

Abb. 2: Plan der Siedlerstelle T in Roggow von 1934, mittig Eintrag des Landrates des Kreises Güstrow vom 13. April 1944 „Durch Feindeinwirkung Siedl. zerstört“ (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 763)Details anzeigen
Abb. 2: Plan der Siedlerstelle T in Roggow von 1934, mittig Eintrag des Landrates des Kreises Güstrow vom 13. April 1944 „Durch Feindeinwirkung Siedl. zerstört“ (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 763)

Abb. 2: Plan der Siedlerstelle T in Roggow von 1934, mittig Eintrag des Landrates des Kreises Güstrow vom 13. April 1944 „Durch Feindeinwirkung Siedl. zerstört“ (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 763)

Abb. 2: Plan der Siedlerstelle T in Roggow von 1934, mittig Eintrag des Landrates des Kreises Güstrow vom 13. April 1944 „Durch Feindeinwirkung Siedl. zerstört“ (LHAS, 5.12-9/1, Nr. 763)

Ungefähr solange mussten sich auch, ohne dass ein zeitlicher Zusammenhang bestand, die beiden betroffenen Familien in Roggow bis zum Anlauf staatlicher Hilfe für die Regulierung ihrer Schäden gedulden. Basis war die Kriegssachschädenverordnung vom 30. November 1940, die griff, wenn Dritte wie etwa Versicherungsunternehmen keinen Schadenersatz leisteten. Die Beauftragung der Schätzung des Schadens an der Bauernstelle Sternberg erfolgte bereits am 12. April, als die zuständige Abteilung des Landratsamtes noch nicht einmal genau im Bilde war, ob Hermann oder Wilhelm Sternberg betroffen war. Die Feststellung, der Schornsteinkopf sei abgerissen sowie das Pappdach mit Schalung und Sparren beschädigt, erfolgte am 13. und einen Tag später bestätigte das Landratsamt die Schätzung der Instandsetzungskosten. Am 15. Mai unterzeichneten Landrat und Wilhelm Sternberg, der im Übrigen bei den Heinkel-Werken in Rostock tätig war, die Regulierungs- und Abfindungsvereinbarung über 261 RM. Die Rechnung über die Dachdeckerarbeiten datierte dann aber erst Anfang November.

In die Regulierung des gravierenderen Schadens an der "durch Feindeinwirkung zerstörten" Siedlerstelle von Heinrich Sondermann schaltete sich offensichtlich die Landesbauernschaft ein. Sie beantragte die Bereitstellung einer sogenannten bäuerlichen Notunterkunft, d.h. einer Wohn- und Stallbaracke sowie eines Mehrzweckbehelfsbaus. Die Auslieferungsanweisung des Baubevollmächtigten bei der zuständigen Rüstungsinspektion nebst Freigabeschein für 15 t Bauzement datierte am 26. Mai, über den weiteren Fortgang ist bisher nichts bekannt.

Dr. Matthias Manke

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