Der Reuterstein in Findenwirunshier

Archivalie des Monats August 2023

Abb.: Reuterstein bei Findenwirunshier, von der Landstraße aus aufgenommen am 21. Juli 1902Details anzeigen
Abb.: Reuterstein bei Findenwirunshier, von der Landstraße aus aufgenommen am 21. Juli 1902

Abb.: Reuterstein bei Findenwirunshier, von der Landstraße aus aufgenommen am 21. Juli 1902

Abb.: Reuterstein bei Findenwirunshier, von der Landstraße aus aufgenommen am 21. Juli 1902

Ohne Zweifel ist der 1810 in Stavenhagen geborene Dichter Fritz Reuter, seiner menschlichen Schwächen ungeachtet, eine des Ehrens und des Erinnerns werte Person. In seinem mecklenburgischen Vaterlande wurde dem vielfältig Genüge getan, auch wenn der Sohn dem Land in gewisser Hinsicht durchaus einen Bärendienst erwies. Seine Literatur sorgte auch mit dafür, dass der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in politischer und teilweise sozialer Hinsicht nicht sonderlich gute Ruf beider Mecklenburg noch weiter malträtiert wurde. Allerdings ist ihm das, ohne dass diesbezüglich etwas schöngeredet werden muss oder soll, nicht einmal anzulasten. Fritz Reuter ist kaum dafür verantwortlich zu machen, dass manche seiner Interpreten seine literarischen Überspitzungen und Überzeichnungen für bare Münze nahmen, für Realität statt für Dichtung.

Die vielfältigen Formen der Ehrung von und Erinnerung an Fritz Reuter reichen von den obligatorischen Denkmälern bis hin zu sogenannten Reutereichen und Reutersteinen. Bei letztgenannten handelt es sich in der Regel um veritable Findlinge, in die vorzugsweise Name und Lebensdaten des Dichters eingemeißelt wurden, oft auch ein Widmungsspruch und manchmal ein Porträtrelief. Im Mecklenburgischen gibt es davon wohl sage und schreibe, je nach Lesart, 13 oder 14. Gewidmet wurden sie aus ganz unterschiedlichen Anlässen und zu ganz unterschiedlichen Zeiten: 1909 bzw. 1910 in Krakow am See, in Malliß und in Wustrow auf dem Fischland, 1924 in Hagenow und Röbel, 1964 in Roggenstorf, um 1975 in Bützow, Mitte der 1980er Jahre in Graal-Müritz, 2005 in Boltenhagen. Gleich drei Reutersteine gönnte sich Rostock – 1911 im Schweizer Wald im Ortsteil Brinckmansdorf, 1971 im Ortsteil Reutershagen und 1975 im Ortsteil Warnemünde. Und Grevesmühlen, der Geburtsort von Fritz Reuters Ehefrau Luise, legte sich 1999 einen Luise-Reuter-Gedenkstein zu.

Durchaus auffallend sind zum einen die Koinzidenzen zu Fritz Reuters 100. Geburtstag 1910 und zu runden Jubiläen seines Sterbejahres 1874. Anmerkenswert ist zum anderen die in der DDR, die auf eine tradierte Identität wie „Mecklenburg“ eigentlich so gar keinen Wert legte, offensichtlich aufgebrachte Wertschätzung. Der mit Abstand älteste mecklenburgische Reuterstein, um zum Thema zurückzukommen, befindet sich seit 1885 bei … – nun, unstrittig an der Kreuzung der Wege von Alt Kaliß nach Neu Göhren und von Neu Kaliß nach Liepe. Manchmal ist daher die Rede vom Reuterstein bei Alt Kaliß, manchmal vom Reuterstein bei Neu Kaliß, manchmal aber auch vom Reuterstein bei – und das ist kein Scherz – Findenwirunshier. Diese Ortslage mit einer mindestens seit dem frühen 17. Jahrhundert bestehenden Mühle existiert tatsächlich, die 1496 datierende urkundliche Ersterwähnung Venzire deutete der Volksmund entsprechend um.

An besagter Wegkreuzung rastete Fritz Reuter, als er sich nach seiner Entlassung aus der Festungshaft am 25. August 1840 von Dömitz nach Stavenhagen aufmachte: „Gung as en frien Mann ut dat Dur, nah de Fenzirsche Mähl hintau,“ so heißt es in „Ut mine Festungstid“. Am 20. September 1885, also fast ein halbes Jahrhundert später im Vorfeld seines nicht mehr erlebten 75. Geburtstages, errichteten „Freunde und Verehrer des mecklenburgischen Dichters“ das Monument. Es besteht aus großen Granitsteinen auf einem quadratisch gemauerten Sockel. „Nach einer alten Kalißer Überlieferung“ bzw. so „wußten es jedenfalls die Alten in Kaliß zu erzählen,“ also der Legende nach, sei der auf den Mahlsteinen der Mühle in Findenwirunshier glattgescheuerte und 200 Zentner wiegende Deckstein von 16 Pferden auf einer Schleppe an den Ort gezogen worden.

Allerdings muss nicht unbedingt die Legende bemüht werden, da ein freilich etwas weniger heroischer zeitgenössischer Bericht von hoher Authentizität überliefert ist. Am 21. September 1885, am Tag nach der Enthüllung des Steins, berichtete der Kommandant der Garnison Dömitz, Oberst Frese, dem Großherzog, „daß gestern die feierliche Einweihung des in der Calisser Forst aufgestellten Gedenkstein[s] für den vaterländischen Dichter Reuter stattgefunden hat. Der Stein ein großer unbearbeiteter Granitblock, welcher aus den Rhuner Bergen geholt, ist mit andern größern und kleiner[n] Granitsteinen umgeben und auf einem Fundament aus Ziegelsteinen gelegt.“ Die gut 50 km entfernten Ruhner Berge südlich von Parchim also.

Der Deckstein, so der Bericht weiter, „trägt auf zwei Seiten auf polirten Platten folgende“ – schicksalsschwer und für Fritz Reuters Leben sinnbildlich – „Inschriften: Ja äwer wecker Weg was de rechte? (Ut mine Festungstid Cap. 26) und Fritz Reuter 25. August 1840. Der Forstmeister Paschen hat mit dem Rentier G. Markurth hieselbst und dem Commerzienrath Bausch Neukaliss, die Herstellung des Gedenksteins veranlaßt und geleitet, auch hat derselbe bei der Einweihung die Festrede gehalten. Der Einweihung schloß sich ein Volksfest an, welches von Einwohnern Dömitz sowie der umliegenden Dörfer stark besucht war.“ Eine Reaktion des Großherzogs auf den Bericht ist nicht überliefert.

Dr. Matthias Manke

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