Seltenes Bilddokument einer mecklenburgischen NS-Formation

Archivalie des Monats September 2019

Foto des SA-Reserve-Sturm 5/R60Details anzeigen
Foto des SA-Reserve-Sturm 5/R60

Quelle: LHAS, 9.4-1, ZA I 11434 A. 21.

Quelle: LHAS, 9.4-1, ZA I 11434 A. 21.

Jahrhunderte lang, genauer seit 1348, gehörte das 1287 erstmals erwähnte und 1318 mit Stadtrecht bewidmete Städtchen Fürstenberg zu Mecklenburg. Da der sogenannte Fürstenberger Zipfel weit in das Brandenburgische hinein ragte, arrondierte die DDR-Führung zum 1. Juli 1950 die beiden Länder und Fürstenberg wurde zu einer brandenburgischen Kommune. Auf diese Weise wandelte sich "Fürstenberg i. Meckl.", der im Übrigen nach Dömitz am weitesten südlich gelegenen mecklenburgischen Stadt, in "Fürstenberg / Havel".

In den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte die Stadt zwischen vier- und fünftausend Einwohner, 1933 handelte es sich um 4.374 Menschen. 1.418 von ihnen, etwas mehr als die Hälfte aller städtischen Wahlberechtigten, stimmten bei der Reichstagswahl am 5. März des Jahres für die NSDAP. Diese Partei war auch in Fürstenberg, das ist ebenso naheliegend wie bekannt, in einer Ortsgruppe organisiert. Gleichermaßen in Ortsverbänden präsent waren, das stellte keine Besonderheit dar, andere nationalsozialistische Gliederungen wie Hitlerjugend (HJ), Nationalsozialistische Frauenschaft (NSF) oder Nationalsozialistischer Lehrerbund (NSLB). Hinzu kamen der Sturm 5/74 der SS, die sich ab Mitte 1934 aus der SA heraus zu einer eigenständigen NSDAP-Organisation entwickelte, und der Sturm 14/60 der SA, der ab Mitte 1934 stark in ihrer Bedeutung reduzierten paramilitärischen NSDAP-Kampforganisation.

Letzterem zur Seite stand der Reserve-Sturm 5/R60, von dem ein in den Beständen des Landeshauptarchivs Schwerin nahezu einmaliges und damit wohl auch ein insgesamt seltenes Bilddokument einer mecklenburgischen NS-Formation existiert. In dieser Unikalität begründet sich auch die Auswahl als "Archivalie des Monats". Die Fotografie, das sei hier nicht unerwähnt gelassen, war auf eine dicke Pappe aufgezogen. Da letztere sich bereits bog und dabei zugleich in der Oberfläche brach, wurden Bildträger und Bild aus konservatorischen Gründen voneinander gelöst – und für die hier wiedergegebene Abbildung "virtuell" wieder zusammengefügt. Die Fotografie bildet 92 Uniformierte vor der sogenannten Sturm-Fahne ab, in deren Fahnenspiegel an der Spitze – zumindest in der Vergrößerung – die Sturm-Nummer als organisatorische Kennzeichnung der Gliederung deutlich sichtbar wird: "5/R60", d.h. 5. Reserve-Sturm der 60. SA-Standarte mit Sitz und Stab in Neustrelitz. Die Bezeichnung als "Reserve" bringt nichts anderes zum Ausdruck, als dass die Formationsmitglieder das 45. Lebensjahr überschritten hatten.

Das vermutlich 1934/35 entstandene Bilddokument entstammt einem in doppelter Hinsicht bemerkenswerten Überlieferungskontext. Dabei handelt es sich einerseits um die "Handakte des Oberscharführers Arno Morgenländer", in der sich auch tatsächlich Dienstpläne, Beitragsnachweise sowie vereinzelte Befehle und Inhaltsangaben von Schulungen des SA-Sturms finden. Andererseits gehört diese Akte zum Bestand "NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR", in dem das MfS Unterlagen aus allen möglichen Entstehungs- und Herkunftszusammenhängen sammelte und zu neuen Personen-Dossiers zusammenstellte. Insofern enthält die Akte in nicht geringem Umfang Dokumente zur Entnazifizierung von Arno Morgenländer bzw. zur Sequestrierung seines Eigentums.

Die Fotografie, die hier im Fokus des Interesses steht, spiegelt die Personenbezogenheit der Akte ebenfalls wider. Sie trägt die händisch und mit hoher Wahrscheinlichkeit weit nach dem Entstehungszeitpunkt aufgebrachte Bildunterschrift "Ob[er]sch[ar]F[ührer] Morgländer [sic!] mit Parteiabzeichen auf der Krawatte". Sie bezieht sich auf den in der zweiten Reihe von vorn gleich rechts neben den Trommeln Sitzenden. Arno Morgenländer, 1933 SA-Anwärter und 1935 NSDAP-Mitglied, war seit 1921 in Fürstenberg mit einem Geschäft für Elektroinstallation selbständig. In dieser Eigenschaft übernahm er, obwohl nach eigener Aussage 1936 "wegen mangelnder Dienstauffassung aus der SA ausgeschieden worden", auch Aufträge im bzw. für das zwischen Dezember 1938 und April 1939 errichtete Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück.

Das vorstehend skizzierte Potenzial der Akte, das sich von der Formationsgeschichte über die individuelle Biografie Arno Morgenländers bis zum KZ Ravensbrück spannt, zu erschließen bleibt anderen Forschern vorbehalten.

Dr. Matthias Manke

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