Die Hebung des Segelschulschiffs "Gorch Fock" vor Stralsund 1947

Archivalie des Monats Mai 2022

Abb. 1: Die versenkte "Gorch Fock" (Landesarchiv Greifswald, Rep. 202/3, Zg. 39/2020, Nr. 40, Bl. 28)Details anzeigen
Abb. 1: Die versenkte "Gorch Fock" (Landesarchiv Greifswald, Rep. 202/3, Zg. 39/2020, Nr. 40, Bl. 28)

Abb. 1: Die versenkte "Gorch Fock" (Landesarchiv Greifswald, Rep. 202/3, Zg. 39/2020, Nr. 40, Bl. 28)

Abb. 1: Die versenkte "Gorch Fock" (Landesarchiv Greifswald, Rep. 202/3, Zg. 39/2020, Nr. 40, Bl. 28)

Am 30. April 1945 hatte die Rote Armee in Devin Stellung bezogen und eröffnete um 12.30 Uhr das Feuer auf die Stadt und den Hafen Stralsund. Drei Granaten trafen die "Gorch Fock", das vor Drigge liegende Segelschulschiff der Reichsmarine, und beschädigten es geringfügig. Nach Einstellung des Beschusses um 14.00 Uhr ruderten drei Besatzungsmitglieder der "Gorch Fock" zum Schiff hinüber und brachten eine steuerbordseitig im unteren Vorderdeck angebrachte Sprengladung zur Explosion. Die Detonation riss ein größeres Loch in den Rumpf und zerstörte mehrere Schotts. In kurzer Zeit sank das Schiff, und nur die Spitzen der drei Masten ragten noch aus dem Wasser. Der Stolz der Reichsmarine sollte nicht in die Hände des Feindes fallen.

Der Stapellauf der "Gorch Fock" lag zu diesem Zeitpunkt noch keine zwölf Jahre zurück. Nach der Havarie des Schulschiffs "Niobe" am 26. Juni 1932 hatte die Reichsmarine noch im Dezember die Hamburger Werft Blohm & Voss mit dem Bau der Dreimastbark beauftragt und das auf den Namen des Schriftsteller Gorch Fock getaufte Segelschulschiff Ende Juni 1933 in Dienst gestellt. Doch große Überfahrten endeten bereits mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Das Schiff diente nur noch sporadisch der Ausbildung von Seekadetten, lag seit Oktober 1944 in Stralsund und wurde am 27. April 1945 außer Dienst gestellt.

Der Wunsch der Reichsmarine, die "Gorch Fock" auf keinen Fall in sowjetische Hände zu geben, erfüllte sich nicht, denn das Wrack wurde nach dem Ende des Krieges der Sowjetunion als Reparationsleistung zugesprochen. Der Auftrag zur Bergung der "Gorch Fock" erging Ende 1946 an das Stralsunder Unternehmen B. Staude Schiffsbergung. Für die Arbeiten waren fünf Monate und Kosten in Höhe von 500.000 Reichsmark veranschlagt. Das Stralsunder Unternehmen war jedoch, wie sich rasch herausstellte, mit der Bergung überfordert. Anders als bisher üblich sollte das Schiff mit aufrechten Masten geborgen werden. Im Mai 1947 gründete das Land Mecklenburg mit dem Bergungskontor eine eigene Bergungsgesellschaft in Stralsund, der das Heben und Instandsetzen der "Gorch Fock" übertragen wurden. Das Abdichten der Sprengschäden und das Anbringen von Pontons gestalteten sich ausgesprochen schwierig und zeitaufwendig. Am 15. September teilte das Bergungskontor dem Innenministerium in Schwerin telegrafisch mit, dass die "Gorch Fock" geborgen sei. Erst danach waren eine Aufnahme der Schäden und eine Aufstellung der zu erwartenden Kosten möglich. Allein die Bergungskosten beliefen sich auf rund 880.000 Reichsmark. Am 14. Februar 1948 übermittelte das Bergungskontor an den Chef der Verwaltung für Reparationen und Lieferungen der SMAD, Generalmajor Sorin, einen Kostenüberschlag von 3,5 Millionen Reichsmark für die Wiederherstellung der "Gorch Fock", allein 680.000 Reichsmark waren dabei für die Instandsetzung der Maschine erforderlich. Das Bergungskontor konnte jedoch nicht alle Arbeiten selbst ausführen. Vom 27. Juni bis zum 7. Juli 1948 lag das Schiff in den Schwimmdocks der Neptunwerft in Rostock, um dort die erforderlichen Arbeiten an der Außenhaut des Rumpfes durchzuführen und die Sprengstoffstelle zu schließen. Vor allem die Militäradministration drängte immer wieder auf einen zügigen Ablauf und verfügte schließlich, dass die "Gorch Fock", die inzwischen bereits unter dem neuen Namen "Towarischtsch" in den Akten geführt wurde, in die Schiffsreparaturwerft nach Wismar überführt werden sollte. Dort wurde das Schiff einer erneuten Begutachtung unterzogen. Die Unzufriedenheit mit dem Stralsunder Bergungskontor mündete im Dezember 1948 in der Einbestellung zweier Ingenieure, um die von der Bauaufsicht festgestellten Mängel bei der Reparatur des Schiffes zu erörtern. In Wismar zog sich der Wiederaufbau der Bark noch bis zum 8. Oktober 1949 hin. Unter dem Namen "Towarischtsch" lag sie zunächst für mehr als ein Jahr in Leningrad und ging als sowjetisches Segelschulschiff erstmals im Juni 1951 auf große Fahrt.

Bereits vor dem Zerfall der Sowjetunion war der Betrieb des Segelschulschiffs für den Eigner unwirtschaftlich geworden. Nur notdürftig repariert ging die "Towarischtsch" 1991 in den Besitz der Ukraine über. Heute trägt das Schiff wieder seinen Namen "Gorch Fock" und liegt als Museumsschiff im Stralsunder Hafen.

Die Bergung und Reparatur der in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges versenkten "Gorch Fock" hatte zwischen 1947 und 1949 für die damalige Zeit immense Summen verschlungen. Es zeigte sich früh, dass die erste Kalkulation nicht haltbar war und die Kosten für den Wiederaufbau um ein Vielfaches über den ersten Anschlägen lagen. Dennoch wurde die Reparatur zu keiner Zeit aus Kostengründen in Frage gestellt. In die Öffentlichkeit ist dies zu keinem Zeitpunkt gelangt und erst das Wiederauffinden zweier Akten in dem Archivbestand der Volkswerft Stralsund ermöglicht einen Einblick in die besonderen technischen Herausforderungen der Bergung und die erforderlichen finanziellen Aufwände. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Berichte über die Kostenexplosion für die Reparatur des gleichnamigen Schwesterschiffs der Bundesmarine wie die Wiederholung einer 75 Jahre zurückliegenden Geschichte. Allerdings wird heute anders als vor 75 Jahren die Diskussion über Sinnhaftigkeit und Kosten von Segelschulschiffen öffentlich geführt.

Dr. Martin Schoebel

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